Der feierliche Eröffnungsakt der frankfurter Alten Oper ist von den dafür Verantwortlichen, wie sie selbst sagen, bewußt auf den Todestag des „größten Sohnes der Stadt", Goethes, gelegt worden. Besser als die festtäglichen Reden verrät diese eher beiläufige Geste, wovon die neue Kulturpolitik zehrt. Sie beschwört die Kontinuität der Kultur herauf, die im Zeichen des Schönen sich herstellen soll: Schönes hat es zu allen Zeiten gegeben. Mit der Zurschaustellung des Schönen aller Zeiten reagiert die neueste kulturpolitische Restaurationsbewegung auf den offenkundigen Zerfall der Kultur in der nachbürgerlichen Gesellschaft.

Aus seiner eigenen Immanenz heraus besitzt daseinzelne Kunstwerk nicht mehr die Kraft, eine gesellschaftlich wirksame Aura des Schönen zu entfalten. Die Massenmedien und Reproduktionstechniken haben es zum bloßen Konsumartikel werden lassen; allenfalls in der privaten Rezeption könnte es noch als Kunstwerk wirken. Der kulturellen Restaurationspolitik geht es aber um die öffentliche Wirkung der Kultur. Soll in dieser Absicht die Aura des Kunstwerks — nicht dieses selbst — gerettet werden, so muß sie zum Gegenstand einer gesellschaftlichen Inszenierung gemacht werden. Das einzelne Kunstwerk funktioniert — um den Preis seiner Verurteilung zu völliger Austauschbarkeit — als auratisches allein noch in einem ästhetisierten Kontext, in einem dem Schönen gesellschaftlich zugewiesenen Bezirk. Weil dessen einzelne Bestandteile sich gegenseitig stützen müssen, da jedes von allen übrigen seine auratische Kraft bezieht, ist die wahllose Montage kontrastierender Elemente und Stile zum Gestaltungsprinzip des ästhetischen Rahmens geworden. Nur indem dieser, zumindest virtuell, alles zusammenfaßt, was jemals als schön gegolten hat, vermag jedes einzelne Teil sich als ein Stück Kultur zu behaupten. Das Gesamtkunstwerk, wie die frankfurter Alte Oper zweifellos eines darstellt, präsentiert sich als Verschmelzung von Supermarkt und Tempel.

Die Techniken, derer sich die Restaurateure unwillkürlich bedienen: die Montage und das Zitat, entstammen dem Arsenal früherer künstlerischer Avantgarde-Bewegungen: dem Dadaismus und Surrealismus. Unter dem Diktat der Restauration hat sich die Intention dieser Techniken ins Gegenteil verkehrt: ging es der Avantgarde darum, die Autonomie des schönen Scheins zu zerstören, den geschlossenen Zusammenhang des Kunstwerks und der Gesellschaft, innerhalb derer es fungiert, aufzubrechen, zu zerreißen, so ist es der Restauration darum zu tun, die allenthalben sichtbaren, spürbaren Risse und Spalten im gesellschaftlichen Leben an der Oberfläche zu schließen und zu kitten. Feingefühl und Stilsicherheit freilich verrät der Dilettantismus nicht, mit welchem Goethesche Klassik, monströser Klassizismus der Gründerjahre, der unvermeidliche „Hauch von Paris" und die Frankfurter Apfelwein-Gemütlichkeit zu einem üppigen Gesamtkunstwerk montiert worden sind.

Je dünner die Haut, desto reizbarer die Nerven: Bei der Generalprobe der Eröffnungsfeier begingen der Dirigent und die Musiker den eklatanten Fehler, in einfacher Straßenkleidung zu erscheinen; dies gab Anlaß für einen Skandal, der kaum größer hätte ausfallen können, wenn das Orchester Mahlers „Symphonie der Tausend" bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hätte.

Um Feingefühl in Fragender Kunst, das verrät die kleine Episode, geht es den Adressaten der neuen Kulturpolitik nicht, vielmehr ausschließlich um solche der Etikette und der feinen Manieren. Je strahlender das Ereignis, desto weniger vermögen die Augen zu sehen. Auf die Krise der Kunst antwortet die Restauration mit ihrer Abschaffung im Namen der Wiederbelebung der Kultur.

Ist der Kapitalismus auch auf dem Gebiet der Kunst nicht sonderlich zu Hause, so bleibt uns doch die Hoffnung, daß wenigstens der Ge schäftssinn des Bürgers noch untrüg lieh ist. Indes, nicht allein das Kunst werk, auch eine der originären Er rungenschaften des Kapitalismus steckt in der Krise: das Warenhaus Unübersichtlich, in eintönige Neonlicht, ermüdend und einschlä fernd präsentieren sich die großen in der Zeit des Massenkonsums ent standenen Kaufhäuser wie bessere Warenlager. Von dem Glanz, den die ersten Warenhäuser des 19. Jahr hunderts in Paris und London ver breiteten, ist wenig geblieben. Die Kaufhäuser haben ihre besondere Faszinationskraft eingebüßt, allein noch in der Quantität des Warenan gebots heben sie sich hervor. „Tau sendfach alles unter einem Dach", lautet der einfallslose Werbeslogan eines großen deutschen KaufhausKonzerns. Dieser Verlust seiner be sonderen Qualität ist die Wurzel der Krise des Kaufhauses. Eingekeilt zwischen billigeren Ramschsuper märkten auf der einen, teureren, aber qualifizierteren Fachgeschäften auf der anderen Seite, sind die Umsätze der Warenhäuser zurückgegangen. Die Verödung der Innenstädte, die säuberliche Aufspaltung der Städte nach ihren jeweiligen Lebensfunktionen, haben das Ihre dazu getan, den Kaufhäusern die Kundschaft abspenstig zu machen.

Doch die Krise reicht tiefer, als es zunächst de* Anschein hat: das Kaufen selbst ist es, das seine Faszination verloren hat. Das Publikum kauft, soweit dies unter den Bedingungen des organisierten Kapitalismus überhaupt möglich ist, heute stärker unter sachlichen Gesichtspunkten: bei den Dingen des täglichen Gebrauchs gibt der Preis, bei den Anschaffungen fürs Leben die Qualität den Ausschlag für den Kauf. Das Warenhaus hat am stärksten unter dieser Entwicklung zu leiden: es lebt von dem Zauber, der das Kaufen umgibt, von der Verführung und sanften Überredung zum Kauf. Aber welcher Kundin könnte es in einem heutigen Warenhaus noch so ergehen v\ie der Frau Marty, einer Romanfigur Zolas, in einem der Pariser Verkaufspaläste: „Frau Marty hatte jetzt das angeregte und nervöse Gesicht eines Kindes, das unvermischten Wein getrunken hat. Mit klaren Augen, die Haut kühl und frisch von der Kälte, die auf der Straße herrschte, war sie hereingekommen, dann aber hatte sie sich allmählich die Augen und den Teint versengt am Schauspiel dieses Luxus, dieser starken Farben, deren ununterbrochener, rasch vorüberziehender Reigen ihre Leidenschaft aufstachelte. Als sie endlich fortging, nachdem sie, entsetzt überden Rechnungsbetrag, gesagt hatte, sie werde zu Hause bezahlen, hatte sie die verzerrten Züge, die geweiteten Augen einer Kranken." Die einzige Leidenschaft, die das öde Kaufhaus der siebziger Jahre noch erregte, war die des Diebstahls. Diese zu entfachen, liegt freilich nicht im Interesse der Kaufhau skonzerne.

Noch ist der direkte Anschluß an den Frankfurter Verkehrsverbund nicht eröffnet, und so nähert man sich dem neuen Hertie noch auf traditionelle Weise, nämlich von der Zeil her kommend. Hat der Betrachter dann das „größte Kaufhaus in Rhein-Main" durchs Erdgeschoß

betreten, kann er sich fürs erste des Eindrucks einer neuen Kaufhau satmosphäre kaum erwehren: ausgeleuchtet durch die vielen Punkt strahier, die licht- und schattenreich das gleichmäßige bürogewohnte Neonlicht abgelöst haben; eingekleidet in eine an florentinische Nobelgeschäfte erinnernde Kombination aus dunklem weichem Holz und darin eingelassenen Spiegeln, deren Zusammenspiel durch ein ausbalanciertes Nähe-Ferne-Verhältnis Faszination und Distanz gleichzeitig zu erzeugen vermögen. Den vorgegebenen, nicht rechtwinkligen Wegen intuitiv folgend, präsentieren sich dem Besucher (dem müßigen, nicht dem zielstrebigen) die einzelnen Abteilungen wie Fachgeschäfte. Diese sind nicht — wie in den Passagen — durch Türen und Fenster voneinander abgegrenzt, so daß der Besucher nicht erst eine Hemmschwelle zu überwinden hat, um ohne gezielten Kaufwunsch in sie einzutreten. Diese Atmosphäre eher störend, sind die Billigpreisschilder, die sonst das optische Bild beherrschen. Sie verschwinden hinter den nach ästhetisch avancierten Kriterien ausgestellten Waren. Die (noch) verbliebenen Wühltische — sie sollen demnächst einem Weihnachtsmarkt weichen — nehmen sich wie ein Ghetto in dieser teuren Warenwelt aus: eine von Spiegeln eingefaßte Insel für die Armen Leute, die in vielen der anderen Abteilungen, sollten sie sich dort hinbegeben haben, exotisch, fremd und deplaciert wirkten.

Je nach dem, welche der verschiedenen Rolltreppen man wählt, erschließt sich einem das jeweils folgende der fünf Stockwerke aus einer anderen Perspektive, deutlich geprägt durch die zwischen den Waren aufgestellten aufwendigen und zum Teil großzügigen Dekorationsflächen. Auffällig die — völlig beliebige — Zitatensammlung in den einzelnen „Dekogruppen": Gegenstände eines — vergangenen — alltäglichen Lebenswie Pferdewagen (unverkäuflich), Milchkannen (verkäuflich), ein Vorläufer der heute gebräuchlichen Waschmaschinen — damals ohne Strom — oder auch ein Beichtstuhl von 1860 (3.398, -), die teils zum Verkauf, teils nur als Dekorationsstücke dem Ganzen eine Spur von Authentizität, Einmaligkeit und kulturellem Niveau verleihen sollen (Letzteres führt zu der kaum gelungenen Idee, dem Kaufhaus ein kleines Museum einzuverleiben: es wirkt künstlich und deplaciert.). Mutter Courage zieht als frische Mittdreißigerin auf den Flohmarkt, auf dem es tatsächlich echtgebrauchte Sachen zu kaufen gibt, z.B. Kohleöfen aus Gußeisen (zwischen 1.000 und 4.000,-), der ansonsten aber seinem „Vorbild" weder an Atmosphäre noch an Angebot oder Preisgestaltung das Wasser reichen kann. Dazwischen, um sich von den „aufregenden Einzelheiten" zu erholen, liegen Ruhezonen; das sind — für ein Kaufhaus ungewöhnlich — Stühle oder gar Stuhlreihen,dieohnedirekten Kaufanschluß zum Ausruhen einladen. Für die jüngeren Besucher bieten die Erlebnis-Produzenten des modernen Marketing die Cola-Bar im Automatenlook einer amerikanischen Suburb an; eine endlose Kette billiger Videofilme hält die dort abgestellten Kinder solange fest, bis Muttern den Einkauf ohne Störung getätigt hat. Und für die ganz Kleinen der Steiff-Zoo mit Geräuschen aus dem deutschen Wald im O-Ton. Dann und wann stößt der Besucher auf eine, der Innenarchitektur gehobener Gemütlichkeit entnommene echte Zimmerpalme, die sanft, aber nachdrücklich das Niveau betonen soll, das hier mit der jeweiligen Ware zusammen erworben werden kann: das Kaufen als ein ästhetisiertes Ereignis und nicht etwa als bloße Notwendigkeit.

Durch den „ungeraden" Grundriß von „ Hertie-Zeil" schon vorgezeichnet, entwerfen die durch Wegführung, Farbtönung und Lichtquellen vorgezeichneten Fluchtlinien gerade nicht die Art von Übersichtlichkeit, die bislang das Kaufhausdesign beherrschte. Hier soll man sich wie „zu Haus" fühlen können, nur weltoffener, und nicht etwa auf dem kürzesten Weg dahin gebracht werden, wo sich der schon gebildete Kaufwunsch nur noch zu realisieren braucht. In der neuen Kaufhausatmosphäre soll das Bedürfnis erst geweckt, die Wünsche erst gebildet werden. Verständlich und unentbehrlich deshalb die vielen Informationsquellen, die diesen „Mangel an Übersichtlichkeit" ausgleichen und den neuentstandenen Bildern ihren Ort im Kaufhaus zuweisen sollen. Schade — für den Hertie — daß sich die Wirkungsintention und ihre tatsächliche Realisierung kaum einander so angleichen, wie es der in Herties Selbstdarstellung angeschlagene Ton vermuten läßt: es mangelt entschiedenan Platz,anfreiem Raum.

Läßt man sich hinabfahren ins „Basement", erwartet einen zwar nicht Deutschlands führende Lebensmittelabteilung — die findet sich im konzerneigenen KaDeWe in Berlin — trotzdem sind Dekoration, Auswahl und Preisgestaltung von einer Art, die gelassen, aber entschieden einen Teil des üblichen Kaufhauspublikums in die benachbarte Kaufhalle verweist. (Die Ästhetisierung des Kaufhauserlebnisses übernimmt auch Ordnerfunktion, setzt neue Grenzen ebenso, wie sie andere verschieben soll.). Auch an einem der Plätze, an denen noch am ehesten das einfache Volk herumlungert, hat der Hertie neue ästhetische Maßstäbe gesetzt: am Steh- und Schnellimbiß. Neben den üblichen Wurstständen erstreckt sich eine naturechte Saftbar, aufgestellt unter reizend gebogenen Arkaden, italienisch, aus warmer Sandsteinimitation (eher Bühnenbild als Wurstbude). Wenn da nicht eben eine auf französisch getrimmteBacktheke mit gesalzenen Preisen den Höhenflug stoppte und dem in Teilen realisierten ästhetischen Anspruch, unmittelbar Wareund Käufer unter Umgehung des Preises zu paaren, unweigerlich Grenzen gezogen hätte. Und diese Beschränkung der ästhetischen Wirkung, die ökonomische Notwendigkeit, eben doch alles unter einem viel zu kurz gezogenen Kaufhausdach zu vereinen, hat seine unmißverständliche Entsprechung: es geht schließlich auch (nur) um das Immergleiche, das Geld, und es mangelt dem Hertie entschieden an dem, was für die geheimen Vorbilder, die großen Warenhäuser des 19. Jahrhunderts noch gegolten hat: an Großzügigkeit. Darüber setzt der Hertie selber die neue Konzeption aufs Spiel, den bisherigen Einkaufsblick — zuerst der Preis und dann die Ware — umzukehren, und dabei die Bilderkraft der Waren gegen die Anfechtungen des Preises zu stärken. Der Hertie ist nicht nur das größte, sondern eben auch das teuerste Kaufhaus in Rhein-Main.

An die Stelle des Preises (Billigangebote) als Anreiz, die angebotenen Waren auch zu kaufen, tritt die „Einfühlung in die Warenseele" (Benjamin). Dafür muß der Kaufakt selber wieder etwas von der — beliebig oft wiederholbaren — Einmaligkeit des Erlebnisses zurückgewinnen, was gerade durch die bisherige Kaufhauskultur zerstört wurde.

Das Gelingen dieser Einfühlung hängt davon ab, inwieweit der Kontext, eben die Atmosphäre, das Einzelne — sei's Zitat, Montage oder ausgestellter Warenkörper — seine spezifische Wirkung entfalten läßt. An den avanciertesten Ausdrucksformen dieser Einfühlung in die Warenseele, die sich freilich bislang noch mehr auf dem Papier der Werbebroschüren finden als daß sie schon im Kaufhaus-Alltag wirklich funktionierten, läßt sich erahnen, welche extremen Möglichkeiten in dieser Waren-Ästhetisierung noch schlummern. An diesen vorgerückten Punkten hat sich die Inszenierung der „Warenseele " das „Geheimnis des Weiblichen" zum Vorbild genommen. „. . . wer ließe sich nicht gerne umfangen von Dingen, die zur Sonnenseite des Lebens gehören, von ewig Weiblichem, Ausdruck von Traum an der Grenze zur Wirklichkeit." (dieses und die folgenden Zitate entstammen der Hertie-Werbezeitung zur Kaufhauseröffnuna) An der Schwelle von Traum und Wirklichkeit, dort, wo auch das männliche Bild der Frau zu Hause ist, soll die Ware ihre Aura entfalten. Traum ist die Aura, die verfliegt, sobald der Käufer die Ware nach Hause getragen hat, Wirklichkeit bleibt hingegen der Preis, den er dafür entrichtet hat. Zu oft aber schimmert eben diese profane Wirklichkeit des Profits hinter dem Traum-Geheimnis der Ware kaum verhüllt hervor. Dann rutscht die Sprache, die eben noch sich schmeichlerisch dem Traum anschmiegte, aus, dann entlehnt sie ihren Stil dem Bereich, wo die Frau wirklich zur Ware geworden ist: „Auf der einen Seite bleiben Farbe und Licht gedämpft, sind die Dekors anspruchsvoller, bietet sich die Ware eleganter, wertvoller." Die Wünsche, die hier angesprochen sind, sind die heimlichen des Mannes. Das Kaufhaus der achtziger Jahre verteilt die Rollen zwischen Mann und Frau „neu". Auf die Frage, „welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten?", antwortet es: „steigende Einkünfte und Spendierhosen". Bei der Frau dagegen ist es der „ständig steigende modebewußte Bedarf", den das Kaufhaus zu schätzen weiß.

Der Mann ist nur noch Geld, nur noch Bedürfnis die Frau. In der Nobelabteilung des Dreiklassen- Restaurants wird diese Rollenverteilung nurmehr fein angedeutet, wirkt aber dennoch um so aufdringlicher: „Stilgerecht auch die Karte im goldgeprägten Kunstledereinband: es gibt sie gleich in zweifacher Ausführung, mit dem Betrag, den der Gastgeber zu erwarten hat — und ohne ihn." Im Kaufakt befriedigt das personifizierte Geld: der Mann, das personifizierte Bedürfnis: die Frau; während er glaubt, dem ewig Weiblichen ein wenig enger auf den Leib gerückt zu sein, ist er doch nur der Inszenierung der Ware auf den Leim gekrochen. Das Lieblingsbild des Kaufhauses ist „die ,nackte Maja' vor ihrem Einkauf bei mir". Die Erregung, die der Körper der Frau beim Manne, der seine Spendierhosen ja um keinen Preis ausziehen darf, erweckt, soll ihn einzig dazu verleiten, den weiblichen Körper aufs kostbarste einzukleiden und zu schmücken. Das Kaufhaus wird zum großen Bordell, in demdie Ware sich feilbietet wie eine Hure. „Wenn man das neue Warenhaus von der Zeil aus betritt, dort, wo es sich dem Besucher am weitesten öffnet, spürt man ihn sofort: den Hauch zarter Blüten, dahinter den herberen Duft der Colognes, überdeckend das Aroma orientalischer Gärten ..." Freilich geht es der Erotik einstweilen im Kaufhaus so wie den Geruchssinnen im Reich der feinen Düfte: ihre sexuelle Komponente wird, kaum wachgerufen, auch schon übertäubt, benebelt, verdrängt und betrogen.

„Am Anfang stand auch hier die Idee. Der Wille und die Ambition, dem Anspruch gerecht zu werden, eine neue Erlebniswelt zu kreieren, eine Welt, in die man eintritt, die uns umfängt und in der wir uns zuhause fühlen." (Hertie-Werbezeitung) An diesem ehrgeizigen Anspruch. mit dem neuen Kaufhaus ein Stück 'Lebensgelände' herzustellen, ist Hertiegescheitert. Nicht bloß die letztlich allzu direkte, insgesamt durchschnittliche Ausgestaltung im Detail trägt daran Schuld; die Distanz zum Geld ist nur vorgespiegelt. Das Warenhaus ist eben nicht der Ort, an dem sich neuartige Verfahren und ästhetische Ausdrucksformen ausprobieren ließen; zu durchsichtig will seine Ästhetik nur den Kunden zur Ware hinziehen. Etwas anderes kann sich Hertie offensichtlich auch nicht leisten: dazu ist der ökonomische Kalkulationsrahmen viel zu eng. In einer Zeit des knapper werdenden Geldes bei der großen Masse der Käufer haben die Konzernmanager konsequent auf eine Kundenschicht gesetzt, die auch in der Krise noch genügend Geld flüssig machen kann, sich besondere und kostspielige Wünsche zu erfüllen. Dieser Spielraum allerdings muß — soll das neue Kaufhaus keine Pleite werden — erbarmungslos ausgeschöpft werden: 70 Millionen Mark Umbaukosten müssen schließlich wieder eingefahren werden.

Der Innovationszwang, dem diese neue Ästhetisierung des Kaufens unterliegt, ist groß, und doch wird die Differenz zum Kaufhof sich über kurz oder lang verlieren. Ob sich das Neue Kaufhaus trotzdem durchsetzen kann, hängt davon ab, inwieweit es sich in die neue Frankfurter Fassadenkultur integrieren kann: der Mikrokosmos Hertie — „ein gutes Stück neues Frankfurt" — als Abbild und Teil zugleich einer nobel getrimmten Innenstadt, 'Lebensgelände' zahlungsfähiger Bürger. Die Ströme der Wunschbilder und der Käufer müssen dem Kaufhaus von der Stadt und ihrer „Attraktivität" zugeführt werden. Der Besucherder Innenstädte ist nur noch als Käufer von Interesse; und noch abends in der Alten Oper umgibt ihn die vertraute Atmosphäre von Supermarkt und Warenhaus.

Damit fehlt aber sowohl dem Kaufhaus wie der Stadt, wo sie sich als Lebensgelände präsentieren möchten, das dem entsprechende Publikum: den Flaneur, den Bummler und zerstreuten Müßiggänger können sich beide nicht mehr leisten, und er — als „Parasit" — sich nicht mehr City und Kaufhaus.

Der Prozeß der Veränderung des städtischen Lebens wird nicht in der Schärfe, die in seinen Extremen zum Ausdruck kommt, zur Wirklichkeit. Dazu ist schon vieles zu unentschieden, zu dilettantisch. Auch die im Neuen Kaufhaus produzierten Bilder, Wünsche und sozialen Ausdrucksformen sind für sich alleine gesehen noch zu schwach. Im Kontext einer konservativen Re-Urbanisierung werden sie aber öffentliche Kraft und Geltung beanspruchen wollen. Die in ihnen enthaltenen Ausgrenzungen bestimmter sozialer Schichten, die Zerstörung und gleichzeitige Neukonstituierung von Wahrnehmungsweisen, werden in einem sicher widersprüchlichen Prozeß der Umsetzung das Bild von Frankfurt zu bestimmen versuchen. Ob sie sich durchzusetzen vermögen, steht noch offen.

Soviel läßt sich aber schon absehen, wer sich in einer solcherart zurechtgeschnittenen Innenstadt noch seinen Bedürfnissen entsprechend wird bewegen können: der blasierte Bürger und der Demonstrant.

Jakob und Paul Geherda