Mitten zwischen den inneren, luxuriösen Vororten von Maputo, der Hauptstadt Mosambiques, steht ein von den Portugiesen erbautes Observatorium. Das Teleskop ist in einem weiträumigen Stuckgebäude untergebracht, in der Mitte eines Gartens, hinter einem schmiedeeisernen Zaun und Blumenrabatten. Es gibt kein Zeichen der Arbeit der unzähligen Bauern und Arbeiter, die dies ermöglichten. Dies kann gut jene „Wissenschaft” symbolisieren, die von den Kolonisten bei der Unabhängigkeit ererbt wurde: elitär, losgelöst vom Leben des Volkes.

Die unabhängige Regierung Mosambiques und FRELIMO, die Partei, wollen dies ändern. Selbst vor dem Unabhängigkeitstag, während der Jahre des Volkskrieges - betonte die FRELIMO ausdrücklich die Wichtigkeit der Wissenschaft im Leben der Massen. In den Worten von Mosambiques Präsidenten, Samora Machel:

Andere Unzulänglichkeiten sind ein Ergebnis unzulänglicher oder sogar falscher Ideen über die Gesetze, die natürliche Erscheinungen beherrschen. Es gibt Unzulänglichkeiten (short-comings) in unseren wissenschaftlichen Kenntnissen. Wir leben oft in der Nähe einer Wasserstelle - eines Flußes oder eines Brunnens - und warten auf Regen für die Ernte, obwohl es da genügend Wasser gibt, das unsere Schwierigkeiten lösen könnte. Ein anderes Mal gehen wir herum und beklagen uns, daß der Boden arm ist; dabei ignorieren wir völlig natürliche Düngemittel, tierischen und menschlichen Dung, der den Boden anreichert. Wir besitzen die Rohmaterialien, um Seife herzustellen, und doch machen wir ohne Seife weiter. Wir können Baumwolle anbauen, spinnen und verweben, und doch machen wir ohne Kleider weiter. Es gibt eine Menge Beispiele, die uns alle zeigen, daß unser Mangel an wissenschaftlichen Kenntnissen uns blendet.

Heute, nahezu zwei Jahre nach dem Unabhängigkeitstag, ist die ganze Wissenschaft und Technologie inMosambiquebestimmt, die Ziele des nationalen Wiederaufbaus zu erreichen: in der Landwirtschaft, der Industrie, dem Bauwesen, dem Gesundheitswesen usw. Die gesamte Ausbildung in Wissenschaft und Technik wird im Hinblick auf diese Entwicklungsaufgaben unternommen. Ein nationales Seminar zur technischen Ausbildung hat im Dezember 1975 die leitenden Prinzipien festgesetzt. Zusammengefaßt soll die technische Bildung helfen, „neue Mosambiquer” zu produzieren, und dies ist im Wissen von der Gesellschaftsveränderung in Mosambique und im Weltmaßstab begründet. Politische Bildung ist deshalb in die technische Ausbildung auf allen Stufen so integriert, daß sie den Techniker ,,zum Nutzen der arbeitenden Klasse büden wird.” Das Seminar stellte weiter fest, daß technische Schulen existieren, „ um der arbeitenden Klasse den Zutritt zu den wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen zu verschaffen, damit es ihr möglich ist, die wirtschaftliche Macht zu übernehmen und die Produktion zu ihrem eigenen Wohl zu erhöhen .Diese Bildung sei ohne Unterscheidung zwischen den Geschlechtern zu vergeben und sei „ in direkter Übereinstimmung mit den Plänen des Landes zur wirtschaftlichen Entwicklung einzurichten.”

Die Umrisse von Mosambiques Plänen zur wirtschaftlichen Entwicklung sind klarer geworden. Während des ersten Jahres der Unabhängigkeit hat sich die landwirtschaftliche Hauptstrategie des Landes herauskristallisiert. Eine vergrößerte und spezialisierte Landwirtschaft soll auf geplanten Gemeinschaftsdörfem beruhen. Landwirtschaft soll die Grundlage der Wirtschaft bilden. Die Beschlüsse des dritten Parteikongresses im Februar 1977 erklären die Rolle der Industrie als Ergänzung und „Dynamisierer” der Landwirtschaft. In diesem Rahmen haben die neuen und die alten Einrichtungen von Wissenschaft und Technologie ihren Platz.

Die ingenieurwissenschaftliche Fakultät der Eduardo Mondlane-Universität ist ein Beispiel einer zentralisierten Institution, auch einer geerbten. Dort wurden Lehrplan und Arbeitsmethoden von Personal und Studenten lebhaft diskutiert. Das Studium ist viel „angewandter” geworden als früher. Maschinenbaustudenten sind zu den niedrigliegenden Hüttenstädten hinausgegangen, um bei der Konstruktion von Deichanlagen zu helfen. Elektrotechnikstudenten benutzen ihr „Praktikum” eher, um elektrische Ausstattungen von Hospitälern zu reparieren, als Serienexperimente im Elektrolabor der Schule zu wiederholen.

Andere „zentrale” Einrichtungen sind neu, wie das Zentrum für Grundlagentechniken. Hier arbeitet ein Querschnitt aus vielen Universitätsabteilungen (viele Nicht-Wissenschaftler darunter) an Entwürfen für Dorftechnologie wie Öfen, Komvorratstöpfen, Fischtrockner und Latrinensystem zur Produktion sicheren menschlichen Dungs für den Feldbau. Dörfler besuchen das Zentrum, um die Entwürfe kritisch zu begutachten, und die Prototypen werden in den Dörfern ausprobiert. Es wird darauf geachtet, Material zu benutzen, daß den Dorfbewohnern zur Verfügung steht, und die Herstellung auf existierende Techniken zu gründen. Beispielsweise wird der große (50 kg) Komvorratstopf gemacht, indem um einen mit Heu gefüllten Jutesack einedünne Schicht Lehm und etwas Zement mit der Hand aufgetragen und geglättet wird. Sack und Heu werden dann verbrannt und übrig bleibt ein Vorratsgefäß, das hermetisch verschlossen werden kann, sodaß Insekten, die die Vorräte schädigen, an Sauerstoffmangel sterben. Dieser Arbeitsprozeß benötigt nur einen Teil der Zeit und Handfertigkeit, die traditionell gebraucht wurde, und bringt ein größeres Gefäß hervor als es mit den traditionellen Mitteln erreichbar ist, - und mit nur gemäßigt nicht-traditionellen Ausgangsstoffen (einem Jutesack und einigen Händen Zement).

Dieser Prozeß ist typisch auf dem Mittelweg zwischen Handwerk und Massenproduktion: jener „Dorfindustrie” und einer vorläufigen Art, um einen höheren Standard des Dorflebens auf der Basis örtlicher Genossenschaften zu erzeugen.

Eine andere neue Einrichtung ist das Ökologiezentrum der Universität. Mit einem mosambiquischen Tierarzt an der Spitze hat die Stammtruppe des Zentrums (zwei schottische Ökologen und ein mosambiquischer Meeresbiologe) schon eine Anzahl von Studien unternommen, die direkte Beziehung zu wichtigen Fragen der Politik Mosambiques aufweist — wie diedes Hegens der wilden Tiere und den Effekt, den das Abbrennen vor der Kultivierung auf den Boden hat.

Diese ganzen und andere zentralisierte, in der Universität begründete Wissenschaftseinrichtungen sind organisch und vieler Art verschränkt mit den landwirtschaftlichen und industriellen Wirklichkeiten Mosambiques.Erstens, diese Einrichtungen arbeiten alle mit und für Ministerien der Regierung. Dann verbringen jedes Jahr Lehrkörper und Studenten einen Monat in den Dörfern,um zu kultivieren, zu bauen, zu lernen und zu lehren. Diese „Juliaktivitäten” werden für sehr wichtig gehalten, um die elitären Traditionen der Wissenschaften zu brechen. Schließlich wurde die gesamte Universität von der Partei beauftragt, zusammen mit der Bevölkerung der Inhaca-Insel (einer kleinen Insel vor der Küste nahe Maputo) einen völlig integrierten Entwicklunglungsplan für die Insel auszuführen. Jeder ist einbezogen: Wirtschaftswissenschaftler , Chemieingenieure, Historiker, Tierärzte. Diese Übung ist eine Herausforderung; die Insel hat eine hohe Bevölkerungsdichte, schwache Wasserquellen, eine Geschichte der Emigration der männlichen Arbeiter nach Südafrika, eine unterentwickelte Fischereiindustrie, Mangelernährung und kaum Gesundheitspflege. Doch ist es mehr als eine technische Herausforderung. Es ist eine politische Lektion, die die Partei der Universität aufgegeben hat. Können bürgerliche Studenten miteinander und mit den Bauern der Inhaca-Insel und ihren politischen Einrichtungen so kooperieren, daß Wissenschaft erheblich für die Probleme der Insel wird? Die ganze Universität wird die nächsten Jahre an dieser besonderen Prüfung sitzen.

Wenn erfolgreich, wird das Inhaca-InselProjekt weit mehr als eine „Prüfung” für die Universität sein. Es wird gehofft, daß die Methoden der politisch und technisch integrierten Landforschung, die sich ergeben, ein flexibles Modell für ähnliche Entwicklungsprojekte in anderen Landesteilen liefern.

Wissenschaft und Technologie ist auch dezentralisiert in Mosambique. Ein Netzwerk von technischen Schulen ist im Entwicklungsprozeß. Diejenigen mit einem agrarwissenschaftlichen Schwerpunkt werden als Prioritäten in den fünf ökologischen Zonen angelegt (Norden, Mitte, Süden, Nordküste, Südküste). Einige Schulen mit industrieller Grundlage und Handelsschulen bestehen und andere sind geplant. Die neuen Lehrpläne sind so entworfen, daß sie zu verschiedenen Abschlüssen führen (drei in Landwirtschaft, vier in industriellen Fächern); hierbei wurde jedoch auf eine logische Abfolge geachtet, sodaß nach jedem Abschluß des Lehrgangs der Ausgebildete fähig ist, konkrete Aufgaben auszuführen und sich mit spezifischer Landentwicklung oder industriellen Problemen zu beschäftigen. Wie Studenten werden die Fortgeschritteneren auf den technischen Schulen auf konkrete Aufgaben der Produktion während ihres ganzen Kurses orientiert.

Ministerien, wie das für Landwirtschaft, für Gesundheit oder öffentliche Bauten veranstalten kurze „Recycling”— lehrgänge, auf denen neue Ideen und Methoden diskutiert werden. Das Ministerium für öffentliche Bauten ist für die physische Umgebung der neuen Gemeinschaftsdörfer verantwortlich. In einer Reihe von Provinz und Kreis„seminaren” wurden die Bürgermeister versammelt, um über die Prinzipien Mechaniker der Armee Mosambiques verwenden die Teile mehrerer, durch Sabotage zerstörter Fahrzeuge, um eins wieder Instand zu setzen.

der Dorflage, der Anlage, des Hausbaus und der sanitären Einrichtungen zu diskutieren. Das Wort „Seminar” führt vielleicht in die Irre; diese wochenlagen Sitzungen widmen zumindest die halbe Zeit dem gegenwärtigen Hausbau, der Rodung der Parzellen, der Straßenbeleuchtung usw.

Bestehende Gemeinschaftsdörfer bilden den Ort für bedenkenswerte Versuche. Die Dorfbewohner werden ermutigt, neue Früchte auszuprobieren und können von der Regierung bei der Erlaubnis, eine kleine Tierzucht (Kaninchen, Federvieh .Schafe und Ziegen) zu gründen, vorgezogen werden. In einem Dorf besuchten wir die Einwohner und sich dort aufhaltenden Studenten, die während einer Periode von Juliaktivitäten damit begonnen hatten, eine „Cegonia” zu bauen, um Wasser zu heben. Wir besichtigten auch ein Zentrum, in dem Mechaniker der Armee Mosambique wahre Wunder leisten, wenn sie mehrere Fahrzeuge zerfleischten, um eines wieder zum Fahren zu bringen. Die abziehenden Portugiesen hatten versucht, alle Fahrzeuge zu sabotieren, aber ihre Anstrengungen wurden in der Tat eine Herausforderung für den Ertinaergeist dieser Mechaniker.

Überfluß an Beispielen für den Experimentier- und Erfindergeist des Volks, ln einer Fabrik zur Verarbeitung von Cashew*, die wir besichtigten, waren die Arbeiter nicht nur alleine fähig gewesen, die bestehende Maschinerie zu reparieren, obwohl der portugiesische Eigentümer (mit allen Plänen und technischenZeichnungen) nach Portugal zurück ging. Sie haben eine ganze „Straße” neugebaut, damit die Verarbeitungskapazität um 50% erhöht, und sie haben Handgitter und andere Sicherheitseinrichtungen angefügt, die die Pläne des Eigentümers nie eingeschlossen hatten.

So wird Wissenschaft und Technolgie sowohl in zentralen und dezentralisierten Einrichtungen wie in Dörfern und Fabriken auf die dringenden Prioritäten der Produktion und des Wiederaufbaus Mosambiques fokusiert. Obwohl die Rolle der Wissenschaft in der Produktion wichtig ist, ist es nicht ihre einzige Rolle. Wissenschaft soll im ideologischen Kampf einen bedeutenden Platz einnehmen.

Alphabetisierung hat nicht ihr einziges Ziel im Lesen- und Schreibenlehren der Arbeiter- und Bauemmassen, um ihnen zu erlauben, die Anweisungen und Fragen zu verstehen, die der bürokratische Sektor erläßt. Vielmehr ist es oberstes Ziel dieses Unterrichts, die Arbeiter- und Bauemmassen so vorzubereiten, daß sie die Wirklichkeiten des Produktionsprozesses, der wissenschaftlichen Wahrheiten, in die alle natürlichen und gesellschaftlichen Erscheinungen eingefügt sind, wahmehmen. **

Solcherart wissenschaftliches Verständnis der gesellschaftlichen und physischen Welten wird als wichtig sowohl im Kampf gegen Obskurantismus, Stammesdünkel und Regionalismus wie auch im allgemeinen Klassenkampf betrachtet.

Dies heißt jedoch nicht, daß die Partei und die Regierung die Tiefe des traditionellen Wissens auf solchen Gebieten wie dem Gesundheitswesen und der Landwirtschaft mißachten. Das Gesundheitsministerium hat sogar schon ein aktives Komitee für das Studium der traditionellen Gesundheitsfürsorge gegründet. Gleichfalls hat die FRELIMO seit den Tagen des Guerillakrieges eine große Achtung vor dem Wissen des Bauern vom Land. Diese Achtung ist kein liberales Romantikertum, sondern liegt im Gegenteü in einem wissenschaftliehen Verständnis von den historischen Beziehungen zwischen den Produktivkräften und dem Lebensstand des Volkes begründet. So füllen augenblicklich Töpferei- und Korbmachergenossenschaften den Bedarf in den neuen Gemeinschaftsdörfem — nicht aus einer bürgerlichen Nostalgie für „Kunstgewerbe”, sondern weil in diesem Augenblick der Geschichte die Genossenschaften der Handwerker am Besten die Bedürfnisse der Massen in noch isolierten Dörfern treffen.

Können wir die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie in Mosambique für die nächsten 25 — 50 Jahre voraussehen? Die Visionen sind durch die enormen Möglichkeiten verwischt. Landwirtschaftlich hat Mosambique enorme Möglichkeiten im Reisanbau. Seine Fischereien und andere Meeresresourcen sind gleich groß. Mit der Kraft desCabora Bassa *** und seinen vielen Forsten und Minerallagem könnte es (und es plant dies) eine der größeren industriellen Kräfte Afrikas werden. Sich die Natur in einem derartigen Maßstab zuzueignen erfordert politische Hellsicht und Disziplin und auch technische Fertigkeit. Bergbauingenieure, Chemiker, Förster, Hydrologen werden zusammen mit vielen anderen gebraucht. Die Fragen von Politik und Fertigkeiten sind untrennbar.

Die Partei hat insofern darauf bestanden, daß Wissenschaftler und Techniker den Massen dienen. Weiterhin hat sie darauf bestanden, daß Wissenschaft und Technologie sich direkt lokalen Wirklichkeiten und Forderungen der Produktion zu wenden. Wenn die Partei diese Kontrolle über Wissenschaft und Technologie in einem vergrößerten Maßstab der Entwicklungsaktivitäten behalten will, wird sie sehr streng sein müssen. Dies ist in der Tat einer der vielen Gründe, warum auf dem kürzlichen dritten Parteikongreß die FRELIMO festgelegt hat, ihre Stmkturen zu stärken und zu klären. Dadurch bereitet sie den Übergang zum Sozialismus vor, während dem Politik die Herrschaft über eine sozialistische Wissenschaft und Technologie hat.

Sonia Kruks/Ben Wisner

(Dieser Aufsatz wurde aus der englischen Zeitung „Science for People”No.36 (Sommer 1977) übersetzt).

*Frucht des Nieren- oder Acajoubaums; das Öl der Nuß ist Rohstoff für die Synthese von Kunstharzen.

**Aus einem Bericht über Alphabetisierung in der Gaza-Provinz,Tempo, 2.8.76

***Fluß, der seit Beginn des Jahrzehnts aufgestaut wird.