NEIN”: EINE BEGRÜNDUNG
Kritik der Pestel-Erklärung
Zum ersten Absatz: Der Passus ist schlampig formuliert. Das Ministerium schreibt, die Hochschullehrer sollten sich von jeder Gewalt distanzieren, es meint aber: von jeder nicht-staatlichen Gewalt. Eine Erklärung zur Verfassungstreue impliziert mit hoher Verbindlichkeit, was dem Ministerium in anderen Zusammenhängen gerade als verfassungswidrig erscheinfcdas Abrükken von jeder Gewalt, auch von der staatlichen. Eine mindere Schwäche: Nicht einmal der Minister darf Gewalt im Falle des Art. 20 GG (Absatz über das Widerstandsrecht) “unter jeder Bedingung” ablehnen, es sei denn, er handele verfassungswidrig.
Hochschullehrer haben zur Sprache, zum Wort besondere Beziehungen; Formeln wie die von “unserem (...) Rechtsstaat” sollten wir nicht hinnehmen. So, wie der Minister es meint, täuscht die Formel eine Intimisierung bürgerlicher Beziehungen auf Staat und Verfassung vor, die jeder aufgeklärten Selbstbestimmung widerspricht. Auf dieser täuschenden Intimität soll ein Wir-Gefühl errichtet werden, das vorurteilsartigen Charakter hat. (Zu schweigen vom mitschwingenden Possesiv-Charakter des “unser...”: Sollen der Großgrundbesitzerund sein Landarbeiter beide von “unsrem (...) Rechtsstaat” sprechen? Axel Springer und sein Chauffeur?) Nebstbei ist die Formel selbst (“unser... Staat” o.ä.) in den vergangenen Monaten in den Schatten des Parteienstreits geraten: CDU/CSU verwenden sie auch, um die SPD (oder die SPDLinken) virtuell auszubürgem. Der Ministerkann sie, diese Formel, daher nicht als eine kontextfreie Aussage anbieten.
Zum zweiten Absatz: Nach langen Diskussionen haben sich meine Einwände gegen diesen Kern der Pestei-Erklärung verstärkt. Wer sie unterzeichnet, erklärt annähernd jedes Verständnis von Staat und Verfassung, das links von Carl Schmitt steht, für schon nicht mehr wirklich verfassungskonform. Der Staat, der sich da verselbständigt, ist der gleiche, für den am Ende die “Rechtsordnung” in zwei selbständige Bestandstücke auseinandertritt. Recht und Ordnung - und zwar so, daß erst “Ordnung” sein muß, ehe “Recht” sein kann, und der Staat, wenn er Ordnung stiftet, nicht “Recht” zu haben braucht. Dem Staat, auf den wir uns da verpflichtet sehen, haften noch seine absolutistischen Ursprünge an.
In der Epoche der Gegenreformantion, 1564, wurden in Bayern die Beamten gezwungen, die professio des Tridentischen Konzils zu unterschreiben — wenn nicht, flogen sie aus dem Dienst. An diese Prozedur erinnert der 2. Absatz der Pestel-Erklärung. Nebstbei sollen wir bestätigen, wenn auch mehr zwischen den Zeilen, daß sich die BRD gegenwärtig in einer spezifischen politischen Krise befände.
Zum dritten Absatz: Wir haben den göttinger Artikel dokumentiert, um einen öffentlich auf den Kopf gestellten Text in seiner Intention erkennbar zu machen, und zwar in der damals einzig relevanten Dimension: Billigung von terroristischer Gewalt oder nicht? Wir wollten zugleich einer auf Verdrehungen gestützten Einschränkung von Rede- und Pressefreiheit entgegen treten. Insofern ist die von um verlangte Global-Distanzierung unzumutbar. Sie ist auch unsinnig: wer einen Text dokumentiert, macht ihn sich damit nicht zu eigen (“Identifikation”), muß sich daher nicht “distanzieren”. Und vom Verfasser, d.h. von einer Person sich zu distanzieren, ist überhaupt ein unzumutbares Verlangen. (Dem Psychologen wird das schon durch seine berufsethischen Verpflichtungen untersagt.)
Der Minister hat für sein Distanzierungsverlangen keine für mich einsichtige Begründung vorgebracht. Wird die Distanzierung dennoch von mir gefordert, so stellt das für mich eine Zumutung dar, die ich unter Berufung auf Art. 1 GG zurückweise: Die “Würde des Menschen” darf keine Einschränkung durch ein extensiv ausgelegtes Beamtenrecht erfahren.
Warum ich die Erklärung nicht unterschrieben habe
Ich sehe aus einigen Reaktionen auf die Broschüre "Die Mescalero-Affaire“, ja schon auf die Dokumentation "Buback — ein Nachruf', daß die Kritik, da handele einer einzelgängerisch, privat, im Alleingang die im Umlauf befindliche Münze ist (1) Ich will diese Kritik nicht auf den Prüfstand stellen. Mir scheint, daß sie eher eine Situation als eine Sünde ausdrückt. Ich will gleichwohl versuchen, meinen Vorschlag, die den niedersächsischen Hochschullehrern vom Wissenschaftsminister vorgelegte "Erklärung“ nicht zu unterschreiben, zu begründen.
Auch das, was wir aus Kalkül, aus politischer Einsicht, aus diskutierten Bewertungen heraus tun, bricht sich im Medium gegebener Verhältnisse. Wenn die niedersächsischen Herausgeber der "Dokumentation“ ihre Rechtspositionen aufgeben, die unsere Anwälte formuliert und dem Minister zugeschickt haben, ohne für diese Position zu streiten (z.B. vor einem Gericht), wenn sie sich von Erklärung zu Erklärung sichtbarer unterwerfen, so muß das nicht als Ausdruck von Einsicht, als begründete Anerkennung gegebener Machtverhältnisse (oder als "Trick“), als Ergebnis politischer Realitätsprüfung interpretiert werden. Diese Skala möglicher Auffassungsweisen bedarf einer Ergänzung. Wir räumen ja dem Ministerium ein, was wir dem Ministerium zufolge ihm einräumen müssen — ohne jeden Versuch, dieses "Muß“ juristisch überprüfen zu lassen (so sicher sind wir, daß wir Prozesse verlieren werden); wir verzichten darauf, den Wissenschafts-Minister an seine Fürsorgepflicht für Beamte zu erinnern (die er, im Unterschied etwa zu Senator Franke, Bremen) verletzt hat. Wir unterzeichnen eine vom Minister abgefasste Erklärung, Der Großinquisitor. 19-50/55. obwohl wir nicht einmal ganz sicher sein können, uns damit ein Disziplinarverfahren zu ersparen (2). Wir lassen uns, Angehörige eines Berufsstandes mit besonderer Beziehung zu Wort und Sprache, nolens volens zur Übernahme bestimmter Sprachformeln nötigen - in ”Ich“-Formeln gehalten, obwohl der Minister sie formuliert, ohne auch nur zu versuchen, ob nicht ein lange hinhaltender Widerstand von immerhin 13 Hochschullehrern gewisse Schwächen der ministeriellen Position verdeutlichen könnte.
Die 13 Hochschullehrer haben Anfang September eine Erklärung zur Gewaltfrage abgegeben, die verfassungskonform und differenziert war. Es ist die Aufgabe des Hochschullehrers, im Rahmen der Verfassung zu differenzieren. Jetzt sollen sie eine Erklärung unterzeichnen, die verfassungskonform und undifferenziert ist, obwohl das Ministerium keinerlei Begründung gibt, inwiefern das Beamtenrecht sie dazu zwinge. Sie haben Anfang September erklärt, politische Position, Sprache, Denkweise und Affektivität des "Mescale‘ seien nicht die ihren und haben wiederholt, daß sie sich mit “Buback - ein Nachruf’ nicht identifizieren; jetzt sollen sie eine Erklärung unterzeichnen, in der sie sich ”in aller Form“ von dem anonymen Verfasser und dem Text des sog. Nachrufs distanzieren, ohne daß der Minister begründet hätte, warum er sie dazu zwingen kann. Wir räumen ein, daß es Sache des Dienstherren ist, das Beamtenrecht so auszulegen, wie er es praktisch auslegt, als hätten wir uns nur darum mit 13 Rechtsanwälten bestückt, weil die Konvention es so verlangt.
Was wird dieser Prozeß der fast widerstandslosen Unterwerfung für verschiedene Öffentlichkeiten und Privatpersonen bedeuten? Eine Frage, die wir uns natürlich stellen müssen, denn es besteht ein unzerreißbarer Zusammenhang zwischen den beiden berühmten Reflexionen der "Entscheidung“: handeln wir richtig? (recht?)und — was kommt danach? Sind wir sicher, unsere Unterwerfung werde verstanden, wie wir und unsere Anwälte sie meinen? Wir können nicht ausschließen, daß wir damit jene Personen (oder Gruppierungen) entmutigen, die sich vorläufig der spontanen, dJt. ihnen nicht abgezwungenen öffentlichen Formulierung von Ergebenheitsadressen noch entziehen (3); daß wir Personen (und Gruppierungen) entmutigen, die bisher noch daran festhalten, daß es in unserer Gesellschaft nach wie vor nötig, möglich und machbar ist, Interessen und Rechtsauffassungen gegenüber einer sich verselbständigenden Exekutive zu vertreten (und auch unter Inanspruchnahme der Gerichte). Wir tragen durch diese Unterwerfung, dJt. durch den Verzicht auf anhaltenden Widerstand, dazu bei, Stimmungen der Resignation unter Personen und Gruppierungen zu verstärken, und dies, obwohl es sich bei unserem Widerstand ja um einen in Ziel und Mittel system-immanenten , demokratiekonformen Widerstand handeln würde.
Ich weiß auch, daß andere Stimmen überwiegen: wenn wir nicht unterschreiben, was der Minister uns erklären läßt, so unterstützen wir in Wirklichkeit nur die entpolitisierende Haltung der "Verweigerung“, wenn, dann die Repräsentanten realpolitischer Vernunft. (Diese Stimmen überwiegen, weil die Entmutigten, Resignierten schon nicht mehr reden.) Aber unterstützt eine solche Unterwerfung nicht auch Personen (und Gruppen), die längst der Auffassung sind, ”in diesem Staate sei nichts mehr zu machen“ — weder durch Zivilcourage oder durch Anrufung der Gerichte, weder durch Politik noch durch gewaltlose Formen von Widerstand? Wenn diese Personen und Gruppen nicht resignieren, was tun sie dann?
Eine Majorität ist anscheinend der Auffassung, wer sich hier noch unterwerfe, disqualifiziere sich als "Desperado“, wer aber unterschreibt, schütze sich — und vielleicht Andere — vor Verfolgungen, wie sie in der Phase des roll-backs nach den Ergebnissen unserer Analysen ja nicht ausbleiben können. Da gibt es aber die Psychologie: Wenn der Verdächtige durch Unterwerfung sich reinigt, mindert er die ” Berührungsfurcht“ Anderer, aber diese hat ihn auch vor der Aggression der Anderen geschützt. Wen alles laden die Unterzeichner dazu ein, künftig über sie herzufallen? Und spricht nicht Vieles dafür, daß sich der Prozeß der schrittweisen Unterwerfung in den vergangenen sechs Wochen fort setzen wird? Die Unterzeichner sollen erklären, sie lehnten jeden Einsatz von Gewalt in der Demokratie ab, und wissen doch, daß für die Juristen der Gegenreformation alles "Gewalt“ sein wird, was nicht Vertrag ist.
Wollen — eine neue, erschreckende Seite der Unterwerfung — die betroffenen Hochschullehrer sich künftig annähernd je-der sozialistischen ("linken“) und radikaldemokratischen Aktivität enthalten? Wissen sie nicht, daß es — zu Anteilen — ein "Definitionsmonopol“ des Dienstherren für die Feststellung gibt, oh solche Aktivitäten der Eignung des Beamten für seinen Dienst entsprechen oder nicht?
Wohlbemerkt: In einer Diktatur hätten wir alle diese Sorgen nicht (dafür fürchterlich andere), dort würde ich unterschreiben. Aber wir leben nicht in einer Diktatur.
Noch gibt es auch Liberale-, well-informed and independent. Wir haben sie früher als "Scheißliberale“ von der Linken ferngehalten, und denken, dies sei vielleicht manchmal ein Fehler gewesen. Gut. Werden wir die Liberalen, die es immerhin noch gibt, heute durch einen widerstandslosen Akt der Unterwerfung für uns freundlich stimmen? (Es gibt keinen Widerstand neben der Unterzeichnung der ministeriellen Erklärung (4).) Ist es wirklich wahr und erwiesen, daß das die Differenz zwischen Abenteurertum und Mut, zwischen Verweigerung und Widerstand zwischen unpolitischem Moralismus und politischer Moral vollständig geschwunden und nirgends mehr deutlich zu machen ist?
Muß also der aufrechte Gang ins BLOCHSeminar eingesperrt bleiben?
Die Majorität sagt: die CDU ist’s nicht wert, klügelt nicht, unterschreibt. Jeder politische Kopf versteht das richtig und akzeptiert Euch. (Daß einer gerade Angst davor haben könnte, mit dem von ihm verlangten Akt akzeptiert zu werden, kommt bei der Majorität nicht vor.) Gibt es viele solcher politischen Köpfe? Sollen wir die Zahl derer vermehren, die von uns eine Unterwerfung unter das ministerielle Diktat gerade deshalb erwarten, weil sie von ihnen selbst nicht verlangt wird? Gibt es nicht auch politische Köpfe, die auf einem principiis obsta der gerade Betroffenen bestehen?
Die Majorität sagt: wer sich bei einem solchen geringfügigen Anlaß — die Treueerklärung, die Distanzierung vom Verfasser des sog. 'Nachrufs’ — aus dem Staatsdienst drängen läßt, der hat jeden Sinn für Proportionen verloren. Ich ergänze: und wer sich unterwirft, akzeptiert öffentlich die Proportionen, die von der CDU in Niedersachsen gesetzt worden sind. Ihre Maßstäbe, die sie uns setzt, bleiben unbestritten. Die Majorität sagt: unterschreibe!, weil sie — vielleicht — etwas anderes nicht gern sagen möchte. Etwa: Dort, wo die Exekutive zuschlägt, muß man die Schuld erst einmal bei den Betroffenen suchen, sie haben disproportional gehandelt. Die Majorität sagt: Sichere Deinen Verbleib im Staatsdienst jetzt, indem Du auf anhaltenden Widerstand verzichtest und entmutige nicht die Genossen dadurch, daß Du zum Exempel der Entlassung aus dem Staatsdienst wirst. Sollen wir morgen und übermorgen wieder unseren "Sinn für Proportionen“ bewähren? Wenn er jetzt "erklärt“, was wird er morgen erklären müssen — oder können?
Der Kritiker sagt: Verhalte Dich gefälligst politisch, rational, weil er nicht so gerne sagen will: Mit meiner Solidarität darfst Du nicht rechnen. Verzichte im allgemeinen Interesse auf einen sinnlosen Widerstand, unterzeichne, so sagt er; und er denkt vielleicht: Für mich ist Deine Erwartung auf Solidarität Zwangssolidarität. Oder er rät, zu unterschreiben, vielleicht weil er annimmt, danach wäre endlich wieder ein Stück Ruhe hergestellt. Aber das sagt er nicht.
Im übrigen wird er sich irren. Natürlich kommt “Ruhe” — für eine anständige wissenschaftliche und politische Arbeit — nicht durch Akte des Widerstands gegen eine CDU/FDP-REGIERUNG in Niedersachsen. Sie kommt auch nicht durch Unterwerfung. Wir haben keine Zeiten der Ruhe vor uns.
(1) Was die "Dokumentation“ angeht, ein Alleingang lediglich für Hannover.
(2) Also beispielsweise die Formel von der gewollten oder ungewollten Verharmlosung von Gewalt usw. übernehmen, obwohl sie wissen was sie damit einleiten.
(3) Schlauköpfe meinen, wir könnten ja unserer Unterwerfung, die veröffentlicht wird, böse juristische Schriftsätze beifügen, die niemand veröffentlicht.
Peter Brückner