Am 17. und 18. Juni fand eine Verbandstagung der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft (ADB) in Frankfurt am Main statt. Diese sorgte im Vorfeld für Wirbel in der Lokalpolitik: Die Stadt hatte für einen Festakt die symbolträchtige Paulskirche vermietet. Die ADB-Tagung zog schließlich zurück und führte ihren Festakt in einem Restaurant in Bockenheim durch. Die Tagung sah sich mit antifaschistischem Gegenprotest konfrontiert.

 

Das Dialog-Quartett hatte eigens den Revolutions-Marsch von Johann Strauß-Sohn einstudiert. Am Sonntagvormittag fanden sich knapp 40 Burschenschafter im Garten des Restaurants „Dionysos am Schönhof“ in Frankfurt-Bockenheim ein, um den Streicherklängen zu lauschen. Doch plötzlich: Laute Musik, Antifa-Parolen. Der bis dahin geheim gehaltene Festakt der ADB-Burschentagung war aufgeflogen.

Dabei hatten es sich die Burschenschafter ganz anders vorgestellt: Eine festliche Tagung sollte es werden, mit dem Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments Rainer Wieland als Festredner. Und das im angemessenen Rahmen: Der Paulskirche, deren Erbe als Symbol der deutschen Demokratiegeschichte insbesondere Korporierte für sich beanspruchen. Doch die ADB-Feier in der Paulskirche war zum Politikum in Stadtverwaltung und Magistrat geworden. Schließlich sahen sich die Burschen gezwungen, den Festakt abzusagen.

Die Allgemeine Deutsche Burschenschaft

2016 gründete sich in Jena die Allgemeine Deutsche Burschenschaft mit großem Festakt und den drei Strophen des Deutschlandliedes. Mit dem allzu braunen Image der Deutschen Burschenschaft (DB) wollte man nichts mehr zu tun haben – man gab sich weltoffen, aber vaterlandstreu, traditionsbewusst, aber modern. In der DB sei das letzte Drittel des burschenschaftlichen Mottos „Ehre, Freiheit, Vaterland“ überbewertet worden, während in der ADB alle gleichwertig verstanden würden, erklärten die ADB-Gründer in einem Imagefilm.

Tatsächlich war die DB in den Jahren vor der ADB-Abspaltung skandalträchtig. Den Höhepunkt machte eine Debatte, die unter dem Schlagwort „Ariernachweis“ an die Öffentlichkeit drang: Die Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn forderte 2011 als notwendige Bedingungen für die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft neben deutschem Pass, männlichem Geschlecht und absolviertem Wehrdienst auch eine deutsche Abstammung – und wurde dabei sogar in rassistischer Weise ganz konkret: „Beispielsweise weist eine nichteuropäische Gesichts- und Körpermorphologie auf die Zugehörigkeit zu einer außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung und damit auf eine nicht deutsche Abstammung hin“, schrieben die Burschen damals.

Doch die Abgrenzung der ADB zur offen rechtsextremen DB bleibt letztlich unklar: Auch die ADB bekennt sich zu einem „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff“ und argumentiert damit völkisch. Sie duldet in ihren Mitgliedsbünden auch PoC-Studenten, dennoch ist ihre Nähe zum rechten Rand der CDU und insbesondere zur AfD offenkundig. Unter den 3000 Alten Herren der ADB sind zahlreiche AfD-Mitglieder, darunter der Bundestagsabgeordnete Albrecht Glaser oder der hessische Landtagsabgeordnete Frank Grobe. Es liegt nahe, dass die Neugründung der ADB, an der mehrheitlich vormalige DB-Burschenschaften beteiligt waren, vor allem auch darin begründet war, dass eine Mitgliedschaft in der skandalträchtigen DB zum Karrierehindernis zu werden drohte.

Burschenschafter im Kulturkampf

Die Paulskirche ist ein wichtiges Symbol für die verbindungsstudentische Szene. Das ist auch nicht verwunderlich, schließlich waren zahlreiche Korporierte am Paulskirchenparlament beteiligt. Bereits am 18. Mai 2023, dem 175. Jahrestag des ersten Zusammentretens der deutschen Nationalversammlung, mischte sich eine Gruppe von 19 Verbindungsmitgliedern deutlich sichtbar in Couleur unter die Teilnehmer*innen des städtisch organisierten Paulskirchenfestes. Mit zahlreichen Fotos in Sozialen Medien setzen sich die Korporierten vor der Paulskirche in Szene – Burschenschafter ebenso wie Mitglieder anderer Verbindungen. An der Burschenschaft Arminia, an der Paul-Ehrlich-Straße in Sachsenhausen gelegen, sammelte sich gar eine Gruppe von Burschen zum gemeinsamen Spaziergang den Main entlang zum Fest. Die ADB wollte nun mit einer inhaltlichen Tagung einen weiteren Akzent zum Paulskirchenjubiläum setzen. Die „Krise der parlamentarischen Demokratie“ sollte debattiert werden, auf dem Programm standen Fragen wie: „Verhältnis- oder Mehrheitswahlrecht – Was ist wirklich demokratisch?“, „Lobbyisten, Denkfabriken, Institute, NGOs – wer beeinflusst die Politik?“ oder „Gewaltenteilung – haben wir die richtige Struktur?“.

Bereits 1998, beim 150. Jahrestag des Zusammentretens des Paulskirchenjubiläums, planten Korporierte einen Festakt, der letztlich zu einem veritablen Skandal in der Verbindungsszene geriet und zum Bruch zwischen verschiedenen verbindungsstudentischen Dachverbänden führte: Nachdem die Stadt Frankfurt einer rein burschenschaftlich geplanten Jubiläumsfeier die Paulskirche verwehrte, sollte eine Feier über die Grenzen der Dachverbände hinweg geplant werden. Doch die Corps erklärten, nicht „trojanische Esel“ für die schon damals als extrem rechts verrufene Deutsche Burschenschaft dienen zu wollen, der sie „nachweisbar rechtsextremistisches und nationalistisches Gedankengut“ bescheinigten. In der Folge traten die corpsstudentischen Dachverbände KSCV (Kösener Senioren-Convents-Verband) und WSC (Weinheimer Snioren-Convent) aus dem gemeinsamen Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA) aus, der bis dahin gemeinsamen öffentlichen Stimme der Verbindungsszene. Der CDA verlor seitdem rapide an Bedeutung; weitere Austritte folgten. Dennoch trat der CDA, dem heute nur noch wenige und unbedeutende Korporationsverbände angehören, auch im Jahr 2023 als Kooperationspartner der ADB bei ihrer Verbandstagung auf.

Die diesjährige Tagung kam also angesichts des Paulskirchenjubiläums keineswegs überraschend. Überrascht und überrumpelt wirkte hingegen die Stadt Frankfurt. Während der Vakanz des Oberbürgermeister*innenamts war der Antrag des Convents Deutscher Akademikerverbände (CDA) eingegangen, gemeinsam mit der ADB einen Festakt in der Paulskirche durchzuführen – und zunächst einfach durchgewunken worden. Die politische Brisanz wurde den Entscheider*innen erst wenige Wochen vor der geplanten Tagung bewusst. In Römerkreisen wurde hektisch debattiert, ob der Festakt noch zu verhindern sei; insbesondere Protokoll-Chefin und Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Bündnis 90/Die Grünen) stand dabei auch öffentlich in der Kritik. Das Rechtsamt der Stadt bescheinigte dem CDA – aufgrund dessen Vereinssitzes in Frankfurt – ein Anrecht, die Paulskirche mieten zu dürfen. Im Falle einer nachträglichen Kündigung des Mietverhältnisses wurden Regressforderungen ebenso befürchtet wie ein mögliches Einklagen der Burschen in die Paulskirche.

Schließlich verhängte die Stadt Frankfurt strikte Auflagen gegenüber dem ADB-Festakt: Geprüft werden müsse, ob sich unter den Teilnehmern verfassungsschutzbekannte Rechtsextremisten befänden, daher forderte die Stadt eine Teilnehmerliste im Vorfeld. ADB und CDA sahen sich außerstande, diese – datenschutzrechtlich durchaus kritikwürdige – Bedingung zu erfüllen und eine entsprechende Teilnehmerliste beizubringen, und kritisierten die städtische Auflage öffentlich. Der Festakt in der Paulskirche wurde in der Folge durch ADB und CDA abgesagt – und intern ein Alternativprogramm geplant: Zunächst sollte eine Führung durch eine Paulskirchen-Ausstellung im Institut für Stadtgeschichte den Festakt ersetzen, dann planten die Burschen eine politische Aktion am Sonntagmorgen vor der Paulskirche, um den Umgang der Stadt mit der Causa zu kritisieren. Schließlich wichen sie für ihren Festakt aber nach Bockenheim aus, da auf dem Paulsplatz Antifaschist*innen an ihrer Kundgebung festhielten.

Ein Bursche als Brandstifter?

Im Vorfeld hatten in der Stadtpolitik besonders zwei Aspekte für Aufsehen gesorgt: Einerseits die Mitgliedschaft der völkisch-bündisch ausgerichteten Deutschen Gildenschaft (DG) im CDA, der als Mieter der Paulskirche auftrat. Andererseits die Mitgliedschaft der Gießener Burschenschaft Germania in der ADB, aus deren Reihen heraus mutmaßlich ein versuchter Brandanschlag auf das gegenüber der Verbindungsvilla gelegene linke Kulturzentrum AK.44 verübt worden war. Ende April 2023 war es Bewohner*innen des AK.44 gelungen, zwei Personen zu stellen, die auf das Gelände eingedrungen waren und die Reifen eines Fahrzeugs mit einer Flüssigkeit übergossen hatten, einer der beiden soll das Band der Germania getragen haben. Die Burschenschaft Germania schloss den mutmaßlichen Haupttäter in der Folge aus der Verbindung aus. Was wie konsequentes Durchgreifen wirken mag, ist wohl eher eine Form von Schadensbegrenzung im absoluten Notfall, die ähnlich auch bei anderen korporierten Skandalen zu beobachten ist.

Die ADB-Burschenschaft Germania aus Gießen organisiert ein reges Vortragsprogramm; in den letzten Monaten referierten dort der Publizist Roland Tichy, der FDP-Politiker Hermann Otto Solms und der ehemalige Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen, der seit einiger Zeit durch extrem rechte und verschwörungsideologische Inhalte auffällt. Ein besonders enges Verhältnis verbindet die Gießener Burschen mit der Frankfurt-Leipziger Burschenschaft Arminia, die derzeit kein ADB-Mitglied ist, ihr aber nahesteht: Beide Burschenschaften ziehen bisweilen gemeinsam durch die Alt-Sachsenhäuser Apfelweinwirtschaften, gemeinsam besuchte man am 18. Mai auch den verbindungsstudentischen Spaziergang zur Paulskirche. Auch bei der ADB-Verbandstagung im Logenhaus waren Burschenschafter zugegen, die sich noch kurz davor den Gegenprotest vom Balkon ihres Verbindungshauses in der Paul-Ehrlich-Straße angesehen hatten.

„Den Burschis den Tag versauen!“

In den Wochen vor der ADB-Tagung, deren inhaltlicher Teil im Logenhaus „Zur Einigkeit“ im Frankfurter Bahnhofsviertel stattfand, hatten antifaschistische Gruppen, politische Organisationen und Initiativen sowie der AStA der Goethe-Universität bereits zum Protest aufgerufen. Etwa 110 Personen schlossen sich schließlich am Samstagnachmittag einer Demonstration an, die an den Verbindungshäusern der AV Frankfurt sowie der Burschenschaft Arminia und der Geschäftsstelle des CDA bis hin zum Logenhaus zog. Die AV Frankfurt war erst kurz zuvor in den Verband der Vereine Deutscher Studenten (VVDSt) aufgenommen worden und steht damit in der Tradition des 1997 aufgelösten VDSt Frankfurt. Unterwegs informierten Redebeiträge die Demonstrationsteilnehmer*innen über die jeweiligen Verbindungen und ihr Wirken. Die Burschen schauten zu, filmten aus dem Fenster, und hatten im Falle der Arminia sogar eine dauerhafte Videoüberwachung der vorüberziehenden Demonstration in Form einer GoPro auf einem Fensterbrett eingerichtet, die mutmaßlich alle Teilnehmer*innen der Demonstration abfilmen sollte.

Die Verbindungshäuser wie auch das Logenhaus im Bahnhofsviertel wurden mit einem erstaunlichen Polizeiaufgebot bedacht, Burschenschafter, die teils Degen mitführten, wurden polizeilich zum Tagungsort eskortiert. Dass ihre Verbandstagung nicht ungestört ablaufen konnte, nervte einige Burschenschafter sichtlich – ein ADB-Mitglied bedrängte am Samstagabend gar einen Fotojournalisten vor dem Eingang des Logenhauses. Der Festakt am Sonntagmorgen mit den Streichern des Dialog-Quartetts musste angesichts des kleinen, aber lautstarken Gegenprotests in die Innenräume des Restaurants verlegt werden. Auch wenn die Mobilisierung zum Protest gegen die Burschen nach dem Rückzug aus der Paulskirche merklich nachließ und auch die Beteiligung an den Protesten davon zeugte, ging das von Antifaschist*innen ausgegebene Motto „Den Burschis den Tag versauen“ mindestens am Sonntag durchaus auf: Das Auffliegen des Veranstaltungsortes und der anwesende Protest verfehlten ihre Wirkung nicht – auch wenn die Verbindungsszene im Bewusstsein vieler Antifaschist*innen in Frankfurt kaum eine Rolle spielt, so wurde doch deutlich, dass derartige verbindungsstudentische Tagungen in Frankfurt nicht unkommentiert ablaufen können.