Faschisten der Feder
Es gibt, allen Klassenunterschieden zum Trotz, eine Art unterirdischer Verbindung zwischen den Gedanken und Gefühlen der Herrschenden und der Beherrschten. Diese geheime Komplizenschaft verrät den Herrschenden, auf welche, sei es noch so leisen, Regungen der Massen ihre Herrschaft sich stützen kann.
In der Bundesrepublik hat sich nicht nur die große politische Tendenz verschoben, auch eine Veränderung des öffentlich dominierenden sozialen Klimas ist unübersehbar geworden: eine Verrohung des Denkens und Fühlens, begleitet von der herrischen Selbstgerechtigkeit derer, die glauben „etwas darzustellen“. In dieser Konstellation wittert eine bestimmte Fraktion der Herrschenden ihre Chance, die Macht zu ergreifen und einen autoritären, soziale Rücksichten verachtenden Obrigkeitsstaat zu errichten.
Das Ziel: die Macht, vor Augen haben die Herren den Ton geändert: offene, klare, knappe Hetze statt weitläufiger, wohlklingender Phrasen. Die FAZ, die sich nie in dem Maße wie die hemdsärmelig-volkstümliche Bildzeitung die Finger schmutzig machen wollte, hat, die Wende im Gespür, die Samthandschuhe abgelegt und selbst die Ärmel hochgerollt. Auffallend ungeniert bedient sie sich für ihre Absichten des offenbar unerschöpflichen Bestandes an autoritären Ressentiments, rassistischen Vorurteilen und schiefen, verzerrten Emotionen, die zu dem zusammenschießen, was mancher gern das „gesunde Volksempfinden“ nennt. Daß dabei das sehnsuchtsvoll gehegte Erscheinungsbild eines bürgerlichen Weltblattes in Mitleidenschaft gerät, scheint derzeit nicht weiter ins Gewicht zu fallen: der Erfolg wiegt schwerer als der gute Ruf..
Dennoch unterscheidet sich die FAZ auch weiterhin von der Bildzeitung; es geht ihr kaum darum, mit ihrem neuen „Stil“ sich dem Alltagsbewußtsein eines großen Publikums anzubiedern. Sie verfolgt vielmehr eine genau berechnete politische Strategie; sie setzt das „Volksempfinden“ ein, um ihrem Ziel, der rechten Machtergreifung, Druck zu verleihen. Die FAZ arbeitet nicht daran, rechtes, autoritäres Denken zu erzeugen und am Leben zu erhalten, wie es die Bildzeitung in täglicher Kleinarbeit tut. Sie verschafft ihm stattdessen in einer sorgfältig beobachteten politischen Kräftekonstellation öffentlichen Ausdruck und macht es damit erst zu einem politischen Faktor.
An der unter großer Beteiligung des Publikums geführten Debatte um die Legitimität von Bürgerwehren läßt sich diese Funktion der Presse ablesen. Erst seitdem die Zeitungen über die Möglichkeit und Berechtigung von Bürgerwehren offen diskutieren — und sei es nur in Form der heuchlerischen Mahnung, man dürfe jetzt, trotz des offensichtlichen Versagens des Staates, nicht den Kopf verlieren — erst seitdem fühlt sich der „aufgebrachte Bürger“ bestärkt und ermutigt, seinen langgehegten Traum kundzutun und möglicherweise in die Tat umzusetzen. Die Presse verfügt über die Macht, eine eher untergründige und daher politisch bedeutungslose Stimmungslage in ein allgemein spürbares, politisch wie sozial wirksames Klima zu übersetzen, indem sie den Stimmungen öffentliche Artikulation und Geltung verleiht. Diesem Zweck hat die FAZ einen bedeutenden Teil ihrer Berichterstattung und Kommentierung untergeordnet.
Der Klassendünkel des deutschen Bürgertums, den politisch wie kulturell zu artikulieren die FAZ sich berufen fühlt, war stets auf ein Nichts gegründet. Die bürgerlichen „Werte“ sind in Deutschland nie Realität gewesen, demokratische Strukturen nie ausgeprägt worden. Auch nach dem Ende des Nationalsozialismus stand das politische Leben in der alten obrigkeitsstaatlichen Tradition, nicht in einer bürgerlich-demokratischen. Das deutsche Bürgertum war nie in der Lage, aus eigener Kraft das Land zu regieren. Um seine ökonomische Macht zu erhalten, mußte es immer politische und soziale Anleihen aufnehmen: entweder auf der Linken, bei der Sozialdemokratie und der reformistischen Arbeiterschaft, oder rechts, bei der nationalistischen und rassistischen Mentalität eines rabiaten Kleinbürgertums.
Die Zeit der sozialdemokratischen Regierung in der Bundesrepublik, der „linken Anleihe“ des Bürgertums, möchten einige zur Macht entschlossene Fraktionen der Herrschenden nun unter allen Umständen zu Ende gehen lassen. Aus der Logik der Schwäche heraus, der das deutsche Bürgertum unterliegt, müssen diese Fraktionen sich politisches Kapital bei dem faschistoiden „gesunden Volksempfinden“ verschaffen.
Wir können uns die Herren aus der Chefetage der FAZ gut vorstellen, wie sie den Vorwurf, sie verbreiteten faschistisches Denken, empört und überlegen lächelnd zugleich von sich weisen würden. Der Faschismus, würden sie sagen, das ist das ganz und gar Unfaßbare, das Böse, „die Mächte der Finsternis und der Hölle“ (FAZ vom 6.10.81). „Wo einer von KZ spricht“ — für das Wort Faschismus gilt selbstverständlich das gleiche — „und etwas anderes als die historische Wirklichkeit von damals oder mit ihr wirklich Identisches meint, da hört das Gespräch auf“, hat bereits vor einigen Jahren der Feuilleton-Leiter der FAZ, Günther Rühle, den Standpunkt der Zeitung formuliert. Wir werden also, um mit der FAZ im Gespräch bleiben zu dürfen, den Nachweis zu führen haben, daß ihr Denken mit dem von „damals“ „wirklich identisch“ ist.
„Wer sich in wachsendem Maße bedrängt und bedrückt von der Tatsache fühlt, daß die parasitären Existenzen in unserem Land so zunehmen, daß man schon von einer Klasse neuer Art sprechen muß, der liest im Brockhaus über den Parasiten: ,In der Biologie nennt man so ein Lebewesen, das auf Kosten seines jeweiligen Wirtes lebt, ohne diesen unmittelbar zu töten, das ihn jedoch durch Nahrungsmittelentzug und seine Ausscheidungen schädigen und dadurch parasitäre Krankheiten hervorrufen kann. 1 Genau dies ist ein Phänomen von wachsender Bedeutung unserer Bundesrepublik.“ Herr Jürgen Eick, der diese Sätze am 7.10.1981 im Leitartikel der FAZ unter dem Titel „Hin zur parasitären Gesellschaft?“ geschrieben hat, ist nicht irgendein untergeordneter Redaktionsbote (dem man wenigstens das schlechte Deutsch noch hätte verzeihen können), sondern immerhin Mitglied des Herausgebergremiums der Zeitung.
Vor der hier zitierten Passage ergeht der Autor sich in Betrachtungen über die Frage, ob die „Wirtschaft“ ins Gebiet der Naturwissenschaften oder in das der Geisteswissenschaften fällt. Das Problem der „parasitären Klasse“ — darunter versteht der Autor arbeitsscheues Gesindel aller Couleur, vom fidelen Frührentner bis zum fürstlich schlemmenden Hausbesetzer — ist glücklicherweise kein solcher Grenzfall: eindeutig kann es Herr Eick in die Zuständigkeit der Biologie verweisen. Vollkommen in die Irre ginge also, wer, aus liberalem Überschwang heraus, dieses Problem etwa für ein soziales hielte. Nicht politische Strategien sind daher hier angemessen, sondern einzig die kraftvollen Heilmittel der Natur.
Wenn an einem gesunden Volkskörper sich zuviele der schädlichen Schmarotzer eingenistet haben, so lehrt uns schon der erste Blick auf die Gesetze der Natur, gibt es nur eine Rettung: das Ausmerzen.
Natürlich sind die Herren von der FAZ viel zu vornehm zurückhaltend, diese rohe Konsequenz auszusprechen. Allein nach den Worten, die sie wählen, ist sie unausweichlich. Sprache übt, mittels der Bilder, derer sie sich bedient, stets materielle Gewalt über das Denken aus; diese ist um so größer, je mehr die Sprache die Autonomie ihrer Bilder zu verleugnen sucht, je mehr sie bemüht ist, die Assoziationen, die die Bilder hervorrufen, bloß zwischen oder hinter den Zeilen ihre Wirkung entfalten zu lassen. Das biologische, vulgärwissenschaftlich ausgemalte Bild des Parasiten, eingesetzt zur Kennzeichnung einer gesell schaftlichen Gruppe, erzeugt einen Überhang an bildhaften Assoziationen, der das Denken in naturhaften Analogien gefangenhält, der es drängt, sich in den Bahnen dieser Analogien weiterzuentwickeln — bis zum unausgesprochenen Ende. Der FAZ-Schreiber hütet sich, diesen Überschuß durch rationale Argumentation aufzulösen. Denn er ist beabsichtigt. Es ist die Technik fast aller avancierten Hetzartikel der FAZ in der letzten Zeit, durch den Assoziations- und Emotionsgehalt der sprachlichen Bilder mehr zu sagen als „offiziell“ zugegeben wird. Diese Technik dient der Erzeugung eines politischen Pogrom-Klimas, in dem auch faschistoide Emotionen sich austoben können, während die Verantwortlichen scheinbar saubere Hände behalten. Die Leistungsfähigkeit auch des autoritären Obrigkeitsstaates, so lautet der „offizielle“ Text, wäre begrenzt; soziale Sichtweisen kann er sich nicht erlauben. Wer krank, alt, arbeitslos ist, ist ein Schädling; der Versuch, auf ihn Rücksicht zu nehmen, würde den Untergang des Volksganzen heraufbeschwören. Unter der Oberfläche dieses Textes aber entwickelt sich eine ganz andere Bilder- und Gedankenkette, die zu „radikaleren“ Schlüssen gelangt als bloß dem Abbau der Sozialversicherung. In ihrem Kern: der Übersetzung eines sozialen „Problems“ in ein biologisches, ist die Argumentation des Herrn Eick „wirklich identisch“ mit der Rassenpropaganda des Nationalsozialismus. Eine Zeitung, der kaum etwas so leicht über die Lippen geht wie der Vorwurf des „Linksfaschismus“, wird sich nicht darauf berufen wollen, sie habe das nicht gewußt.
Politische Macht braucht, um sich erhalten zu können, eine soziale Basis, eine ihr konforme Ausrichtung des gesellschaftlichen Lebens. In Deutschland scheint diese Notwendigkeit besonders ausgeprägt zu sein. Rasche Machtwechsel wie etwa in England entsprechen nicht der deutschen Tradition. Ein Wechsel der Machtverhältnisse ist hier ausgelöst und begleitet durch eine langsame und zähe Verschiebung der Stimmungslage der Bevölkerung. So war es Ende der sechziger Jahre, als die SPD an die Macht kam, und den Klügeren unter den Strategen der Rechten ist nicht verborgen geblieben, daß die Versuche der CDU, die Macht zu erobern, ohne eine entsprechende Formierung des gesellschaftlichen Lebens wahrscheinlich erfolglos bleiben. Um diese Formierung zu bewerkstelligen, wird ein ideologischer und kultureller Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen, dessen Schärfe manchen Gutgläubigen überraschen mag.
Der Flaß auf Minderheiten, auf „Abweichler“ ist nur eine Komponente dieser Strategie. Um ihn sozusagen salonfähig zu machen, schreckt die FAZ,wie gesehen, auch vor extremen „Denk“figuren nicht mehr zurück. Zum täglichen Brot gehört bei dieser Zeitung mittlerweile ohnehin eine Flut von Bezeichnungen wie „Pöbel“,,,Horden“, „Asoziale“, „Kriminelle“, die einem Blatt mit so emphatisch bürgerlichem Anspruch schlecht zu Gesicht stehen sollten.
Doch der selbsternannte neue Bürger sucht auch das Positive, das ihm die Gewißheit verleiht, Besseres als der Pöbel von der Straße zu sein. Um dem Leben des Bürgers neuen Glanz und neuen Stolz zu schenken, wird die längst fadenscheinig gewordene Hülle bürgerlicher Kultur und Lebensart wieder aufgemöbelt, in monumental-großkotziger Gestalt wie in der frankfurter Alten Oper oder im kleinbürgerlich-muffigen Alltagskittel wie im Mütterlichkeits- und Geborgenheitskultus der CDU-Sozialausschüsse.
Kultur als von längst verlorengegangenen Inhalten abgezogene, leere Form dient der Selbstbespiegelung eines leistungsorientierten Mittelstandes, der sein Gefühl, die Gesellschaft lebe von seiner Hände Arbeit, durch den Zauber der Exklusivität umschmeichelt sehen möchte. Die erhabene Langeweile und konfektionierte Schönheit der neuen Kultur darf keinesfalls verändernd in die gesellschaftlichen Widersprüche eingreifen, sondern soll diese gerade stillsteilen, aus dem Bewußtsein der Konsumenten auslöschen. Sie verleiht dem verwaschenen „Klassenstolz“ dieses Mittelstandes sinnlich-handgreiflichen Ausdruck. Die mit viel Geld geformte Maske der Selbstgefälligkeit suggeriert Selbstsicherheit gegenüber denen, die mit der bloßen Form nicht zufrieden sind und weiterhin Anderes suchen. An diesem Punkt offenbart die neubürgerliche Gemütlichkeit ihre aggressiven Züge: wer sich der verzuckerten Integration widersetzt oder sich die Eintrittskarte in die glitzernde Welt einfach nicht leisten kann, der wird zur parasitären Existenz, zum vogelfreien Mob erklärt. Aber vielleicht verrät der ungezügelte Haß auf den „Pöbel“, auf die, die nichts arbeiten wollen, die leise Ahnung des im Schweiße seines Angesichts sich abmühenden Bürgers, wie hohl alles das ist, was ihm als „Großer Stil des Lebens“ zum Kauf geboten wird.