Die Linke und die Verschwörung
Von Hippies bis zu Reichsbürgern: Die Proteste der Corona-Leugner_innen schaffen es im Laufe des Jahres 2020, unterschiedlichste Menschen auf der Straße zu vereinen. Mit dabei sind auch immer wieder Menschen, die sich linker Symbolik bedienen, ein linkes Selbstverständnis oder eine linke Politisierung durchlaufen haben. Was treibt diese Personen dazu, sich verschwörungsideologischen Protesten anzuschließen?
Um zu verstehen, wie und warum Menschen mit linkem Selbstverständnis auf verschwörungsideologischen Demos von Pandemie-Leugner_innen Schulter an Schulter mit Antisemit_innen und Reichsbürger_innen marschieren, lohnt ein Blick einige Jahre zurück – weit vor den Beginn der Pandemie.
Der pseudosubversive Karriereverweigerer: Anselm Lenz
Im Jahr 2014 gründeten einige Berliner Kulturschaffende den Verein Haus Bartleby – Zentrum für Karriereverweigerung. Aus den Trümmern der Occupy-Bewegung stammend, hatten Mitglieder des Haus Bartleby ihren ersten Auftritt auf einer Leipziger Degrowth-Konferenz, verfassten Anleitungen zum „lebenslangen Generalstreik“ und veranstalteten ein „Kapitalismus-Tribunal“. Zu den Protagonisten gehörten damals Anselm Lenz, Hendrik Sodenkamp und Batseba N‘Diaye, die sich radikal subversiv gaben, zugleich aber strebsame Markenbildung nach allen Regeln des Kulturbusiness betrieben. Die drei werden später Gründungsmitglieder der Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand, die in Berlin verschwörungsideologische Hygiene-Demos organisiert, eine eigene Zeitung herausgibt, und zeitweise eine bundesweit bedeutende Stimme der Corona-Leugner_innen-Bewegung darstellt.
Montagsmahnwachen: Mit rechts für den Frieden?
Etwa zur gleichen Zeit, um das Jahr 2014, werden in ganz Deutschland Montagsmahnwachen für den Frieden organisiert. Nach der sogenannten Maidan-Revolution 2013, die den Ukraine-Krieg zur Folge hatte, fanden hier Menschen zusammen, die sich diffus zu dem Ziel bekannten, irgendwie für Frieden zu sein. Den Montagsmahnwachen gelang es so binnen kürzester Zeit, vermeintlich Unpolitische ebenso zu sammeln wie solche mit linkem Selbstverständnis, selbsternannte Alternative, aber auch Rechte und Anhänger_innen der Reichsbürger-Bewegung. Das lag auch daran, dass die Linke zu dem Konflikt wenig zu sagen hatte und antimilitaristische Politik in der linken Bewegung ohnehin nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Schon damals war, wenn auch in kleinerem Umfang, jener Selfmade-Medienkosmos zur Stelle, der die Corona-Leugner_innen bis heute begleitet: So war der verschwörungsideologische YouTuber Ken Jebsen ebenso vor Ort wie Jürgen Elsässer, Chef des extrem rechten Magazins COMPACT. Bei einer Mahnwache für den Frieden in Berlin am 3. Oktober 2014 trat sodann auch Xavier Naidoo auf, der später zu einem bekannten Gesicht der Corona-Leugner_innen werden sollte.
Auch ein Frankfurter Phänomen
Dass sich Anhänger_innen von Friedensmahnwachen, globalisierungskritischen Bewegungen oder der Umweltbewegung auf Protesten von Corona-Leugner_innen wiederfinden lassen, ist beileibe keine Seltenheit. Allein in Frankfurt lässt sich ein knappes Dutzend Corona-Leugner_innen aufzählen, die meinen, eine linke Sache in die Öffentlichkeit zu tragen. Distanz zur politischen Rechten zu halten scheint ihnen aber dennoch unwichtig.
Da wäre etwa Hajo Köhn, bis Mai 2020 unscheinbares Attac-Mitglied, wohnhaft in Frankfurt-Bornheim. Köhn betrieb mit seiner Initiative Neue Geldordnung Kritik am Geld-, Banken- und Zinssystem. Die Initiative war bis dahin im linksalternativen Club Voltaire ansässig. Auch bei Occupy war Köhn aktiv gewesen, noch heute erinnern sich damalige Bündnispartner_innen an Köhns bisweilen problematische Positionen – doch erst sein Engagement bei Corona-Leugner*innen-Kundgebungen im Jahr 2020 führte zum Bruch mit der linken Polit-Szene. Am 9. Mai führt Köhn einen sogenannten Hygiene-Spaziergang durch die Frankfurter Innenstadt gemeinsam mit der evangelikalen Fundamentalistin und früheren Fragida-Organisatorin Heidi Mund an; die beiden halten gar eine gemeinsame Abschlussrede.
Der 400-köpfige Hygiene-Spaziergang sorgt für einen öffentlichen Aufschrei. Der Frankfurter Rundschau erklärt Köhn zwei Tage später, er wolle verhindern, dass Rechte die Proteste, bei denen es sich in seinen Augen um eine Demokratie-Bewegung handle, dominierten: „Ich will nicht, dass solche Leute bestimmen.“ Er kämpfe „um die Führung“, um dies zu verhindern. Diese Ankündigung mutete umso ironischer an, da er zu diesem Zeitpunkt bereits mit Heidi Mund kooperiert hatte. Und so recht gelingen wollte es ihm auch nicht: Auch die von Köhn angemeldeten Kundgebungen zogen massenweise Antisemit_innen, NS-Relativierer_innen und andere Rechte an – ohne dass Köhn sie ausschloss. Attac und der Club Voltaire distanzierten sich in der Folge von Köhn und seinen Ideen.
Erst für den Frieden, dann gegen den Lockdown
Jan Veil, einstiger Techno-Musiker und lange Zeit Landesvorstand von Mehr Demokratie e.V. Hessen, sprach noch im Mai 2019 auf einer linken Demo anlässlich der Europawahl. Doch im Jahr 2020 spielt für ihn die Musik ebenfalls bei den Corona-Leugner_innen, auf Köhns Kundgebungen an der Weseler Werft tritt Veil gleich mehrfach auf. Inzwischen gehört er der Freien Linken an, die auf ihrer Webseite die „Resolution der Kommunarden“ nach Bertolt Brecht zitiert und sich in bester linker Tradition wähnt. Im rechtsoffenen Fahrwasser der Querdenken-Bewegung hat er sich dennoch wohlig eingerichtet: Zuletzt besuchte er eine Kundgebung im März 2021 in Wiesbaden, auf der unter anderem der Stuttgarter Arzt und ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner sprach.
Auch in Frankfurt hatten 2014 und 2015 regelmäßige Montagsmahnwachen „für den Frieden“ stattgefunden. Teile der damals organisierenden Gruppe, der Friedensgruppe Frankfurt, waren als Anti-NATO-Gruppe ebenfalls am Blockupy-Bündnis beteiligt gewesen. In der Gruppe Widerstand 4.0 machen einige von ihnen bis heute gemeinsam Politik – doch nun geht es um die Ablehnung des Impfens, sowie die verschwörungsideologischen Narrative angeblicher Zwangsverchippung, des Great Reset, und der New World Order.
Gundolf Hambrock, einer der Köpfe der Gruppe, ist eine mächtige Erscheinung. Mit glattem, weißen, langen Haar tritt er ans Mikrofon und warnt vor 5G-Strahlung und dem Great Reset. Schuld an dem Ganzen seien freilich die Finanzeliten höchstpersönlich. Hambrock ist ein politisch engagierter Mensch: Er unterschreibt zahllose Petitionen, etwa gegen Atomwaffen in Deutschland, für die Abschaffung des Verfassungsschutzes, gegen Berufsverbote, gegen die Ächtung der Israel-Boykottbewegung BDS. Einst im Taxigewerbe tätig, war Hambrock später Berufsschullehrer, und legte sich manches Mal mit dem Schulamt an, indem er im Unterricht die junge Welt verteilte oder Auftritte von Bundeswehroffizieren an Schulen kritisierte. Ehemalige Schüler_innen beschreiben ihn als engagiert und empathisch, manche von ihnen lud er sogar in seinen Kleingarten am Fuße des Europaturms in Frankfurt-Ginnheim ein.
Gemeinsam mit Klaus Karg und Regina S.-Y. bildet Hambrock den Kern der Gruppe Widerstand 4.0. Auf dem Blog regenbogen-krieger.net veröffentlichen diese bereits seit Jahren ihre Sicht auf die Welt, verbreiten Verschwörungsideologien zum islamistischen Anschlag vom 11. September 2001 oder überziehen die Frankfurter außerparlamentarische Linke mit Häme, namentlich Antifa United Frankfurt, No Border Frankfurt oder die hiesige Fridays for Future-Ortsgruppe – zumeist, weil diese nichts mit ihnen und ihren Thesen zu tun haben wollten.
Im Winter 2020/21 verlegt sich Widerstand 4.0 von Kundgebungen auf dem Opernplatz auf Autokorsos. Durch verschiedene Stadtteile Frankfurts fahren die motorisierten Demos seither. Immer mit dabei ist auch Hartmut Issmer aus Erlensee, unangefochtener Anführer der extrem rechten Ein-Mann-Bewegung Patrioten für Deutschland. Gundolf Hambrock und Regina S.-Y. verstehen sich gut mit Issmer. Mögliche politische Differenzen sind hier schon kein Thema mehr.
Die da unten gegen die da oben
Offensichtlich ist, was die vermeintlichen Linken an der Corona-Leugner_innen-Szene reizt: Sektiererische Altlinke treffen sich mit vermeintlich unpolitischen Maskenverweigerer_innen und an-politisierten Verschwörungsfans in diffuser Elitenkritik und latentem oder auch offenem Antisemitismus. Alle Antifaschist_innen, die gegen das reaktionäre Treiben von Corona-Leugner_innen demonstrieren und auf das Engagement extremer Rechter in der Bewegung hinweisen, sind für sie folglich Verräter_innen, keine wahren Linken, oder gleich vom Staat gesteuert. Der rechte Verschwörungsmythos einer „staatlich bezahlten Antifa“ ist auch in ihren Kreisen geläufig.
Viele, die mit linkem Selbstverständnis bei den Corona-Leugner_innen demonstrieren, denken, die Bewegung sei von links beeinflussbar und für linke Inhalte zu haben. Dass sich dies als Trugschluss herausstellen muss, zeigt auch die Erfahrung ähnlicher Bewegungen, etwa der Gelbwesten Wiesbaden. Damals scheiterten jegliche linke Interventionsversuche – die Protagonist_innen der Gelbwesten laufen im Jahr 2020 bei Querdenken mit.
Alles, nur nicht rechts
Die Corona-Leugner_innen-Bewegung fiel nicht vom Himmel. Die entsprechenden Positionen, die Melange aus verkürzter Kapitalismuskritik, Esoterik und bauchlinken Positionen verschmelzen seit Jahren zu einer rechtsoffenen, verschwörungsideologischen Mischszene, die mit den Corona-Leugner_innen-Protesten ihr bislang wirksamstes Ventil gefunden hat. Einige der Protagonist_innen verfolgen dabei eine bewusste Querfrontstrategie und wollen ein Identifikationsangebot für jene, die weder links noch rechts sein wollen. Die Folge ist eine reaktionäre Bewegung, die – im Gegensatz zu Neonazis oder anderen Spektren der extremen Rechten – selbst bloß nicht rechts sein will.
Die antifaschistische Linke stellt dies freilich vor die nicht zu unterschätzende Aufgabe, Aufklärungsarbeit über die Rechtsoffenheit der Corona-Leugner_innen-Szene zu leisten und Großveranstaltungen mit Protest zu begegnen. Die North East Antifa aus Berlin argumentierte im Dezember 2020, insbesondere die Schwäche der Linken in antimilitaristischen Fragen sei Auslöser dafür, dass sich seit dem Ukraine-Krieg eine rechtsoffene Szene rund um das klassischerweise linke Thema Frieden entwickeln konnte. Dem mag man entgegen, dass die Friedensbewegung auch schon vorher zu vereinfachten Freund-Feind-Bestimmungen neigte – klar ist jedoch, dass die Linke bei aufkommenden Konflikten eigene Positionen stärker und früher in den Vordergrund rücken muss. Und das nicht, um in rechtsoffene Proteste zu intervenieren, sondern um den Unentschlossenen ein Alternativangebot machen zu können.
Gegen die falsche Kritik!
Nötig ist auch, die linke Kritik an der Einrichtung der Welt gerade in der Krise zu schärfen. Eine vermeintliche Systemkritik, die sich einseitig etwa auf Globalisierung und Neoliberalismus, auf Geld- oder Zinssystem fokussiert statt auf den Kapitalismus selbst, wird immer drohen, ins Reaktionäre umzuschlagen. Eine ökologische Einstellung, die zugleich einen mythischen Naturbegriff kultiviert, wird immer anfällig sein für Esoterik, Impfkritik und alternative Heilsversprechen. Eine Klassenpolitik, die sich in diffuser Elitenkritik ergeht, wird immer vor allem im rechten Lager Gefallen finden.
Trotz besserer Argumente wird es nicht gelingen, alle ex-linken Corona-Leugner_innen zurückzugewinnen – und das muss auch nicht der eigene linke Anspruch sein. Es kann keine Zusammenarbeit geben mit jenen, die in der Corona-Krise den „globalen Faschismus“ oder „Ermächtigungsgesetze“ kommen sehen, die eine „Neue Weltordnung“ installieren wollen. Demgegenüber muss die eigene Kritik geschärft werden: Impfstoffnationalismus und die verheerenden Wirkungen von Patenten, der mangelnde Schutz vor Ansteckung in der Arbeitswelt als Symptom kapitalistischer Krisenverwaltungspolitik und autoritäre Maßnahmen mit mangelhafter Verhältnismäßigkeit wie nächtliche Ausgangssperren gehören dafür in den Fokus linker Kritik. Den verkürzten Parolen derer, die sich zwar für links halten, aber schon immer zu Verschwörungsmythen neigten, müssen wir weiterhin entschlossen widersprechen. Die hier vorgestellten Ex-Linken haben sich von einer treffenden Kritik der Verhältnisse schon lange verabschiedet.
*lit.
https://taz.de/Selbstvermarkter-Anselm-Lenz/!5681197/
https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-streit-zukunft-corona-proteste-13758987.html