Der Umschlag erinnert an Opekta, das Einkochritual der 50er Jahre, nicht an den wesentlich theoretischen Versuch, eine „politisch diskutierbare Form" zu finden, in der sich Leineweber — stellvertretend für „Wir" — als „soziales Wesen akzeptieren kann" (7).

Die schwere Schwüle von Melancholie, Tristesse und Kleinkariertem, unterbrochen nur von „herrlichem Wetter" und „herrlichem SchafsCamembert", steht so durchgängig still über den einzelnen Seiten, deutet auf lustlose Einkehr und demütigen Rückgriff.

Die Fragen sind spannend und genau gestellt, alle handeln sie von „Odysseen der Vernunft, von der Fülle abwegiger Möglichkeiten ihrer Verstrickung ins bloß Individuelle oder ins bloß Gesellschaftliche und von den Aufgaben, die daraus der Theorie Zuwachsen." (16) Vorschnelle Lösungen sind damit pauschal, aber treffend kritisiert. Das prekäre Dazwischen, das individuelle, soziale, politische und kulturelle Problem des Individuums: als alltagspraktische Identität des Nichtidentischen, als sowohl individuellbesonderes und zugleich gesell schaftlich-allgemeines Wesen, ist das Thema. Die praktisch gelebte und als diese zugleich theoretisch reflektierte Verkehrsform ist so zugleich Gegenstand und (theoretische) Herangehensweise des Buches von Bernd Leineweber. Utopie so begriffen wird handhabbar als gelebte Verkehrsform im alltäglichen, weitgehend selber geschaffenen Experimentierfeld der Landkommune. „Das Beste an dem Begriff der Alternative ist seine Unbestimmtheit. Er ist wie ein Schlüssel ohne Schloß." (27)-„Aber nur m i t der Wissenschaft läßt sich die Erfahrung der Revolution retten." (23) Diese Bestimmung des Herangehens trifft nun auch den Autor, seine Überlegungen zum Gegenstand sind bestimmt von seinen lebensgeschichtlichen Erfahrungen. Von Subzentren der antiautoritären Revolte, den rhetorischen Debatten des SDS, dem Putz der Straße, ist er recht schnell in die Idylle übergewechselt. Seit einigen Jahren schon lebt er in Niederbayern, in „seiner" Landkommune. Diese beiden Pole bestimmen seine Lebensgeschichte, strukturieren seine Reflexionen. Für ihn gibt es nur die 68er - Bewegung, von der sich abzugrenzen und gegen die (Alp?) sich zu verteidigen ist, und die eigene Landkommune, auf die kritisch und affirmativ er sich bezieht. Zwischen diesen beiden Polen: Gesellschaft und (Natur-)Gemeinschaft, entwickelt Leineweber seine Debatte. Reaktualisierung von Geschichte und Geschichten, die nicht meine sind.

Daneben bleibt' s eben. Neue soziale Erfahrungen, Entwicklungen, Tendenzen, soziale Bewegungen usw. werden in seine Überlegungen nicht einbezogen. Bernd schmort im eigenen Saft.

In guter marxistisch-utopischer Tradition ist unser Bernd nicht nur Schafzüchter, Töpfer und Ackermann, sondern nach getaner harter Arbeit auch Philosoph. In seinem Studierstübchen arbeitet er an den Werken anderer Philosophen:Gustav Landauer, Theodor W. Adorno, Hermann Hesse, Meister Eckhart usw. Der in der politischen Diskussion weitgehend unbekannte Gustav Landauer wird ihm zum Zeugen des „Heiligen", der,, Liebe", der „Meditation" und des „Einsseins mit dem All". Die wichtige Fragestellung beginnt hier in alternativen Neopietismus umzuschlagen. Das Ich verschwindet, soll verschwinden in den nirwanahaften Nebeln des unbeschränkten Alls: „Diese Art Psychologie zielt auf Individualität in unbeschränkter Gemeinschaft, sie kehrt das Innerste nach außen, so lange bis die Differenz verschwindet. Hinter dieser Vision steht das Programm der mystischen Theologie, die Landauer vor allem von Meister Eckhart übernommen hat." (88). Die Frage ist damit beantwortet, Religion ist die Antwort. Die tiefer liegende Frage scheint für Leineweber nicht, wie die individuellen, sozialen, gesellschaftlichen usw. Bedingungen geschaffen und verändert werden müssen, daß für Dich und für Mich sich wirklich lohnt zu leben, sondern die des Bouillonwürfels: Wie kann ich in einem Liter Wasser so aufgehen und verschmelzen, daß andere und ich mich nicht wiedererkennen.

Dieses Motiv des Selbstverleugnens, die unbeschränkte Langeweile wird ein Hauptmotiv. Die Landkommune soll der Ort sein, an dem wir wechselseitig zum gemeinsamen Nichts diffundieren. Wir alle, gemeinsam mit Natur und Kosmos verschmelzen so zum religiös-Über-Individuellen. „Die gemeinsamen Interessen, die immer von den Interessen der je einzelnen bedroht sind, werden erst durch die Befriedigung der gemeinsamen Bedürfnisse tragbar, so wie das Anderssein jedes einzelnen erst zu ertragen ist, wenn jeder den anderen als sein alter ego, also alle zusammen als Gesamtpersönlichkeit, die ich bin, wahrzunehmen gelernt hat." (174) Das Problem der prinzipiellen und existenziellen NichtIdentität wird hier gefährlich „gelöst", die Megamaschine einfach ersetzt durch die Kommune- und Naturmaschine, Anhängsel bleiben die Individuuen allemal. Bernd Leineweber umgeht, ob die Fürbitte Mutter Theresia und die Greuel des Faschismus nicht gleiche psychodynamische Wurzeln haben.

Das Interesse geht allgemein auf das Spirituelle, die Auflösung der Gesellschaftlichkeit zugunsten einer „natürlichen" Gemeinsamkeit, Arbeit wird zum meditativen Wert: „Arbeit dient den Bedürfnissen aller und ist doch erstes Lebensbedürfnis eines jeden. Die Vitalität einer Gemeinschaft wird nach Energieströmen gemessen ..." (100) Das Problem Individuum-Gesellschaft wird von Leineweber so in einem Dritten, der naturverbundenen religiösen Gemeinschaft aufgelöst, gesellschaftliche Bande und Beziehungen sind ersetzt durch nur noch unmittelbar-persönliche, wahlfamiliäre Bernd Leineweber hat damit gezeigt, daß auch mit theoretisch-elaborierter Argumentation die Ideologie des Indianermythos zu begründen ist.

Ziel bleibt: „wirklich zu hören verstehen, was die Bäume sagen" (207), nur soll er diese dann nicht abschlagen lassen, um aus ihnen Papier für seine Bücher zu produzieren.

Franz Mettel