Zu Spät und von Draußen
„Herr Brückner, zielen Sie auf die Diktatur des Proletariats? WollenSie die Revolution? Oder wie hätten Sie's denn gerne?"(Fragen eines Richters während des Prozesses am 6./7.10. — sinngemäß)
Nie ist man sich während des Verfahrens gegen Peter Brückner sicher, ob man — sei es als Betrachter oder als Betroffener — eher lachen oder weinen soll, ob man eher einer lächerlichen Provinzposse oder dem Auftakt eines neuen Repressionskapitels durch Behörden und Machtträger dieses Staates beiwohnt.
Eher zum Lachen sind die Interpretationen von Brückners Schriften in der Anschuldigungsschrift; sie lesen sich wie Drahtseilakte von absolut ortsunkundigen Kennern der (intellektuellen) Materie. Oder die Bildungsvorstellungen der „Initiatoren" (Albrecht, Pestei — ehemaliger Kultusminister) 1 ’ — der protestantischen Mottenkiste des niedersächsischen Landadels entnommen. Oder das Auftreten der Richter, die am 6./7.10. in erster Instanz entschieden — und verurteilt — haben; sie wären besser bei ihrem Leisten, dem Wasser- und Baurecht geblieben, als zu versuchen, mit an Peinlichkeit grenzender Dreistigkeit die Gesinnung von Brückner auszumessen.
Weniger zum Lachen: Der erste Prozeß in Hannover vor der Disziplinarkammer war geschützt wie wir es „nur" von sogenannten Terroristenprozessen kennen. Und, immerhin handelt es sich im vorliegenden um ein Verfahren, in dem zum ersten Mal in der Geschichte der BRD ein Hochschullehrer aus explizit politischen Gründen aus dem Dienst entfernt werden soll. Zu diesem Zwecke kann es (und ist zum Teil schon geschehen) mithilfe dieses Verfahrens zu einer juristischen Neudefinition des Verhältnisses von Verfassungswirklichkeit, Grundgesetz und Beamtenrecht kommen, die die (Kampf)linien innerhalb der verrechtlichten Bereiche von Forschung, Lehre und Wissenschaft im Sinne der rechtskonservativen Wende nach vorn verschieben.
Beispiel: das Treuegebot gegenüber der Verfassung wird ausgedehnt zu einer Treuepflicht gegenüber dem Staat, seinen jeweils herrschenden Repräsentanten und jeder der von ihnen für notwendig erachteten Maßnahmen. Oder: Bei aller Anstrengung haben sich bislang keine Handlungen finden lassen, die unmittelbar in beamtenrechtlich handfeste Sachlagen (Taten) sich hätten verwandeln lassen, ist doch schließlich für eine Disziplinarmaßnahme — im Gegensatz zur Neueinstellung — das bloße Haben einer Meinung noch kein ausreichender krimineller Sachverhalt. Diese „offene" Stelle wurde dadurch geschlossen, daß einige Äußerungen Brückners zu Taten geadelt wurden — nach dem Motto, nicht das Haben, sondern das Äußern einer Meinung ist verboten. Wie aber entscheiden, ob die Taten — also die Äußerungen —diesseits oder jenseits von Wissenschaft, Beamtentreue und FDGO liegen? Damit stellte sich die Frage nach dem Interpretationsrahmen, und auch hier muß sich der juristische Blick strecken und dehnen, um Tat, Täter und Strafe in einem Blickfeld zusammenzuhalten: „Ob der Antragsteller (B.) nach seinem gesamten Persönlichkeitsbild aufgrund seines Gesamtverhaltens als Verfassungsfeind anzusehen ist, muß jedenfalls in einem Falle wie dem vorliegenden, in dem, wie gezeigt, hin-
reichend evidente Einzelverstöße gegen die Pflicht der Verfassungstreue nicht festgestellt werden können, der Beurteilung im Hauptverfahren überlassen bleiben . . . " 21 Nachdem diese Kammer die Unhaltbarkeit der ministeriellen Vorwürfe attestiert hat, bleibt sie an der Person, der Biographie, auch dem „Privatmenschen" Peter Brückner hängen als dem eigentlichen „Sachverhalt", über den geurteilt werden wird.
Und darüber kann dem noch unentschiedenen Zuschauer fürs erste das eine, das Lachen, gründlich vergehen.
Die Suspendierung erfolgte im Herbst 1977, verbunden mit einem später aufgehobenen Hausverbot und einer noch später aufgehobenen Kürzung der Dienstbezüge. Außerdem wurde Brückner die Annahme eines Rufs auf einen Lehrstuhl in Holland vom Dienstherrn untersagt. Um diese Vorwegmaßnahmen gab es im einzelnen verschiedene Gerichtsverfahren. Es kann davon ausgegangen werden, daß in den diversen Einlassungen der Gerichte in diesen Verfahren der Spielraum des endgültigen Urteils abgestecfct ist, und die mündliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils in der Sache vom 7.10. hat dies bestätigt. Insofern kann sich die Beschäftigung mit den juristischen Aspekten vorläufig auf das bisher vorliegende Material stützen. 31 Es gibt in den letzten Wochen eine Aufmerksamkeit für den „Fall" Brückner in diversen Presseorganen und unter Hochschullehrern, wie sie zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens (Oktober77) undunmittelbar danach nicht gegeben war. Im Gegenteil, auch auf Seiten der (linken) Öffentlichkeit herrschte damals so etwas wie Berührungsangst vor, oder explizite Kritik an dem „untaktischen", „nicht-wissenschaftlichen" Verhalten Brückners. Oder eben doch der Vorwurf an ihn, sich nicht eindeutig genug zum Thema Terrorismus „erklärt" zu haben.
Die neue Aufmerksamkeit speist sich aus der Sorge vor einem neuen Repressionsschub gegenüber der Linken und vor Zensur und Kontrolle über den noch verbliebenen Raum kritischer Wissenschaft, Forschung und Lehre an den Universitäten. Mit einer möglichen Verurteilung Brückners würde die staatliche Kontrolle noch engmaschiger über dem Wohlverhalten seiner verbeamteten Wissenschaftler lauern; es ist ja die wissenschaftliche Arbeit Brückners, aus der ihm ein Strick gedreht werden soll, und nicht etwa seine Mitgliedschaft in irgendeiner der staatsabträglichen Vereinigungen.
Die praktischen Probleme einmal beiseite gelassen (welche Kultusbürokratie könnte diesen Aufwand bewältigen?), ist es in der Tat eine bedrohliche Vorstellung, daß in Zukunft irgendein Bürokratenseelchen über wissenschaftliche Gesamtwer-ke, einzelne Gesamtpersönlichkei-ten und deren Gesamtverhalten unter strafrechtlich relevanten Gesichtspunkten urteilen, positive bzw. negative Sanktionen treffen wird ... Der Anpassungsdruck stiege ins Grandiose, die Universitäten und im Gefolge der gesamte Ausbildungsbereich überhaupt wären für die sozialen Bewegungen und für die Kritische Wissenschaft verloren.
Soweit aber wird es — unabhängig vom Ausgang des Verfahrens — in absehbarer Zeit nicht kommen. Die juristischen Konstruktionen sind dafür — noch — zu schlampig und zu schwach. Beispiel: Im Disziplinarverfahren wird Brückner auch die Mitherausgabe von „Buback — ein Nachruf" angelastet. Nun liegt aber zu eben diesem Vorwurf im Zusammenhang der Verfahren gegen alle niedersächsischen Mitherausgeber ein eindeutiger Freispruch auch für Brückner vor, und keine noch so windschiefe Konstruktion — wie die eines sogenannten „disziplinären Überhangs" — kann diesen Widersinn von der Groteske zum juristischen Argument umbiegen.
Aber vielleicht sollte auch gar nicht viel mehr erreicht werden, als tatsächlich (und ohne rechtsgültiges Urteil) schon an Schuldspruch und Strafverbüßung stattgefunden hat: die — teilweise — gelungenen juristischen, finanziellen und propagandistischen Maßnahmen des Dienstherrn, die Brückner für eine bestimmte Zeit als politisches Individuum stigmatisieren und ausgrenzen konnten, und das vier Jahre andauernde faktische Berufsverbot. Das zusammengenommen ist mehr, als von einem letztinstanzlichen Urteil zu erwarten gewesen wäre.
Damit wird klarer, in welchem Zusammenhang das Verfahren tatsächlich steht. Nicht jedem kritischen Wissenschaftler nämlich wäre es so ergangen wie Peter Brückner. Nicht jede kritische, linke Aussage „verdient" es überhaupt, vcn staatswe-
gen mit soviel „fürsorglicher Zuneigung" bedacht zu werden. Albrecht u.a. sind zwar in einem — an unseren Vorstellungen von Intellektualität und bürgerlicher Kultur gemessenen Sinne — mit selbiger nicht gerade gesegnet, was sie aber auszeichnet, ist ein ausgeprägter Instinkt für die Macht, und damit auch für die Gefahren, die ihrer Machtausübung drohen könnten.
Auch der Zeitpunkt ist nicht zufällig. 1977 war ein ereignisreiches Jahr, wie jeder weiß. Stammheim. Mogadischu. Mescalero. Und kein Ende. Weniger spektakulär: daß die Technokratisierung der Hochschulen abgeschlossen wurde. Absentismus, Verweigerungs- und Streikbewegungen brachten dies unübersehbar zum Ausdruck und verwiesen darüber hinaus auf den Zerfallsprozeß, dem intellektuelle Identität und wissenschaftliche Arbeit — der theoretische Diskurs — ausgesetzt sind. In dieser Zeit der Großen Unruhe kippt die Universität aus der Spur ihres bisherigen „ linken Selbstverständnisses". Gleichzeitig diese Krise sowie den probaten Vorwurf der Geistigen Mittäterschaft 41 ausnützend, ist 1977 auch die Geburtsstunde der neuen Offensive von Rechts. So zeigt sich, daß die Maßnahmen gegen Brückner offenkundig im Zusammenhang mit den Unruhen an den deutschen Hochschulen stehen, daß unter dem „Namen" der Überprüfung von Brückners Ge-sinnung auf ihre Verfassungstreue sein politisch-öffentliches Verhal-ten exekutiert werden soll.
In den entsprechenden Justiztexten finden sich Stellen, die sich weniger mit Brückners Meinung (seiner feindseligen Einstellung), sondern mit seinem Verhalten beschäftigen: " . . . wegen seiner bereits in der Vergangenheit hervorgetretenen Neigung, gegen ihn anhängige Disziplinarverfahren im Hochschulbereich, auch in eigenen Lehrveranstaltungen, zum Gegenstand von Diskussionen zu machen, entspricht die Suspendierung pflichtgemäßem Ermessen." 5 * Diese Figur des Unruhestifters ergänzt den unwissenschaftlichen Agitator, den der Minister in Brückner sieht, den Symphatisanten. Das heißt, und das wäre die These gegen einen verabsolutierten und hermetischen Repressionsbegriff wie er in der gegenwärtigen Solidaritätskampagne vorherrscht: letztlich steht mit Brückner nicht die Linke, die kritische Wissenschaft vor dem Kadi, sondern eine bestimmte politisch wissenschaftliche Praxis, ein als „anarchistisch" eingestuftes Unruhepotential an den Hochschulen und ein spezifischer Wissenschaftsbegriff, der sich vom akademischen Konsens ein Stück entfernt hält. 6 * Diese These wird bestätigt durch eine Äußerung eines Richters am 7.10., heute wäre die Suspendierung nicht mehr unbedingt erforderlich, da ja — Gott sei's gedankt — an den Universitäten wieder ein anderes Klima herrschen würde. 7 * Die Unfähigkeit der akademischen Linken, auf dieses „veränderte" Klima noch spürbar einzuwirken, entspringt — unter anderem — einem Verständnis von Wissenschaft, Universität und kritischer Intelligenz, das die Entwicklung der letzten Jahre ungebrochen überdauert hat.
Dieses Verständnis dominiert auch die Solidarisierungswelle mit Peter Brückner. Die „wissenschaftliche" Verteidigung konzentriert sich ausschließlich auf den institutionellen Rahmen von linker Theoriebildung und artikuliert sich in Termini des traditionellen akademischen Selbstverständnisses. Und dem liegt eben die Weigerung zugrunde, sich den veränderten Bedingungen zu stellen. Weil sich die Verteidigung der kritischen Wissenschaft nicht an dem Zerfallsprozeß eben dieses traditionellen Selbstverständnisses und der ihm entsprechenden institutionellen Wirklichkeit abarbeitet, sondern ihn lediglich beklagt, oszilliert sie so häufig zwischen Schaumschlägerei und linker Larmoyanz und Moralität.
Damit ist letztlich auch verhindert, an das in diesem Zerfallsprozeß freigesetzte neue Verhältnis von sozialer Erfahrung und kritischer Theoriebildung, das den institutionellen Rahmen sprengt, anzuknüpfen.
Anmerkungen 1) In einem Interview mit der Bildzeitung erzählt der niedersächsische Landesvater, wie er seine Kinder zu erziehen pflegt, wenn sie einmal gelogen haben und dabei erwischt worden sind. Er schickt sie dann in den Wald und läßt sie mit bloßen Händen einen Strauß Brennesseln pflücken.
2) aus dem Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Disziplinarhofes in Lüneburg vom 1 5.2.1980 3) d.i. die Anklageschrift für das Verfahren vor der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts in Hannover (Dok. in der Dokumentation des Kommitees für Grundrechte und Demokratie: „Der Staat als Diffamierer — Erneute Dokumentation in Sachen Disziplinarverfahren gegen Peter Brückner".) und der unter 2) zitierte Beschluß in einem der Vorverfahren, mit dem Brückner die Aufhebung der vom Ministerium verhängten „vorläufigen" Disziplinarmaßnahmen (Suspendierung, Einbehaltung von Dienstbezügen) erreichen wollte. Außerdem gibt es zu dem „Fall" mehrere Publikationen. Hier sei verwiesen auf : Dietrich Wetzel, „Zum .Fall Brückner'. Tatsachen und Tendenzen. Internationalismus Verlag"; auf „Zum Beispiel Peter Brückner. Treue zum Staat und kritische Wissenschaft." Hrsg, von A. Krovoza u.a., EVA und „Über die Pflicht des Gelehrten auch als Bürger tätig zu sein" von Peter Brückner und A. R. Oestmann. Internationalismus Verlag.
4) Die im Herbst 1977 von 177 Hochschullehrern Unterzeichnete Distanzierungsanzeige in der Tagespresse (veröffentlicht in: Briefe zur Verteidigung der Republik, RoRoRo aktuell) lieferte — unbeabsichtigt? — das dafür benötigte Schuldbekenntnis.
5) aus dem Beschluß des 2. Senats, a.a.o.
6) In der mündlichen Urteilsbegründung wurde die „Wissenschaftlichkeit" Brückners u. a. mit dem Argument angezweifelt, er würde sich weniger vor einem FachPublikum, sondern vielmehr vorzugsweise vor Studenten(l) äußern.
7) Nun, das Eis scheint am Tauen. Die Suspendierung ist aufgehoben, sie hat ihre Schuldigkeit — soweit es ging — getan. Aufgegangen ist die Rechnung freilich nicht: Die Solidarität mit den „Opfern der Repression" und die Sorge, selber einmal Gegenstand solcher Maßnahmen zu werden, haben dem Fall größere Publizität verschafft, als es dem Dienstherrn lieb sein konnte (Wie sich diese „Einsicht" von Cassens, neuer Kultusminister, gegen die privaten Rachgelüste von Pestei, Albrecht u.a. durchsetzen mußte, das war wieder eher die Provinzpcsse).
Das nimmt vielleicht der Revisionsentscheidung etwas von ihrer Brisanz, und die befürchtete totale Kontrolle geht an den Hochschulen noch einmal vorüber. . . .Es kann aber nicht ungeschehen machen, daß in Zukunft Bereiche von wissenschaftlicher Arbeit als anarchistische Agitation ausgegrenzt werden, daß Ruhe an den Hochschulen wieder ein zentrales Anliegen der Politiker und Bürokraten geworden ist — die Prozesse in Heidelberg gegen sogenannte Störer mit Urteilen bis zu zwei Jahren ohne Bewährung, die Prozesse gegen linke Asten wegen Wahrnehmung des politischen Mandats zeugen davon.