How to (not) Have Sex – Eine Filmanalyse
Bereits Ende letzten Jahres startete der in Cannes prämierte Film »How to Have Sex« von der Regisseurin Molly Manning Walker in Deutschland in den Kinos.1 Leider erhielt er keine allzu langen Laufzeiten. Trotz lobender Worte der Kritik blieb eine wirklich breite Rezeption aus, sodass er eher als Geheimtipp zu gelten hatte.2 Doch am Mittwochabend, den 26. Juni 2024 führt das studentische Kino »Pupille« den Film nochmal im Studierendenhaus in Bockenheim auf.3 Ein Besuch lohnt sich, denn was zunächst wie ein klassisches Coming of age-Drama mit blickfangendem Titel anmutet, entpuppt sich als eine ebenso einfühlsame wie kluge Reflexion über die sexuelle Unterdrückung hinter der ach so sexuell befreiten Partykultur junger Erwachsener.
Um den in dem Film dargestellten, repressiven Geschlechterverhältnissen auf den Grund zu gehen, eignet sich ein vor bereits 36 Jahren erschienener Klassiker der feministischen Theorie: The Sexual Contract von Carole Pateman. Darin legt sie dar, inwiefern sich hinter der auf freien Verträgen beruhenden Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft eine konstitutive Herrschaftsbeziehung von Männern über Frauen verbirgt – der titelgebende Sexualvertrag.4 Dieser meißelt das »Sexrecht« des Mannes in Stein, also seine prinzipielle Verfügung über den weiblichen Körper. Folgt man der Analyse der Sozialphilosophin Nancy Fraser, erscheint der Sexualvertrag bei Pateman in drei verschiedenen Hinsichten: Als »geheimer« Vertrag-hinter-dem-Vertrag bei den klassischen kontraktualistischen Denkern wie John Locke, in ganz konkreter Form in Verträgen bestehender Gesellschaften wie Ehe- und Prostitutionsverträgen sowie als Interpretationsrahmen für die patriarchale Kultur insgesamt.5
Der Sexualvertrag als kulturelles Interpretationsschema
Es ist besonders diese letzte Bedeutung, die in dem Kontext der Filmanalyse von Interesse ist. Der Sexualvertrag begründet ein allgemeines Herrschaftsverhältnis des Mannes über die Frau, das sich nicht nur in Gesetzgebung und Institutionen manifestiert, sondern die Dimension kultureller Deutungen und Symbole prägt, entlang derer jeder Einzelne zu einem Verständnis seiner Selbst und seiner Umwelt gelangt. So gelangt der Mann zu einem Verständnis seiner selbst als Gebieter über den Körper der Frau – eine Herrschaft, die er mit den anderen Männern brüderlich teilt – während sich die Frau als Unterworfene interpretiert. Man sollte Pateman hier nicht voreilig mit dem Verweis darauf widersprechen, dass diese Symbolik durch kulturelle Wandlungen im Zuge feministischer Bemühungen längst überholt ist. Im Gegenteil, die patriarchalen Zwänge sind zwar subtiler, aber dadurch nicht weniger wirksam, sondern eben nur weniger leicht zu entdecken geworden. Es ist genau diese Subtilität, die uns Molly Manning Walker mit How to have Sex so gekonnt vor Augen führt.
Zwischen Freiheit und Zwang
Darin erleben die drei jungen Britinnen Skye, Tara und Em den Wahnsinn, den ein Party-Pauschalurlaub nach (hoffentlich geglückten) Abschlussprüfungen bedeutet. Und zwar mit allem Drum und Dran: Alkohol aus Eimern, Käsefritten, schlechte Musik, sexualisierte Bühnenshows und natürlich Jungs. Was zu Beginn so befreit und unschuldig anmutet, beginnt schnell in sein Gegenteil zu kippen. Aus dem Party-Hype wird Party-Zwang. Denn Skye macht den anderen Druck: Wer wird wohl am meisten sexuelle Erfahrungen sammeln? Wird Tara nun endlich ihr erstes Mal erleben? Und mit welchem der Männer sollte man am ehesten »was haben«? Noch viel mehr Druck machen die besagten Männer selbst. Ein Zimmernachbar kommt seinem Freund Badger zuvor, der bereits ein Auge auf Tara geworfen hatte. Was mit einer widerstrebend gehauchten Zustimmung Nachts am Strand beginnt, kulminiert in einer späteren Szene im Hotel in einer blanken Vergewaltigung. Tara ist bis kurz vor Schluss des Films der Sprache über den Vorfall beraubt. »Mädchen, sag was« lautet der Titel einer in der Süddeutschen Zeitung zum Deutschland-Release erschienen Filmkritik.6 Man kommt nicht umhin, diesen Satz als Zuschauer mitzudenken, begleitet von der Hoffnung, dass der Täter doch noch zur Rechenschaft gezogen wird. Gleichzeitig muss man fast schon gezielt weggeschaut haben, um der Auffassung zu sein, dass Tara ihr Unbehagen nicht kommuniziert: Blicke, Gestiken, Stimmungen, alles deutet auf das Offensichtliche hin. Und doch nimmt das niemand wahr. Was ist passiert? Welche Unterdrückungsmechanismen sind hier am Werk? Es lassen sich mehrere Ebenen unterscheiden.
Schwesterliche Ungerechtigkeit
Da sind zunächst Tara selbst, ihre Freundin Skye und der Kontext, in dem sich beide bewegen. Tara erfährt die männlichen Übergriffe zumindest in Teilen als legitim und erlangt erst allmählich Einsicht in deren Verwerflichkeit. Das liegt daran, dass sie sich gemäß dem oben erläuterten symbolischen Schema des Sexualvertrags primär als Objekt des Mannes begreift. Gefördert wird diese Interpretation durch den sozialen Druck, der auf sie ausgeübt wird, doch endlich mal »Erfahrungen« zu machen. Das erklärt auch, warum Tara das Geschehene nicht offen ausspricht. Der Druck entspringt einerseits allgemeinen, gesellschaftlichen Erwartungen und andererseits der expliziten Aufforderung durch Skye. Nicht nur stachelt sie Tara im Vorhinein dazu an, endlich ihr Erstes Mal zu haben, ihr fällt auch im Nachhinein nichts besseres ein, als über das gute Aussehen, die Sportlichkeit und sexuelle Finesse des Täters zu plaudern. Das Verhalten von Skye veranschaulicht, wie in solchen Partyurlaubsszenarien die Sexualherrschaft des Mannes zur Selbstverständlichkeit wird. Man muss diese Herrschaft wollen, schließlich ist sie Ausdruck von jugendlicher Freiheit in einer freizügigen Umgebung. Dass ein Partygast auf der Bühne von drei Frauen einen Blowjob bekommt, scheint hier ebenso selbstverständlich, wie dass man literweise Alkohol aus Plastikeimern trinkt. Geben und Nehmen lautet die Devise des sexuellen Warentauschs, die von allen Geschlechtern vor der Bühne bejubelt wird und die daher auch vor der Schwesterlichkeit der Freundinnen nicht zurückschreckt. Doch die Männer grölen dabei stets lauter als die Frauen, was die tiefere patriarchale Ebene aufzeigt.
Brüderliche Ungerechtigkeit
Es mag den Anschein haben, als gäbe es in dem Film einen good guy. Dieser good guy ist Badger, der zwar ein paar flotte Sprüche auf den Lippen hat, aber in Wirklichkeit handzahm ist. Er spürt, dass mit Tara etwas nicht stimmt, kümmert sich um sie, macht ihr Tee und bringt sie ins Bett – ohne sich zu ihr zu legen. Badger könnte tatsächlich als good guy durchgehen. Doch er ist ein Täterschützer. Denn Tara gibt ihm in einer Szene mit einem Blick klar zu verstehen, dass ein Problem besteht. Er springt darauf an und bezeichnet den Täter als schlimme Person. Allerdings kenne er ihn seit seiner Kindheit. Er wohne in seiner Straße und ihre Mütter seien befreundet. Er sei wie ein Bruder für ihn und wie ein Bruder wird er durch ihn geschützt.
Das führt uns zurück zu Pateman, die aufzeigt, wie mit dem Anbruch der Moderne der klassischen patriarchalen Herrschaft eine Absage erteilt wurde. Die politische Macht gründet sich nicht länger auf der erblich bestimmten absoluten Herrschaft eines einzelnen Mannes, sondern auf einem Vertragsschluss unter Freien und Gleichen. Doch dieser Vertragsschluss ist selbst eine Assoziation von, mit und für Männer, wie Pateman klarmacht. Die Söhne haben den königlichen Vater zwar erschlagen, doch anschließend teilten sie die politische Macht unter sich auf – ohne Einbeziehung der Schwestern. Seither lebt das Patriarchat in brüderlicher Gestalt fort: Als freiwilliger Zusammenschluss gleicher männlicher Individuen. Durch sein Schweigen stimmt Badger dem sexualvertraglichen Ballast daran zu: Die Frau wird von der öffentlichen Sphäre der politischen Kommunikation ausgeschlossen und klammheimlich der Verfügungsgewalt des Mannes im Privaten unterworfen. Schlag ein, bro!
Grenzen der Zustimmung
Die Dimension des Brüdervertrages führt zu der letzten und bedeutsamsten Ebene, nämlich der Ebene des Täters selbst. Dieser verwirklicht sein »Sexrecht« unmittelbar. Dabei ist er in der besagten ersten Szene am Strand kein Vergewaltiger im strengsten Sinne. Zwar bedrängt er Tara auf unangenehme Weise, doch er ringt ihr unter zweifacher Frage schließlich ein »Ja« ab. Man könnte sagen, er hat einen Vertrag mit ihr geschlossen – und nach wie vor bildet der Vertrag das paradigmatische Modell, unter dem Einvernehmlichkeit gedacht wird. Die Problematik dabei ist, dass das Vertragsmodell eine grundsätzliche Gleichheit der beteiligten Parteien voraussetzt. Von einer solchen Gleichheit kann in Folge des kulturellen Deutungsschemas des Sexualvertrages jedoch nicht die Rede sein. Tara interpretiert sich vorgängig als die Zustimmende und der Täter als derjenige, der die Zustimmung einholt. Hierbei ist immer schon ausgemacht, dass ein Zugang des Mannes zum weiblichen Körper prinzipiell legitim ist und im Kontext feuchtfröhlicher Partyeskapaden gar allgemein gewollt. Diese Problematik würde auch dann nicht verschwinden, wenn man jedes noch so kleine Detail der sexuellen Interaktion nach dem Vertragsmodell per Konsens absichert. Hinzukommt, dass die Dauer der Gültigkeit des Vertrags offenkundig nicht festgelegt ist. In den Augen des Täters begründet die einmalige Zustimmung von Tara eine fortwährende Verfügungsgewalt. Und auch Tara selbst ist nicht klar, ob und in welcher Weise sie diese Zustimmung wieder rückgängig machen kann. Diese Dynamik mündet schließlich in der nunmehr offensichtlichen Vergewaltigung in der zweiten, späteren Szene im Hotel.
Dieser furchtbare Moment lässt zutage treten, was bereits am Anfang im Keim enthalten war. Der beim ersten Mal artikulierte Vertrag gründet sich selbst auf einen verschwiegenen Sexualvertrag, demzufolge dem Mann die sexuelle Beherrschung der Frau im Kontext der hier dargestellten Partykultur schlichtweg zusteht; ein Sexualvertrag, der die sozialen Diskurse und damit auch die daraus hervorgehende Selbstdeutung der Subjekte prägt. Eine solche Subjektivität erfüllt jedoch nicht die anspruchsvollen Anforderungen der Freiheit und Gleichheit, die an die Partner eines legitimen Vertrages angelegt werden müssen. So entpuppt sich der nackt am Strand beschlossene Vertrag als vollkommen illegitim. Die Schwierigkeit dabei ist, dass diese Illegitimität gerade aufgrund des Vertragsmodelles, das ja Legitimität suggeriert, nicht erkannt wird. Das Vertragsschema erfüllt daher den Zweck einer ideologischen Verschleierung. Der Vertrag ist somit nicht die verzerrte Folgeerscheinung eines Ungleichheitsproblems. Er ist selbst das Problem, indem er die Ungleichheit hinter dem Schein der Gleichheit verewigt. Das ist eine der wichtigen Thesen von Patemans Werk, die sich anhand des Films ästhetisch nachvollziehen lassen.
Alternative zur Alternativlosigkeit
Doch vielleicht muss man ab einem bestimmten Punkt von Patemans Denken Abstand nehmen und sich Nancy Frasers Kritik an ihr anschließen, um einen Funken Hoffnung zu bewahren. Wie Fraser aufzeigt, ist Patemans Ansatz in seiner Absolutheit in gewisser Weise reduktionistisch. Schließlich deutet er die gesamte Gesellschaft alleinig entlang des Schemas des Sexualvertrages, der sich letztlich auf eine duale Herr-Knecht-Beziehung zwischen Mann und Frau gründet. Für andere Interpretationsschemata, für komplexere und vielschichtigere Machtphänomene wie auch für alternative Beziehungsformen zwischen Mann und Frau lässt Pateman wenig Spielraum. Dabei sind schon in der bestehenden Gesellschaft emanzipative Momente vorhanden, die auf eine gerechtere Ordnung hindeuten. Das zeigt uns erneut Walkers Film.
How to have Sex scheint Patemans Reduktionismus zunächst zuzustimmen. Immerhin ist die einzige Person, die Taras Leiden schließlich erkennt, ihre lesbische Freundin. Die auf den Sexualvertrag gegründeten, heterosexuellen Beziehungsformen scheinen ein wechselseitiges Verständnis zwischen den Geschlechtern schlichtweg nicht zuzulassen. Doch tatsächlich führt uns der Film in einem anderen Moment eine Alternative vor. Nach Taras traumatisierendem ersten Mal taumelt sie vereinsamt und verzweifelt allein durch den Club. Eine Gruppe junger Männer und Frauen werden auf sie aufmerksam und nehmen sie in ihren Kreis auf. Tara hat eine gute Zeit. Anstatt sie am Ende der Clubsession wieder allein zurückzulassen, nimmt die Gruppe Tara mit zu ihrer Villa und kümmert sich um sie. Die Frau in der Gruppe, der Tara im Club aufgefallen war, bietet ihr ihren Schlafplatz an. Sie selbst könne einfach bei einem Freund mit im Bett schlafen. Ob sie also mit diesem Freund zusammen sei, fragt Tara die Frau neugierig. Sie verneint die Frage: Er wäre einfach wie ein Bruder für sie. Eine nicht-sexualvertragliche Beziehung zwischen Mann und Frau bleibt dem Film zufolge also möglich.
Geschwisterliche Gerechtigkeit
Am Ende von Das andere Geschlecht schreibt Simone de Beauvoir, dass in einer wahrhaft geschlechtergerechten Gesellschaft die Menschen über ihre Unterschiede hinweg ihre Brüderlichkeit behaupten sollten.7 Brüderlichkeit in diesem weiten, universellen Sinne – man sollte wohl eher von Geschwisterlichkeit sprechen8 – bildet weiterhin die Norm, gegen die ungleiche Geschlechterverhältnisse kritisch gemessen werden. Diese Geschwisterlichkeit ist dabei kein »freistehender Normativismus«,9 kein abstraktes Sollen ohne Bezug zu bereits existierenden sozialen Praktiken. Im Gegenteil, wie uns How to have Sex in der besagten Szene vorführt, ist die geschwisterliche Gerechtigkeit in einigen wenigen Formen sozialer Praktiken bereits vorhanden und muss nunmehr auf alle anderen ausgeweitet werden – damit die jugendliche Freiheit zwischen den Lebensabschnitten nicht stets in alte Zwänge umschlägt.