Das im Trikont-Verlag erschienene Buch „Wie alles anfing ”von ,Bommi’ Baumann — eine Autobiographie des ehemaligen Mitglieds der .Bewegung 2 Juni’ — wurde bald nach Erscheinen 1975 wegen „Verherrlichung von Gewalt” und „Billigung von Straftaten” beschlagnahmt. Das Landgericht München sprach 1976 die Geschäftsführer des Verlages von diesen Vorwürfen frei. „Wäre das Gericht den Vorstellungen des Staatsanwaltes gefolgt, so wäre nicht nur Baumanns Buch verschwunden Dann hätten wir einen Rechtszustand, in dem die Justiz nach eigenem Ermessen festsetzen könnte, wo das .Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit’ zu enden hat.”

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Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Revision ein. Denn unter anderem durch die Karikaturen im Buch (die bekannten .Freak-Brothers’ aus amerikanischen Comics) würde „in Verbindung mit dem Text ein psychisches Klima geschaffen, in dem Bombenanschläge und Banküberfälle gedeihen.” Dies sei deshalb der Fall, weil in den Karikaturen die Verübung von „Banküberfällen und Bombenanschlägen als lediglich lachhafte, aber nicht als verwerfliche Aktionen gewertet werden.”

Die Revisionsinstanz, der Bundesgerichtshof, gab am 9.8.77 dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt,hob das Urteil desLandgerichts auf und verwies das Verfahren zu einer neuen Verhandlung zurück an die erste Instanz. Zwar sieht der BGH im ,Bommi’-Buch auch keine „Verherrlichung von Gewalt”, doch beim Vorwurf der „Billigung von Straftaten”...„ist es nicht auszuschließen, daß diese Würdigung (der ersten Instanz ,E.S.) durch Rechtsfehler beeinflußt ist .”(2)

Um den Straftatbestand von § 140 StGB zu erfüllen, müssen konkrete, also begangene oder versuchte Straftaten geschildert werden; darüber hinaus müssen sie „ in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlichen einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften” gebilligt werden .Unter Friedensstörung wird die „Erschütterung des Vertrauens der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit” bzw. die „Aufhetzung weiterer potentieller Täter, durch Schaffung eines psychischen Klimas’, in dem gleichartige Untaten gedeihen”(3) verstanden.Während das Landgericht davon ausging, einen Banküberfall nicht als konkrete Straftat anzusehen, da weder Ort noch Zeit angegeben wurden, legt diese Beurteilung laut BGH „ einen zu engen Maßstab an.”

Eine weitere konkrete Straftat wird vom BGH in der Schießerei gesehen, bei der Georg von Rauch getötet wurde.„Aus der Schilderung der Schießerei (S. 11 Off) ist zwar nicht zu entnehmen, wer zuerst geschossen hat; fest steht aber auch nach der Darstellung des Buches, daß Baumann und von Rauch Waffen bei sich führten und sie auch einsetzten, um einen gestohlenen Kraftwagen wegschaffen zu können. Die Würdigung als versuchter Mord liegt deshalb auf der Hand .”(4) Ebensowenig wie in der Gerichtsverhandlung gegen Klaus Wagenbach, in dessen Rotem Kalender 1973 stand: Georg sei ermordet worden, wird vom BGH geklärt, wer zuerst geschossen habe. Doch während es damals untersagt wurde, die Erschiessung von Rauch als Ermordung zu bezeichnen, da nicht zu klären war, wann und von wem der erste Schuß abgegeben wurde (5), wird nun vom BGH die Verletzung eines Kriminalbeamten bei dieser Schießerei als „versuchter Mord” charakterisiert.

Während das Landgericht bei den meisten im ,Bommi’-Buch geschilderten Straftaten die eindeutige und unmittelbare Billigung vermißt, meint der BGH: „Daß stellenweise eine zustimmende Kundgebung unmittelbar im Anschluß an die Schilderung des Vorganges fehlt, steht der Annahme einer Billigung nicht entgegen. ...Wenn ... zu Beginn (S.5) und Ende des Buches (S.137) sowie an anderen Stellen (z .B. S. 109,135) die Taten selbst insgesamt gutgeheißen werden, so genügt das den Voraussetzungen des § 140 StGB.”(6)

An den angegebenen Belegstellen findet sich jedoch keine eindeutige Billigung aller Taten.(7) Auch wenn Baumann sagt: „Ich stehe immer noch hinter allen Sachen, die ich gemacht habe” (8), so drückt dies noch keine Billigung aus, die geeignet wäre, den „öffentlichen Frieden” zu stören. Denn er warnt vor den Folgen des bewaffneten Kampfes: „Da entstehen genau dieselben rigiden Haßgestalten zum Schluß und haben auch wieder Macht in der Hand Stalin war ja eigentlich so ein Typ wie wir ...” (9).

Der BGH meint jedoch, Baumann sei von der Strategie des bewaffneten Kampfes nicht wirklich abgerückt: es bestehe Grund zu der Annahme, „daß er nur von solchen Taten abzurücken scheint, die sich als in der Öffentlichkeit nicht werbewirksam (!) erwiesen haben, daß er aber die geschilderten Gewalttätigkeiten nicht grundsätzlich ablehnt .”(10)

Dies versucht der BGH mit Zitaten zu belegen, die jedoch in einen verfälschten Zusammenhang gerückt werden: Wenn ,Bommi’ zum Solidarisierungsprozeß durch entschlossenes Auftreten („ wenn einer voll hinter seiner Sache steht”) sagt „gerade das hätte die Anhänger gebracht”(l 1), so macht der BGH daraus eine „Beurteilung der Solidarisierung durch Gewalt” (12). Im zweiten Beleg des BGH hierfür — „ selbst wenn man Gewalt anwendet ” (13) — wird ebenfalls der Zusammenhang gesprengt, in dem ,Bommi’ dies sagt. Der Satz heißt richtig: „Selbst wenn man dann Gewalt anwendet, hätte die einen viel realeren Aufhänger und würde höchstwahrscheinlich besser ausgeführt.”(14) Durch das vom BGH ausgelassene „dann” wird bei ,Bommi’ der Bezug hergestellt zu einer Gesellschaft, in der die Leute durch die „Geschichte mit der Liebe” gereift sind: „Man würde dann Revolution nicht mehr über Haß, über Leistungsdruck, über Enttäuschung und dergleichen bringen, sondern indem man ganz ruhig und überlegt eine humane Gesellschaft herbeiführt.” Und im Rahmen dieser Prozesse sieht Baumann auch die eine, nicht wahrscheinliche Möglichkeit — „selbst wenn man dann Gewalt anwendet” !

Doch der BGH legt auf die ausdrückliche Billigung aller Taten kaum Wert. Denn „im Übrigen geht die Strafkammer von einer zu engen Auffassung aus, wenn sie an mehreren Stellen die Schilderung der Vorgänge als nur beschreibend bezeichnet und deshalb eine Billigung verneint. Schon aus der Form der Darstellung kann hier unter Umständen eine Billigung entnommen werden, weil ... der Darstellende teils Mittäter teils erklärter Sympathisant der Täter ist und sich nicht ausdrücklich von den Taten distanziert.”(15)

Es kommt also nicht auf eine konkrete Billigung an, sondern es reicht, wenn die Taten nicht mißbilligt werden. Doch nicht nur Baumanns Schilderung eigener Straftaten, sondern auch seine Erwähnung von Straftaten anderer, die vor zum Teil zehn Jahren begangen wurden und ihn damals beeindruckten, könnte noch heute den öffentlichen Frieden stören. Die Erpressung der Bundesbahn durch Roy Clark 1967 oder die Brandstiftung im frankfurter Kaufhaus Schneider 1968 seien „Vorgänge der jüngsten Zeitgeschichte, die — ebenso wie die zeitlich noch weiter zurückliegenden nationalsozialistischen Gewaltverbrechen — noch so aktuell sind,daß ihre Billigung geeignet sein kann, den öffentlichen Frieden zu stören.”(16)

Die erste Instanz war der Ansicht, daß der Verfasser schildert, wie er damals zu den Ereignissen gestanden hat, da das Buch autobiographischen Charakter hat. Dazu meint der BGH:,, Es kann schon zweifelhaft sein, ob diese Auslegung angesichts der Ausführungen am Anfang und Ende des Buches (S.5, S.137) frei von Rechtsfehlem ist; ausdrückliche Ablehnung einzelner Verbrechen (z.B. Mord an dem „Verräter” Schmücker) braucht für die Annahme der Billigung anderer schwerer Straftaten nicht bedeutsam zu sein, ebensowenig wie die Kritik an Taktik und Strategie anarchistischer Gmppen und der eigene Rückzug aus der Anarcho-Szene. Für die Frage der Billigung mußte der Tatrichter jedenfalls den Umstand einbeziehen, daß der Verfasser seine damalige Zustimmung (und zum Teil auch Mitwirkung) noch jetzt als die richtige Reaktion eines jungen Mannes auf die gesellschaftliche Zustände ansieht.”(17)

Bommi schließt seinen Bericht mit: ,Jch habe es gemacht und es ist in Ordnung. Selbst die schlimmsten Erfahrungen waren richtig zu ihrer Zeit, weil anders hättest du es nicht gebracht, das war dein Weg und den mußtest du gehen.” (18) Aus diesem Stehen zu seinen Taten jedoch eine Zustimmung zu konstruieren, gelingt nur, wenn seine „ schlimmsten Erfahrungen”, seine Kritik und sein Rückzug von der Stadtguerilla außer Acht gelassen werden. Diese Auslegung des BGH beruht offenbar auf dem Bild des reuigen und unwissenden Sünders. Jeder einer Straftat Angeklagte, der in seinem Plädoyer daraufhinweist, welche gesellschaftlichen Zustände Bedingungen seiner Taten waren, könnte nach diesen Ausführungen des BGH auch noch wegen „ Billigung ” seiner Straftaten verurteilt werden.

„ Im übrigen kann gerade dann, wenn man eine isolierte Betrachtungsweise vermeidet, als friedensstörend in beiden bezeichneten Richtungen der Umstand betrachtet werden, daß der Verfasser eine große Zahl sich immer mehr in ihrem Ausmaß steigernder Rechtsverletzungen als nahezu selbstverständliche Folge gesellschaftskritischer Einstellung schildert, ohne über die Opfer oder den dabei angerichteten Schaden zu reflektieren.”(19)

Der BGH verliert aus den Augen,daß Baumann seine Beteüigung beim , 2.Juni ’ nicht nur aus ,, gesellschaftskritischer Einstellung”, sondern auch aus Freundschaft zu Georg von Rauch begründet. „ Ich habe eigentlich wegen Georg mitgemacht, weil ich einfach wußte, er will die Sachen machen, und ich wollte ihn nicht alleine lassen. (20) Gerade Wärme, Beziehung zu Anderen, Verständnis, Liebe versucht Baumann ja als seine „message ” herauszuarbeiten, als Kritikpunkt, als das, was mit dem bewaffneten Kampf in der BRD nicht vereinbar und doch so wichtig ist. Baumann schildert also keine „ Rechtsverletzungen als nahezu selbstverständliche Folge gesellschaftskritischer Einstellung”, sondern als Folge der „ Furcht vor der Liebe ”(21).

Mit dem BGH-Urteil sollen jedoch Bücher wie das von ‘Bommi’ Baumann nicht immer zensiert werden. Es richtet sich nur gegen Versuche, linke Öffentlichkeit zu schaffen. Erschreckend klar wird dies aus einer weiteren Stelle: „ Daran ändert nichts, daß vielfach Presseorgane und andere Medien Anarchisten selbst zu Wort kommen lassen ... Im Vordergrund steht dann aber in der Regel die Berichterstattung eines Presseorgans, das sich nicht mit der Kundgebung identifiziert. ” (22) Wäre das Buch in einem bürgerlichen Verlag, in einem offiziellen Publikationsorgan erschienen, so kämen die Herausgeber straffrei davon.

Das wird auch dadurch deutlich, daß eine Belegstelle des BGH für die angebliche Billigung aller Taten im Spiegel-Interview ist, das quasi dokumentarisch im Buch ab gedruckt wurde. Doch gegen den Spiegel wird deswegen kein Verfahren angestrengt.

Dem Trikont-Verlag wird als einem linken Projekt unterstellt, daß er Gewalttaten billigt und durch Veröffentlichungen jenes „ .psychische Klima’, in dem ähnliche Untaten geschehen”, schaffen will.

Denn in seinem Urteil beschäftigt sich der BGH mit keinem Wort mit den Absichten der Herausgeber: ,, Mit dem Bommi-Buch haben wir eine schwerwiegende Kritik an Elementen in den bewaffneten Gruppen vorgelegt, an ihren latenten Verhärtungen, an den Tendenzen, zum Apparat zu werden, an dem Kommandogehabe, an der Militärsprache, an Verhaltensweisen, die an stalinistische Strukturen erinnern. Nur ein offener Diskurs über die politische und persönliche Vorstellungswelt der bewaffneten Gruppen kann zu deren Entmystifizierung führen. Es spricht alles dafür, daß die Interessen des Staates in eine Gegenrichtunglaufen. Würde sonst die Kritik, die nicht verteufelt, sondern Ursachen freilegt, Motive erforscht, aber auch bereit ist, klare Gegenpositionen zu beziehen, ausgeschaltet?”

Das Landgericht München wird sich im neuen Verfahren vermutlich den Vorstellungen des BGH anschließen. Damit wird eine Gesetzes-Interpretation Schule machen, mit der ein Gutteil kritischer Öffentlichkeit zensiert werden kann — auch ohne die „ Maulkorb-Paragraphen” 88a und 130a zu benutzen.

Engel Schramm

Anmerkungen

(1) Die Zeit, 5.11.76

(2) BGH (1 StR 74/77), bisher unveröffentlichtes Typoskript, S.4 (im folgenden kurz BGH)

(3) BGH, S.7

(4) BGH, S.4 f.

(5) vgl. Böll u.a., Die Erschießung des Georg von Rauch, Berlin 1976, insbesondere S.l08 f.

(6) BGH, S.5

(7) Baumann, Wie alles anfing, München 1975, S.5: „daß es nicht mehr nur der verbale Protest war, sondern der ernsthafte Versuch, mit Waffengewalt eine Veränderung der Verhältnisse herbeizuführen. Obwohl der Versuch gescheitert ist, war er richtig und nützlich ... Ich habe lange Zeit geglaubt, daß Stadtguerilla der bessere Weg ist, und ich versuche hier, meine Entwicklung zum Guerillero aufzuzeigen und warum ich mich jetzt für etwas anderes entschieden habe.” und S. 109 (Spiegel-Interview) „Seht her, der reuige Sohn kehrt zurück. Das wird es nicht geben.”

(8) Ebenda, S.l 37

(9) Ebenda, S.l 32

(10) Ebenda, S.5

(11) Ebenda, S.41

(12) BGH, S.6

(13) BGH, S.6

(14) Baumann, a.a.O., S.134

(15) BGH, S.5

(16) BGH, S.8

(17) BGH, S.6

(18) Baumann, a.a.O., S. 137

(19) BGH, S.8

(20) Baumann, a .a .O., S. 115

(21) Ebenda,S.131

(22) BGH, S.9

(23) siehe Note 7