Am 1. Juli 2023 fand im Congress Park Hanau ein Symposium des christlich-fundamentalistischen „Demo für alle“-Netzwerks statt. AnhängerInnen der Anti-Abtreibungs-Szene und GegnerInnen von Sexualaufklärung diskutierten hier einen Tag lang ausgerechnet über das Thema Propaganda – die dabei selbstverständlich nur links verortet wurde.

 

Nicht weniger als der „Schutz unserer Kinder“ und der „Verteidigung von Ehe und Familie“ ist ihr Ziel: Am 1. Juli tagte in Hanau das „Demo für alle“-Netzwerk. Seit nunmehr fast zehn Jahren protestieren unter diesem Motto verschiedene AkteurInnen aus konservativen, christlich-fundamentalistischen und extrem rechten Spektren gegen Gleichstellungspolitik, Sexualaufklärung, Gender Studies, die Selbstbestimmung marginalisierter Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierungen, Abtreibungen, und andere Inhalte (queer-)feministischer Politik. Die erste „Demo für alle“ hatte 2014 in Stuttgart stattgefunden, lehnte sich stark an die französische „La Manif pour tous“ an und übernahm größtenteils deren Konzept. Stein des Anstoßes war damals ein neuer Sexuallehrplan in Baden-Württemberg, hinter dem das rechte Bündnis die „Frühsexualisierung“ von Kindern vermutete. Seitdem ist die „Demo für alle“ aus den deutschsprachigen Netzwerken des Antigenderismus und Antifeminismus kaum mehr wegzudenken.

Antigenderismus verbindet

Auf Demonstrationen, die unter dem Label „Demo für alle“ organisiert wurden, fanden sich dementsprechend bereits seit Beginn der Kampagne Angehörige der extremen Rechten wie selbstverständlich ein: Darunter Mitglieder der Identitären Bewegung, der AfD, aber auch der NPD und der neonazistischen Kleinstpartei Der Dritte Weg, wie im Oktober 2016 in Wiesbaden. Eine lapidare Distanzierung der Organisatorin Hedwig von Beverfoerde von „extremistischen Gruppen“ konnte diese offenbar nicht von der Teilnahme abhalten. Als die „Demo für Alle“ im Mai 2017 erneut in Wiesbaden eine Demonstration organisierte, zeigte ein Mann gar einen Hitlergruß.

„Demo für Alle“ im Oktober 2016 in Wiesbaden
© Protestfotografie Frankfurt

„Demo für Alle“ im Oktober 2016 in Wiesbaden.

Außer Demonstrationen organisiert das Netzwerk auch Tagungen: Im Januar 2018 fand ein Symposium in Kelsterbach statt, bei dem vor allem die Öffnung der Ehe für Homosexuelle thematisiert wurde – das „Demo für Alle“-Bündnis lehnt diese Liberalisierung des Eherechts selbstredend ab. Im Mai 2017 hatte man in Wiesbaden bereits darüber diskutiert, dass die Akzeptanz sexueller Vielfalt eine Sache des Teufels sein müsse. Aufklärung über Regenbogenfamilien und diverse Lebensmodelle jenseits des heterosexuell-verheirateten Paarverhältnisses seien gefährlich, warnen die unermüdlichen KämpferInnen um Beverfoerde.

Im Netzwerk der extremen Rechten

Hedwig von Beverfoerde ist es auch, die zum jüngst in Hanau stattgefundenen Symposium geladen hatte. Doch sie kämpft nicht allein: Das „Demo für Alle“-Netzwerk erstreckt sich über eine Vielzahl von Vereinen und Gruppierungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Manche kommen aus der antifeministischen „Männerrechtsbewegung“, andere aus dem christlichen Fundamentalismus. Mit dabei ist auch die in Frankfurt ansässige Deutsche Vereinigung für eine christliche Kultur (DVCK), deren Vorsitzender Benno Hofschulte auch beim Symposium in Hanau zugegen war. An derselben Adresse, einem Wohnhaus im Frankfurter Ortsteil Niederursel, haben auch weitere einschlägige Gruppierungen ihren Sitz, darunter die Deutsche Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP), die vor einigen Wochen gegen eine Drag-Show vor dem Einkaufszentrum „MyZeil“ protestierte. Auch ihr Vorsitzender Mathias von Gersdorff wohnt in Frankfurt und betätigt sich als Publizist der christlichen Rechten.

„Demo für Alle“-Symposium am 1. Juli 2023 in Hanau
© dokunetzwerk rhein-main

„Demo für Alle“-Symposium am 1. Juli 2023 in Hanau

Hedwig von Beverfoerde und Mathias von Gersdorff sind dabei nicht die einzigen Adligen, die in den rechten Netzwerken um die „Demo für Alle“ aktiv sind: Auch Beatrix und Sven von Storch mischen mit ihrem Verein Zivile Koalition und diversen Initiativen, Kampagnen und Plattformen kräftig im Netzwerk mit; Beverfoerde agiert dabei teils als Sprecherin. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch ist bereits seit über 20 Jahren im christlich-fundamentalistischen Milieu aktiv.

Propaganda, das sind die anderen

Wenn ein antifeministisches Kampagnen- und Propaganda-Netzwerk über Propaganda aufzuklären vorgibt, bleiben unfreiwillig komische Momente nicht aus. So wurde auf dem Hanauer Symposium, an dem etwa 200 Personen teilnahmen, einerseits vor der Presse gewarnt – insbesondere in Form gefährlicher Fotografen vor dem Eingang, aber auch angesichts der als geradezu linksradikal eingeschätzten Redaktionsstuben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks –, andererseits aber auch zum Aufbau eigener Medienformate aufgerufen. Ralf Schuler, ehemals Hauptstadtkorrespondent der Bildzeitung raunte davon, dass Milliarden aus der öffentlichen Hand in linke und schwul-lesbische Vereine flössen, diese wiederum am Tropf US-amerikanischer FinanzmarktakteurInnen hingen, und dass es so immer schwieriger würde, sich der Genderpropaganda zu erwehren.

Auch die Publizistin Gabriele Kuby begann ihren öffentlichen Vortrag vor 200 ZuhörerInnen, der voller antifeministischer Thesen war, ganz ungeniert mit der Feststellung, freie Meinungsäußerung sei fast unmöglich geworden. Sie verortete das Problem der modernen Welt in den Überzeugungen des Humanismus: Wo Glück zum Ziel wird, Fortschritt gut ist, alles als Materie wahrgenommen wird, wo schlichtweg das Anti-Metaphysische Überhand gewinnt, da geht es eben anti-christlich zu. Die christlichen Eckpfeiler ewiges Leben, Erbsünde, Wiederkunft Christi und metaphysische Wirklichkeit, erkennt Kuby, würden kaum mehr verkündet. Das Publikum quittiert dies mit einem „Amen“. Als Gegengift gegen die Gender- und sonstige linke Propaganda empfiehlt Kuby starke familiäre Bindungen, sinnhafte Arbeit und das Erbringen von Opfern. Zum Schluss teilt sie noch gehörig aus: Universitäten seien Hauptbrutstätte der Genderideologie, eine „woke Staatsideologie“ habe inzwischen die öffentlichen Institutionen erfasst. Die Lösung: Jesus Christus – entsprechend beendet Kuby ihren Vortrag auch mit einem Zitat aus der Bergpredigt. Ähnliche Thesen schrieb Kuby auch bereits in ihren zahlreichen Artikeln, die in rechten Blättern wie der Jungen Freiheit erscheinen.

Der emeritierte Professor für Kommunikationswissenschaften Hans Mathias Kepplinger schlug in die gleiche Kerbe wie Kuby, versuchte aber, derartige Thesen empirisch zu begründen. Journalist*innen kämen, da ist sich Kepplinger sicher, überwiegend aus „liberalen und postmateriellen Milieus“, sind mithin linksgrün ausgerichtet oder stünden – noch schlimmer – der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt offen gegenüber.

Im „Stolzmonat“ gegen die „Familienzerstörer“

Der Rechtspopulist Johannes Menath, der öffentlich immer wieder artikuliert, die „konsumorientierte, geistlose“ Kultur des „pseudo-hyperindividuellen“ Amerikanismus sei eines der Kernprobleme der modernen Gesellschaft, stellte Techniken der Manipulation vor und versuchte diese anhand eines Beitrags der ARD-Sendung „Monitor“ zu belegen. Seinen Vortrag fütterte er mit allerlei erkenntnistheoretischen Andeutungen, wohl um den Eindruck philosophischen Tiefgangs zu erwecken; letztendlich blieben seine Ausführungen zu Kant, Hume und Descartes jedoch im Unklaren.

Johannes Menath erläutert auf dem „Demo für Alle“-Symposium am 1. Juli 2023 in Hanau die „Stolzmonat“-Kampagne

Johannes Menath erläutert auf dem „Demo für Alle“-Symposium am 1. Juli 2023 in Hanau die Vor- und Nachteile der „Stolzmonat“-Kampagne

Menath blieb dabei aber längst nicht bei der Übermacht einer vermeintlichen Genderideologie stehen; vielmehr verdeutlichte sein Vortrag eindeutig, wie im „Demo für Alle“-Netzwerk auch andere Themen der extremen Rechten verhandelt werden: Der Referent streifte Propaganda zum Klima, zur Migration, zu Corona. Zentrales Übel für Menath: Propaganda sei heute nicht mehr bloß in der Politik zu verorten, sondern eben auch im Bereich der Kultur. Man möchte dem Referenten an dieser Stelle die Lektüre des Kulturindustrie-Kapitels aus der „Dialektik der Aufklärung“ empfehlen, doch dieser springt sogleich weiter und empfiehlt die multimediale Aktivierung der Basis und die Neutralisierung der Angriffe mit Humor, Solidarität und Medienkritik – was er sogleich mit der Anti-Pride-Kampagne „Stolzmonat“ vorstellt. Aus der Regenbogenfahne, dem wichtigsten Symbol für den Kampf um geschlechtliche Selbstbestimmung und sexuelle Vielfalt, wird hier durch Umfärbung ein schwarz-rot-goldener Anti-Regenbogen, der gegen „Genderideologie“ eine laut Menath „positive Botschaft“ vermittelt. Die ZuhörerInnen des Symposiums nicken eifrig.

Draußen vor dem Saal stehen Infostände, etwa von der CDU-nahen Organisation Christdemokraten für das Leben, der neurechten Zeitschrift Cato oder der extrem rechten Jungen Freiheit, aber auch von der Gruppierung Eltern stehen auf, die der rechten Verschwörungsszene entstammt und sich im Zuge der Corona-Proteste gründete. Bundesvorsitzender und zugleich WerteUnion-Mitglied Christian Steidl, der in seinen Artikeln gern das Wort „Pandemie“ durch „Plandemie“ ersetzt und so einen geheimen Plan hinter der CoViD-19-Pandemie insinuiert, ist auch da, und lässt sich mit Gabriele Kuby fotografieren. Der Anschluss der antifeministischen Szene zur rechten Verschwörungsszene, die aus den Querdenken-Protesten entstanden ist, scheint an diesem Tag aber ohnehin gelungen: Mehrere TeilnehmerInnen des Symposiums tragen einschlägige T-Shirts aus der CoViD-19-Protestszene. Im heiligen Kampf gegen „Wokeness“ und „Genderideologie“ stehen sie zusammen.