Prozess gegen Franco A.: Ende der Geduld
Eine Köpenickiade ist zu einem geflügelten Wort für Hochstapelei geworden. Es geht zurück auf den Fabrikschuster Wilhelm Voigt, der sich 1906 als Hauptmann ausgab. Mit einem Trupp Soldaten besetzte er das Rathaus von Cöpenick und verhaftete den Bürgermeister: Ein Narrativ welches Franco A. gerne für sich besetzen würde. Schon in seinem Opening Statement bezeichnete Anwalt Hock die Handlungen seines Mandanten als Köpenickiade, in der A. als „zivilcouragierter Bürger“ nur den „Asylmissbrauch“ hatte offenlegen wollen.
Am 8. Juni, dem vierten Prozesstag am Oberlandesgericht in Frankfurt, karikiert der vorsitzende Richter Koller dieses Bild. Am Ende des Gerichtstages richtet Koller sich mit einer erstaunlich offenen, direkten und klaren Ansprache an A.: Das Problem am Bild der Köpenickiade, so Koller, sei: „Der Hauptmann von Köpenick hatte relativ wenig Waffen bei sich.“ Kollers Schlussrede des Gerichttages wirkt fast wie ein genervter Wutausbuch. Sie konfrontiert die Verteidigung mit dem Vorwurf der Taktiererei. A. gestehe immer nur das Offensichtliche. Das sei sowohl unglaubwürdig als auch prozessual für den Angeklagten gefährlich: „Für Sie geht’s hier um richtig viel“, betont Koller. Nicht nur der Anklagepunkt einer schweren, staatsgefährdenden Straftat, sondern auch die Waffendelikte ziehen erhebliche Strafen nach sich. „Wir ermitteln genau, woher das kam, was bei Ihnen im Keller war“ entgegnet Koller der Anklagebank und meint damit die Waffen und Sprengsätze, die A. bei sich hortete. „Wir klären das auf“, verspricht Koller, auch wenn der Mandant sich nicht vollumfänglich einlasse.
Schleppende Beweisaufnahme
Es sind diese Worte, an denen man den Senat bei der Urteilsverkündung wird messen können. Denn die Beweisaufnahme verlief bis jetzt schleppend. Der Angeklagte und seine Verteidigung dominierten die ersten Gerichtstage. Von der Bundesanwaltschaft kamen kaum Nachfragen, auch die Richter_innen unterbrachen die Selbstdarstellungen nicht durch kritische Bemerkungen. Der Vormittag des 8. Juni vergeht mit der Inaugenscheinnahme verschiedener Videos, die A. während seiner Registrierung als Geflüchteter 2015 drehte. Die verwackelten Handyaufnahmen zeichnen ein Bild von A.s absurder Reise durch das deutsche Asylsystem. Als verkleideter Syrer spricht er größtenteils französisch auf den Aufnahmen, allerdings sehr schlecht, wie die herangezogene Sprachsachverständige bemerkt. Wirken die Aufnahmen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen noch recht angespannt, wird A. zunehmend lockerer, spricht auch mal auf Deutsch. Er filmt das Essen, das Geld, welches er erhält. Scheinbar erstaunt bemerkt er: „Es gab niemand der mich als (….) Untermensch behandelt hat“ oder „Sie kommen mit dicken Koffern, als ob sie reisen würden. Man hat nicht den Eindruck, dass sie Kriegsverbrechen gekannt haben“. Diese Aussagen erinnern immer wieder daran, dass diese Videotagebuch keine investigative Dokumentation ist, so gern A. dies nachträglich als solche framen möchte. Vielmehr wird darin der Rassismus explizit, der sich durch Franco A.s Taten zieht.
Eine unglaubwürdige Aussage und ein überraschendes Geständnis
Der 10. Juni beginnt mit der Ankündigung A.s, sich erneut zu den Vorwürfen einzulassen. Koller ist mit den Ausführungen des Angeklagten jedoch erneut unzufrieden und unterbricht diesen häufig. Dem Gericht gehe es nicht um eine Diskussion um Prepping und ob, wie der Angeklagte befürchtete, ein 3. Weltkrieg bevorstünde. Es geht um die in der Anklageschrift festgehaltenen Vorwürfe. Der Angeklagte helfe nicht, die unzähligen Widersprüche in dem Fall zu klären.
Überraschenderweise gibt A. im Laufe seiner Einlassung den „zeitweisen Besitz“ von drei Waffen zu. Zeug_innen hatten A. mit verschiedenen Waffen beobachtet, allerdings hatte man diese 2017 nicht in seinem Keller gefunden. Darunter befindet sich auch eine HK G3-Schnellfeuerwaffe, die dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen unterliegt. Doch die Nachfragen des Richters bringen A. in Bedrängnis. Seit wann befanden sich die Waffen in seinem Besitz? Woher hatte er sie und wo sind sie jetzt? Darüber will A. keine Aussagen machen.
Auch die Erzählung über die versteckte Pistole auf der Toilette des Wiener Flughafens, die A. beim Pinkeln in einem Wiener Gebüsch gefunden haben will, schätzt der Richter als „unglaubwürdig“ ein. A. hatte ein Bild vom Inneren der Toilette in eine Chatgruppe geschickt – angeblich um das Versteck wiederzufinden. Warum er nicht die Kabine von außen fotografiert habe, um so ein Foto mit tatsächlichem Wiedererkennungswert zu haben? Darauf hat A. ebenfalls keine Antwort. Zweifelhaft erscheint dem Gericht zudem das Narrativ A.s, die Örtlichkeiten der Amadeo-Antonio-Stiftung nur besucht zu haben, um mit Anneta Kahane zu diskutieren. Anneta Kahane, die Vorsitzende der Amadeo-Antonio-Stiftung, stand auch auf einer der Listen, die bei A. gefunden wurde. In der Tiefgarage wollte er dann zufällig schauen, ob er Kahane treffe. Die Fotos von ihrem Auto habe A. geschossen, falls er sie zufällig in Berlin treffe.
Ende der Selbstinszenierung?
Die Stimmung im Gerichtssaal hat sich verändert seit dem ersten Prozesstag und ist mittlerweile deutlich angespannter. Schon bei der ersten Einlassung reagierte Richter Koller sehr bestimmt auf die langen motivischen und politischen Ausführungen Franco A.s. Immer wieder fordert Koller A. auf, sich auf die Tatsachen und Fakten zu beschränken. In den beiden längeren Schlagabtauschen zwischen Richter und Angeklagtem in dieser Woche macht Koller klar, dass das Gericht kein Verständnis mehr für die Selbstinszenierung A.s zeigt. „Sie sind einem schwerwiegenden Anklagevorwurf ausgesetzt, ist Ihnen das eigentlich klar?“. Negativ könne ihm die Verweigerung der Aussage zwar nicht ausgelegt werden, aber solange er weiterhin nur seine eigene Beweisführung und seine politische Motivation darlege, könnten ihm die Einlassungen auch nicht als Vorteil dienen. Immer wieder haken Koller und seine Kolleg_innen nach, konfrontieren Franco A. mit der Unglaubwürdigkeit seiner Aussagen. Er sagt selbst, dass sein Vorgehen teilweise unglaubwürdig sei und gibt zu, dass seine Erklärungen nicht sinnhaft seien. „Wir sind halt unterschiedliche Typen“, sagt er zum Richter und spinnt damit seine Selbstdarstellung als investigativem Journalisten und Entdecker weiter fort. An anderer Stelle reagiert er gereizt: Wenn sich das Gericht seine Selbstverteidigung nicht anhören wolle, könne er genauso gut zuhause bleiben. Nach 4 Jahren habe er „jetzt endlich mal die Gelegenheit, sich selbst zu äußern.“ Koller weist ihn zurecht, mit denselben Worten wie jedes Mal: Erst einmal muss das Objektive geklärt werden, die Fakten. Freundlich sieht er dabei nicht mehr aus.
Inwiefern der Senat an der eigenen Forderung festhält und die angekündigte umfängliche Aufklärung bestrebt, wird sich in den nächsten Sitzungen zeigen. Für nächste Woche ist geplant, die Einlassung Franco A.s weiter anzuhören.