Als im letzten Jahr der zweite Band von Günther Anders' Hauptwerk erschien, war seit der Veröffentlichung des ersten Bandes („Die Antiquiertheit des Menschen, Erster Band: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution") annähernd ein Vierteljahrhundert vergangen. Zu dieser ungewöhnlichen Zeitspanne bemerkt Anders im Vorwort: „Wenn mich etwas zum Verstummen gebracht hat, so die Einsicht und das Gefühl, daß vis-ä-vis der Gefahr des wirklichen Untergangs der Menschheit nicht allein die Beschäftigung mit deren „bloßer Dehumanisierung" ein Luxus war, sondern daß selbst die ausschließliche Beschäftigung mit der Gefahr eines effektiven Untergangs, sofern sie sich auf eine nur philosophischtheoretische beschränkte, wertlos blieb. Vielmehr empfand ich es als unabweisbar, soweit das in meiner Macht stand, wirklich teilzunehmen an dem von Tausenden geführten Kampf gegen die Bedrohung. Wenn ich meinen ersten Band im Stich gelassen habe, so deshalb, weil ich nicht gewil|t war, die in diesem vertretene Sache im Stich zu lassen. " (S. 12/13) Anders, Mitinitiator der weltweiten Anti-Atom-Bewegung in den fünfziger Jahren, stark engagiert gegen den Vietnam- Krieg, bezeichnet seine eigene Rückwendung zur philosophisch-gedanklichen Auseinandersetzung mit einer durch verselbständigte Ökonomie und Technik beherrschten Welt als angesichts der Mißstände und Gefahren verfrüht; so dürfe nicht davon gesprochen werden, der zweite Band erschiene „erst heute", sondern „schon heute" — da Theorie immer mit einem Rückzug aus der Praxis verknüpft sei.

Das für linke Intellektuelle ungewöhnliche Engagement, das aus solchen Zeilen hervorgeht - gewöhnlich wird die Priorität zwischen Theorie und Praxis entgegengesetzt beurteilt — findet sich bei Anders auch in den philosophischen Ausführungen selbst wieder, spricht aus der Thematik und der Form der dargestellten Probleme, gewinnt dadurch Glaubwürdigkeit und Relevanz auch für Menschen, die Anders' Fragestellungen und politisch-moralische Positionen nicht ungebrochen teilen.

So sehr sich die einzelnen Kapitel „Über die Zerstörung des Lebens ..." um ein Thema zentrieren — die Degradierung der Menschen zu Anhängseln einer von ihnen erzeugten und in Gang gesetzten Produktion und Technologie, bis hin zur Bedrohung durch globale atomare Vernichtung — so wenig ist dieses Buch ein systematischer Abriß, was meines Erachtens in doppelter Weise moralisch begründet ist. Der erste Grund wurde schon erwähnt, das praktische Engagement des Autors in den vergangenen Jahrzehnten, wobei eine Reihe von Artikeln und Vorträgen, die in diesem Buch nun neben einigen neu geschriebenen Abschnitten ihren Zusammenhang finden, sozusagen „nebenher" entstanden sind. Den zweiten Grund sehe ich darin, daß Anders bei aller Beschreibung eines totalitären technokratischen Systems vom Menschen ausgeht. Noch im hundertfachen Aufzeigen, daß Technik und Produktion als geschichtlich bestimmendes Subjekt die Menschen unterjochen, bleibt das Humane - oder das,was es sein könnte — Dreh- und Angelpunkt: „ . . . daß ich also stets von bestimmten Erfahrungen ausgegangen bin — sei es von den Erfahrungen der Arbeit am laufenden Band, sei es von der in Automatisierungsbetrieben, sei es von denen auf Sportplätzen." (S. 10) In der fehlenden menschlichen Selbstbestimmung und in einem totalitären technisch-ökonomischen System liegen die Bezugspunkte, um die Anders' Einzeldarstellungen („Die Antiquiertheit . . . der Produkte, der Menschenwelt, der Arbeit, der Maschinen, des Individuums, der Privatheit, des Sterbens, der Freiheit, der Geschichte, des „Sinnes", der Bosheit" usw.) kreisen. So verliert sich trotz der Vielzahl der Einzeldarstellungen und dem bewußten Verzicht auf Ableitungssystematik dieses Buch von Anders nicht in Zufälligkeiten. Den Charakter des Ausgehens von spezifischen Erfahrungen, der weder ein am grünen Tisch entworfenes System noch eine geschwätzige Aufbereitung von Zufälligkeiten zuläßt, bezeichnet Anders als „Gelegenheitsphilosophie" (S. 10) Solche Art Theoriebildung, die aus Einzelaspekten mosaikförmig eine „Anthropologie im Zeitalter der Technokratie" entwirft, legt eine Besprechung nahe, die selber nicht systematisierend verfährt, sondern aus der Fülle originärer Gedanken einige wesentliche vorstellt: „Den Krieg als eine Zäsur im Leben der kapitalistischen Industrie anzusehen, wäre freilich falsch. Vielmehr stellt er, um die berühmte Clausewitzsche Definition abzuwandeln, nur eine Fortsetzung derfriedlichen Produktionszerstörungmit anderen Mitteln dar." (S. 285) „. . . in unserer, der „push button"Epoche, würde ja nun auch der letzte Effekt durch einen Knopfdruck hergestellt werden. Und da dieser Knopfdruck irgendwo im Hinterland, also ferne der Aktionsbühne oder des Kriegsschauplatzes vor sich gehen würde, würde sich dieser (Knopfdruck) von dem in normalen

Herstellungsprozessen üblichen button pushing in nichts unterscheiden, würde er mit „Handeln" ebensowenig zu tun haben wie andere maschinelle Bedienungsgriffe. Im Prinzip, in dem, was die Tätigkeit anbetrifft, gibt es zwischen der Durchstanzung eines Eisenblechs und der Verwüstung einer auf einem anderen Kontinent gelegenen Stadt keinen Unterschied mehr." (S. 70) Solche Äußerungen lassen aufhorchen, zumindest die These von Anders, die „Differenz von Arbeiter und Militär" werde in den hochindustrialisierten Gesellschaften in mancher Hinsicht „gelöscht" (S. 71). Sie verweisen meines Erachtens auf eine Problematik, die in der Friedensbewegung bisher entschieden zu kurz kommt, den Zusam-menhang der destruktiven Militär-technologie mit der alltäglichen,fortschrittlichen, unspektakulärenProduktion. „In Frieden arbeiten!" ist eine der Parolen, die das Unverständnis dieses Zusammenhangsauf den Begriff bringt, und die aus einer Richtung kommt, die für die Wurzeln der Destruktion in den Gesellschaften des Ostblocks auch entsprechend unsensibel ist: Vielleicht weil dort „in Frieden gearbeitet" wird?

Dem angedeuteten Zusammenhang näher auf die Schliche zu kommen, und dafür bietet „Über die Zerstörung des Lebens ..." viele Ansatzpunkte, kann auch gegen den als Wunsch verständlichen, aber als politische Einschätzung kurzsichtigen Schluß wirken, die Sehnsucht nach dem Frieden ließe sich einfach und praktikabel (durch Verhinderung des Schlimmsten) in Friedensrealität umwandeln.

Was oberflächlicher Betrachtung vielleicht als Verharmlosung eines atomaren Krieges erscheinen könnte — „keine Zäsur" — erweist sich bei näherem Hinsehen als Forderung, der atomaren Bedrohung nicht nur an den augenfälligsten Punkten, sondern von der Wurzelher entgegenzuwirken, an den Ursachen anzusetzen, die viel tiefer liegen als beispielsweise nur in der neuen amerikanischen Außenpolitik.

Auch für Anders besitzt die Abwehr einer wahnsinnigen Militärtechnologie Vorrang, nicht nur sein erwähntes jahrzehntelanges Engagement belegt dies, leidenschaftliche Appelle gegen die Perversion des „Overkills" (Mehrfachtötens) durchziehen sein ganzes Werk. Dennoch ist im Vergleich zu manchen seiner früheren Bücher* im zweiten Band der „Antiquiertheit des Menschen" die Thematik Krieg/Kriegstechnologie zwar eindringlich und unabweisbar, aber eher sporadisch vertreten. Dadurch gerät sie allerdings keineswegs aus dem Blickfeld, sondern ist präsent etwa in den Darstellungen von Ursachen der Destruktivität in den hochindustriellen Gesellschaften: Ein Beispiel ist das Diktat der Produktion zum Verbrauch von Waren (nichts darf Bestand haben, jedem Produkt ist der Auftrag seiner Vernichtung beigegeben, auch den Waffen — die zwar in der „Notwendigkeit" zum Erzeugen immer neuer Waffensysteme auf der Gegenseite und dadurch bedingtem ständigen Veralten als wechselseitigem Prozeß auch „verbraucht" werden, aber weiterhin auf unmittelbare Anwendung drängen), wie er oben schon mit dem Begriff „Produktionszerstörung" gekennzeichnet wurde. Ein anderes Beispiel bildet die spezifische Destruktivität, die dem Verhältnis Mensch - Maschinerie in den technokratisch bestimmten Gesellschaften entspringt. Anders spricht hier von einer „Gleichgültigkeit gegenüber der Totalvernichtung", und spürt dieser nach: „Ohne die Unterstellung einer allgemein schwelenden Rachelust wäre diese Indolenz schwer begreiflich. Und vollends unbegreiflich wären jene blasierten „Und-wenn-schon-Apokalyptiker", die sich darin gefallen, die Drohung mit einem „und warum nicht?" abzutun. Auf die Fra-ge, wem dieser ihr Affekt denngelte, müßte die Antwort wohl lau-ten: „Der ganzen Maschinerie". Das heißt: Der Maschine der heutigenWelt, in deren Gang sie hineingezwungen sind, und der zu entrinnen sie alle Hoffnungen aufgegeben haben. Vermutlich sind sie von der Tatsache, daß auch diese Maschine ihrer selbst nicht total sicher ist und daß sie sich unter Umständen in einer allgemeinen Maschinendämmerung selbst in die Luft sprengen könnte, fasziniert. Jedenfalls erfüllt sie dieser Gedanke mit so ungeheurer antizipatorischer Schadenfreude, daß daneben die Angst davor, auch mit draufzugehen, nicht zählt." (S. 64)

Das Hauptmotiv von Günther Anders' „Über die Zerstörung des Lebens ..." bildet meines Erachtens die Frage: Wie findet der durch Technik und Produktion unterjochte Mensch zu einem menschlichen Selbstbewußtsein und menschlichen Lebensverhältnissen, die diesen Namen auch verdienen? Dabei geht es nicht nur um Gefahren der technischen Entwicklung, sondern um die Degradierung der Menschen zu Vasallen einer entfesselten Technik, ihrer Konsum- und .Sachzwänge' — ohne Freiheit und Selbstbestimmung. Gegen beides Widerstand zu leisten, ist Aufforderung des Buches.

Hier gerät Anders selbst, glaube ich, zu seinen Analysen in Widerspruch, denn so sehr er eine Versklavung des Menschen durch einen „Totalitarismus der Geräte" (S. 109) als schier unentrinnbar diagnostiziert, ist jedes Kapitel Protest dagegen, Aufbäumen, gefüllt mit der Hoffnung, daß dies nicht so sei.

Dies wirft hauptsächlich zwei Problemebenen auf. Erstens: Die moralischen Kriterien, anhand derer die industrialisierte Welt kritisiert wird, scheinen aus dem Gehalt der Analysen heraus selber überholt. Zweitens: Angesichts erdrückender Darstellungen eines totalitären ökonomisch-technischen Systems bleibt die Frage zu stellen: Woher soll das vereinzelte Individuum die Kraft zur Veränderung nehmen?

Zum ersten Problem: Aus Anders' Analysen geht ständig hervor, daß in einer technisierten Welt, in dem Beherrschtsein der Menschen von Konsum- und Produktionszwängen („Terror" der Unterhaltung (S. 136), Zwang zum Zuhören, zum Zusehen, Zerstörung von Privatheit, Individuum, Freiheit, Geschichte . . . ) auch traditionelle moralisch-ethische Grundbegriffe über den Haufen geworfen sind. Er hat dies andernorts am Beispiel der Hiroshima-Bombe eindrucksvoll verdeutlicht, z.B. in der Unangemessenheit überkommener Begriffe von Schuld und Sühne gegenüber den neuen Dimensionen des Grauens. Menschliches Maß im Begreifen und moralisches Urteilen scheint angesichts der Differenz dessen, was technologisch hergestellt und dessen, was vom Menschen vorgestellt werden kann, historisch außer Kraft gesetzt. Dies gilt angesichts neuer Dimensionen, die die menschliche Beurteilung, ja das Vorstellungsvermögen überschreiten, allemal auch für Kategorien wie gut und böse.

Wie lächerlich es zum Teil wird, weiter mit einem alten Wahrnehmungs- und Beurteilungsapparat zu verfahren, verdeutlicht Anders durch ein Zitat eines bekannten europäischen Politikers, der bei der Führung durch einen im Bau befindlichen Kernreaktor fragte: „Was soll denn daran so schlimm sein?". Diesem Politiker bescheinigt er einen „verstaubten Begriff von Empirie" (S. 34). Im Kapitel „Antiquiertheit der Bosheit" bemerkt Anders: „Gute Zeiten waren das, als die Bosheit noch in Boshaften oder Bösartigen verkörpert war, und als man noch hoffen durfte, das Böse durch Kampf gegen das Böse bekämpfen zu können." (S. 409) Zahnlos bleibt eine Kritik solcher Entwicklung, die auf traditionelle moralische Wertungen zurückgreift, da hier das Böse immer eine Nähe zum Menschlichen hatte, mit diesem eine verwerfliche Einheit bildete, während die technisch maschinelle Vernichtung jenseits solcher Niederungen zu entspringen, ja über sie erhaben scheint.

Den Widerspruch sehe ich nun darin, daß Anders eindringlich und schonungslos derartiges Überholtsein von menschlichem Maß, Vorstellen, moralischem Urteil durch die technische Entwicklung analysiert, immer wieder aufzeigt, jedoch — meines Erachtens — diesem Verfallsprozeß genau vom Standpunkt klassisch humanistischer Moral Widerstand entgegensetzt. Der Humanismus in seinem emphatischen Sinne von Freiheit und menschlicher Würde bildet sozusagen eine Schutz- und Trutzburg, vor der die verkommene Welt auf dem Prüfstand steht. Mich stört nicht der darin enthaltene konservative Gedanke, im Gegenteil, ich empfinde solches Denken sympathischer als das jeweils hypermoderne. Offen bleibt aber die Frage, ob und wie diese humanistische Moral — gerade angesichts des Zustands der Welt — reale Kraft werden könnte.

Damit eng verknüft ist die zweite Problemebene: Anders bezeichnet den Zauberlehrling Goethes, der gegen die von ihm freigesetzten Geister immer noch einen Meister zur Hilfe rufen konnte, als privelegiert (vgl. S. 398). Der Menschheit scheinen solche Möglichkeiten verschüttet, sie ist zum Selbstlosen der von ihr aufgeworfenen Probleme gezwungen. Die Chancen dazu erscheinen nach den Darstellungen von Anders dem Leser nicht hoch, die Zeit nicht unbegrenzt. Anders gebraucht schon früher („Endzeit und Zeitenende, Gedanken über die atomare Situation") den Begriff der „Frist", und kritisiert von seinem illusionslosen Standpunkt aus etwa die Blochsche Hoffnungsphilosophie als Verschließen der Augen, Bloch habe sich „gegen die Realität . . . systematisch blindgemacht". (S. 413) An solchen Stellen zeigen sich die Vorzüge wie die Schattenseiten der schonungslosen negatorischen Kraft, die Anders vertritt. Enthält die Blochsche Hoffnungsphilosophie zugegebenermaßen Vorstellungen von heiler Welt, so ist Bloch doch immer bemüht, den „Daß-Grund", das „Drängen" zu einer besseren Welt in den Men-schen, ihrer lebensgeschichtlichen wie weltgeschichtlichen Entwicklung aufzuspüren und zu fördern. Derartig Versöhnliches fehlt bei Anders, dafür haben die Analysen in ihrer lllusionslosigkeit, die nicht noch im letzten Winkel der bürgerlichen Gesellschaft Positives aufstöbert, etwas Erfrischendes. Jedoch erschlägt das Postulat: „Dein erster Gedanke nach dem Erwachen heiße „Atom". Denn du sollst deinen Tag nicht mit der Illusion beginnen, was dich umgebe, sei eine stabile Welt." (Gebote des Atomzeitalters, 13.7.1957 in der FAZ erschienen). Diese Forderung, die auch im Band „Über die Zerstörung des Lebens . . ." zwar nicht ständig, aber häufig spürbar wird, ist zwar keine von Anders willkürlich entworfene, sondern — Philosophendeutsch gesprochen — „eine der Sache selbst", dies macht die Tendenz jedoch nicht geringer, den Leser zu erschlagen. Die ununterbrochene Vergegenwärtigung des Wahnsinns kann auch wahnsinnig machen bzw. Verdrängungsmechanismen in Gang setzen. Mir persönlich gefällt solche Kompromißlosigkeit allerdings besser als ein quasi pädagogisches Umgehen mit Mißständen und Gefahren, das statt dieser das Individuum der Behandlung für nötig befindet und an ihm herumdoktert.

Obwohl „Über die Zerstörung des Lebens ..." solchermaßen alles andere als Hoffnungsphilosophie darstellt, ist es in seiner Schonungslosigkeit nicht gänzlich ohne Hoffnungsgehalt. Außer durch den Gedanken, daß die Technik nicht end-gültig Subjekt der Geschichte sei, die Menschen nicht nur Funktionen eines unaufhaltsamen Produktionsund Konsumtionsprozesses, wäre das Engagement auch von Günther Anders gar nicht erklärlich.

Anders entwirft keine Theorie revolutionärer Änderung der von ihm beschriebenen Systeme, aber in so unscheinbaren Aufforderungen wie der, die Konsequenzen des eigenen Handelns jederzeit zu bedenken, oder in der Aufforderung zum Mut, Nein zu sagen — und zwar nicht nur dort, wo Krieg oder Katastrophen drohen, sondern schon im Alltag — liegt mehr Hoffnung, als es der erste Blick verrät Günter Anders, 1902 geboren, entstammt einer früheren Generation. Aus dem Unterschied seiner Erfahrungs- und Beurteilungsweisen zu denen von Menschen aus der Nachkriegsgeneration ergeben sich überraschende Differenzen, die Selbstverständlichkeiten in Frage stellen, Bewußtsein für Geschichte auf unkonventionelle Art erzeugen. Als Beispiel sei hier auf kulturkritische Äußerungen etwa gegenüber Auto oder Back-ground-Musik verwiesen.

„Es gibt wohl kein Ding, das der Arbeiterbewegung einen so unrevidierbaren Schaden zugefügt hat wie dasAuto." (S. 465) „Was die Background-Musik von uns verlangt, ist nicht mehr, gehört zu werden; vielmehr ist sie nur deshalb da, weil ohne sie ein unerträgliches Vakuum ausbräche." (S. 254) „ . . . die Di-mension des Akustischen ist die Di-mension der Unfreiheit. Als Hörende sind wir unfrei. Fortzuhören ist schwieriger als fortzublicken." (S. 243) Über Anders' Klage, das Individuum sei verurteilt, in einer Welt zu leben, in der ihm „kein stiller Platz übrigbleibt" (S. 242), mögen viele hinweggehen mit dem mitleidigen Empfinden, der Autor selbst

sei antiquiert. Aber auch wer so reagiert (nur als Beispiel) ist nicht dagegen gefeit, wenn er doch plötzlich sich in ungewohnter Ruhe findet, merkwürdig unruhig zu werden, Stille oder Ruhe gar nicht mehr ertragen zu können.

Anders fordert keine Rückversetzung der Menschheit in einen vortechnischen Zustand, beurteilt auch die Funktion der Technik differenziert. Der allgemeine Fortschrittsglaube wird nicht einfach umgekehrt, aber „Es genügt nicht zu beteuern, man solle die Technik für gute statt für böse Zwecke, für aufbauende statt für destruktive Aufgaben benutzen." (S. 126) „Reaktionär sind diejenigen, gleich ob hüben oder drüben, die Angst davor haben, als Maschinenstürmer verspottet zu werden. Der Glaube, daß es Provinzen gäbe, die von Selbstwiderspruch und Dialektik frei wären, und daß ausgerechnet die Technik eine solche angelische Provinz sei, ist kindisch." (S. 126) Anders' Buch ist im besten Sinne des Wortes anti-totalitär. Dabei darf unter Totalitarismus nicht nur das üblicherweise gemeinte Gesellschaftssystem verstanden werden. Anders' Totalitarismusbegriff zielt auf eine Tendenz ähnlich der, die Marcuse im „Eindimensionalen Menschen" prognostizierte. „Was dagegen beantwortet werden kann, ist die Frage, worin das Erschrecken-ste an dieser, „Konformismus" genannten Variante des Totalitarismus bestehe. Die Anwort lautet: In der Tatsache, daß sie ohne Terrorvor sich geht ." (S. 240/241) Gegen solches Funktionieren wirkt „Über die Zerstörung des Lebens ..." als Gegengift, soweit Bücher dies vermögen. Der Leser, der in keiner Hinsicht beruhigt entlassen wird, muß die Möglichkeiten und Wege zur Veränderung selbst suchen, bekommt — und dies ist nicht unbedingt ein Manko - wenig Flinweise dazu. Aber, oft in Nebensätzen, und gar nicht so todernst und getragen formuliert, wie es das Thema erwarten ließe, schimmert Kraft zur Veränderung durch, auch wenn sie sich aus verzwickten Negationen speist. Schließlich sei angesichts des Zustands der Welt „die Hände in den Schoß zu legen oder die Zeit im besten Falle zum Niederschreiben von Theorien zu verwenden, schwer erträglich. Inaktivität ist ungleich anstrengender als die anstrengendste Aktivität " (S. 13) Norbert Weidl