Kontaktsperregesetz
Bisher war es grundsätzlich üblich, daß diejenigen, die im Bundestag ein Gesetz einbringen, begründen mußten oder dazu aufgefordert wurden, warum und auf Grund welcher Tatsachen sie eine Gesetzesänderung für nötig erachteten. Davon ist jetzt partiell Abschied genommen worden — in Ausnahmesituationen Ausnahmegesetze und begleitende Ausnahmeverfahren.
Innerhalb von wenigen Tagen wurde ein “Gesetz” durch die Gesetzgebungsorgane gejagt, dessen letzte Fassung nicht einmal zu dem Zeitpunkt feststand, als der Bundestag zur letzten Lesung zusammentrat. Die “Informationen” des Bundeskanzlers vor der SPD-Fraktion: ,,Es liegt ein Gesetz auf dem Tisch, das wir unbedingt brauchen” (Spiegel Nr. 41 S. 19) und — es soll eine “Dokumentation” herausgegeben werden über die Gründe des Gesetzes, auf daß den Zweiflern “die Augen übergehen” (Schmidt). Abgesehen davon, daß alle hier hellhörig werden müssen (zuerst das Gesetz und danach die Begründung), war wohl auch Schmidt klar, daß dieses Gesetz vornehmlich dazu benötigt wurde, einen Zustand rechtlich zu zementieren, der auch von liberalen Blättern als Rückfall in die Praxis des Ermächtigungsgesetzes der Nazis bezeichnet wurde (Stern Nr. 42 S. 268). Eine bestimmte “Praxis” konnte nun zwar nicht mehr vertuscht werden, aber in diesem liberalsten Staat auf deutschem Boden (Scheel) brachte der Appel an „das, was wir unbedingt brauchen” immerhin 371 Abgeordnete des Bundestages dazu, einem Gesetz zuzustimmen, dessen offizielle Zielsetzung es ist, “dieAußenwelt in ernsthaften Gefahrenlagen” zu erreichen, in Wirklichkeit — ob gewollt oder nicht — die Entrechtung der betroffenen Häftlinge bedeutet.
Kontaktsperre — für die Betroffenen ein Zustand fast absolut isolierter, rechtloser Einsperrung. Für die “Öffentlichkeit” eine weitgehend uninteressante Veränderung, denn dramatisches spielt sich — unbestritten auch — auf anderen Schauplätzen ab. Nicht der Rechtsstaat, und das heißt auch Rechtssicherheit, ist im Augenblick gefragt, sondern der “Staat” — das Recht steht zu Disposition bis hin zur Verfassung. Da gibt es noch welche, die glauben, “kein Mensch (stehe) außerhalb der Rechtsordnung, auch kein Terrorist” (Jürgen Baumann, Justizsenator von Berlin im Spiegel Nr. 40 S. 40). Die Geschichte dieses Gesetzes spricht nicht für seine Auffassung.
Vorgeschichte
Nach der Entführung von Hans-Martin Schleyer verfügten die Landesjustizminister gemeinsam mit dem Bundesjustizministrium eine Aussperrung der Verteidiger von rund 90 Häftlingen in BRD- und WestBerliner Gefängnissen. Angeblich waren alle Häftlinge wegen terroristischer Gewalttaten verurteilt, angeklagt oder in Untersuchungshaft. Dies stimmt nicht. Am 13. Oktober 1977 wußte es auch der Bundesgerichtshof besser, 4 Wochen nach der Schleyer-Entführung, das heißt nach vier Wochen Isolation. Aber wen kümmert das? So stand z.B. Peter-Paul Zahl auf der Liste derjenigen, deren Verteidiger pauschal verdächtigt wurden, Kommunikation zwischen den “terroristischen Häftlingen” und den Entführern herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Zahl ist niemals wegen einer Straftat nach § 129 StGB (kriminelle Vereinigung) oder § 129 a StGB (terroristische Vereinigung) angeklagt gewesen. Daher durfte er auch bereits vor dem Ende der Schleyer-Entführung wieder Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen. Deshalb hob der Bundesgerichtshof die Entscheidung des nordrheinwestfälischen Justizministeriums auf (Europäische Grundrechte, Zeitschrift-, 1977 S. 436).
Die Verteidiger der meisten Häftlinge gingen gegen die Besuchsverbote juristisch vor, einige hatten zunächst Erfolg — so in Berlin und in Frankfurt. In der Mehrzahl bestätigten die Gerichte jedoch die Besuchsverbote mit der noch nicht einmal versuchsweise bewiesenen Behauptung, die Verteidiger seien als “Kuriere” tätig. Die Suspendierung jedweder Verteidigungsmöglichkeit der Gefangenen — bisher garantiert durch die Strafprozeßordnung — wurde damit gerechtfertigt, daß dann, wenn Kontakte zwischen Gefangenen und Verteidigern stattfänden, sich die Gefahr für das Leben von Schleyer vergrößern würde. Zwar werde so eine Verfahrensvorschrift verletzt, dies sei aber unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Staatsnotstandes völlig in Ordnung, da es dem Schutz eines höherrangigen Rechtsgutes diene.
Daß ganz nebenbei die Gewaltenteilung aus den Angeln gehoben wurde — für Entscheidungen über die Haftsituation Gefangener ist ein Haftrichter (Justiz) verantwortlich und nicht die Behörden (Exekutive) —, daß die Vorschrift des Strafgesetzbuches “eigentlich nur rechtswidrige Notwehrhandlungen einzelner Bürger legitimieren soll” (Spiegel Nr. 41 S. 20) —, wen stört das, wenn “das Volk” zur Hinrichtung der Gefangenen bereit ist, wenn Strauß zur Lynchjustiz aufruft, wenn alle diejenigen, die sich öffentlich Gedanken über die Zustände auf der einen oder anderen Seite des Konflikts machen, glattweg zu Mitschuldigen erklärt werden. Hier wurde der Boden bereitet für die Gesetzespflanze, in deren Schatten viele Rechte absterben. Die Exekutive erreichte nämlich in allen Fällen, daß die Besuchsgenehmigungen zurückgezogen wurden, Verteidiger, die bisher noch nicht diffamiert wurden, gerieten nun in den Verdacht, bei entsprechendem Druck seitens der Terroristen ihre freie Entscheidungsmöglichkeit beeinträchtigen oder gar ausschließen zu lassen, um dann konspirativ tätig zu werden (Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. vom 26.9.1977). Wo der Verdacht ausreicht, um derartige Ungeheuerlichkeiten zu verbreiten, braut sich etwas zusammen. Vor der großen Offenbarung in Form des Kontaktsperrengesetzes gab zunächst noch der Bundesgerichtshof den Maßnahmen der Exekutive seinen höchstrichterlichen Segen. Am 23.9.1977 ist in einem Beschluß zunächst von der “völlig freien Verteidigung” die Rede, deren Einschränkung nicht gestattet sei. Im Notstand allerdings sei eine Verletzung dieses Grundsatzes gerechtfertigt. Dann ein kleiner Strahl “Rechtsstaat”: da die betroffenen Häftlinge so allerdings “völlig ohne rechtlichen Beistand” seien, müßte ihnen zumindest ein anderer Verteidiger bestellt werden. Obwohl dies dann Zwangsverteidiger wären, mißtrauen die Juristen sich dennoch gegenseitig. Bundesjustizminister Vogel glaubt nämlich nicht, daß “andere Verteidiger und auch Richter nicht die Verschlüsselungen der Terroristen durchschauen könnten” (FAZ vom 1.10.77 S. 2). Das sollte Konsequenzen für das Gesetz haben, gegen das nur vier Abgeordnete stimmten und bei dem sich siebzehn der Stimme enthielten.
Das Gesetz
Das Gesetz kann hier nicht ausführlich juristisch analysiert werden. Man kann allerdings die Stellen eindeutig markieren, wo Einbrüche in Rechtspositionen von Verdächtigten und/oder Häftlingen erfolgt sind, die in ihren Auswirkungen noch kaum überschaubar sind.
So wird nach § 32 die Kontaktsperre von Justizbehörden angeordnet, also der Exekutive, die weisungsabhängig von politischen Instanzen ist. Bisher mußte bei Eingriffen in die persönliche Freiheit, spätestens am Tag nach der “Ergreifung” eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden. Nach § 35 ist dies in dem weiten Rahmen von zwei Wochen erforderlich. Die Feststellung wird zunächst für dreißig Tage getroffen, kann aber um weitere dreißig Tage verlängert werden und so fort, wenn eine richterliche Bestätigung gegeben wird. Wer z.B. auf Grund einer Denunziation verhaftet worden ist, kann wochenlang in einem Gefängnis verschwinden, ohne daß es für die Behörden irgendeine Verpflichtung gäbe, die Gründe der Verhaftung mitzuteilen, ohne daß ein Anwalt oder ein Familienmitglied Kontakt aufnehmen könnte, wenn man “in der Außenwelt” überhaupt etwas von der Verhaftung erfährt.
Daß der Häftling sich praktisch nicht gegen diese Maßnahme wehren kann, ergibt sich aus den Vorschriften des § 34. In keinem Stadium dieses Verfahrens nämlich ist ein Kontakt zwischen Verteidiger und Häftling zugelassen. Der Häftling ist — daran gibt es nichts zu deuteln — den Behörden verteidigungslos ausgeliefert. Es ist geradezu ein Hohn, wenn es in Ziffer I des § 34 heißt, daß einem Gefangenen, der keinen Verteidiger hat, einer bestellt wird, der dann allerdings, wenn sich der Gefangene an ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft wenden will, nicht wissen darf, was “sein” Mandant vorträgt. Von dem was Verteidigung eigentlich ist, ist nur noch eine begriffliche Hülse übriggeblieben. Nicht zugedeckt wird in diesem Gesetz, daß man den Überlegungen des BGH (Zwangsverteidiger) eine Absage erteilt hat. Nicht etwa, weil man das Institut der freien Verteidigungswahl schützen möchte;nein, die Sperre muß total sein, “das Loch muß zu” (Schmidt im Bundestag, Spiegel Nr. 41 S. 20). Die Isolation der Gefangenen wird noch weitergetrieben als bisher. Die Leistung des Berliner Moabit-Gefängnisses ging so weit, den Anstaltsgeistlichen der Außenwelt zuzurechnen, um so ein Einzelgespräch zwischen Geistlichem und Häftling zu verhindern. Der Anstaltsgeistliche sei kein Angestellter der Anstalt! Die gleiche Anweisung erlaubt den Häftlingen offenen Schriftverkehr mit den Gesetzesorganen, dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof. Wahrscheinlich ist dies der wirksame Rechtsschutz, von dem in der FAZ vom 30.9. 1977, S. 2 die Rede ist. Dort heißt es:“Zugleich soll das Gesetz nachteilige Folgen für die Betroffenen vermeiden. Die gerichtliche Bestätigung dieser Feststellung ist notwendig und dem einzelnen Betroffenen wird ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Maßnahmen garantiert.” In dem Gesetz, von dem hier die Rede ist, steht davon nichts. Es wird auch keine Regelung über eine Rechtsmittelbelehrung getroffen — einen solchen Hohn wollte man sich wohl noch aufheben.
Zwei Stellen in dem Gesetz machen klar, wo einer Einbeziehung irgendwelcher Häftlinge Tür und Tor offen steht. Im 2. Satz des § 31 reicht der dringende Verdacht aus, daß ein Häftling eine Tat, deren er verdächtigt wird, im Zusammenhang mit einer Tat nach § 129 a StGB begangen hat. Soviel “Verdacht” auf einmal ist schon verdächtig. Aber - fällt nicht ein Häftling bereits dann in den Verdacht, ein Terrorist zu sein, wenn er aus Solidarität einen Hungerstreik mit anderen macht, die verdächtigt werden, Terroristen zu sein? Das OLG Frankfurt hat in dem genannten Beschluß derartige Überlegungen angestellt.
Im Artikel 2, Absatz 2 sind Häftlinge von der Kontaktsperre erfaßt, gegen die wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ein Strafverfahren eingeleitet worden ist oder eingeleitet wird. Bei der 2. Alternative ist demnach völlig offen, ob es überhaupt je zu einem Strafverfahren kommen wird.
Es ist wohl nicht abwegig, zu behaupten, daß in diesem Gesetz noch eine ganz andere Gefahr steckt, nämlich die, daß der Begriff der “kriminellen Vereinigung” bei Bedarf auf Gruppen angewandt wird, die bereits jetzt pauschal kriminalisiert werden, z.B. die Antikemkraftbewegung und selbstverständlich - und dies ist unmittelbar historisch belegbar - auch die ‘KGruppen’, wenn eines Tages ein Verbot ausgesprochen werden sollte. Da im Hinblick auf die Antikemkraftbewegung für die meisten Offiziellen sowieso feststeht, daß im Grunde der Staat das Angriffsobjekt ist, bedarf es dann nur noch der Feststellung einer “gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person”, um Festgenommene in Gefängnissen verschwinden zu lassen, die keiner an den Interessen der Häftlinge orientierten Kontrolle mehr unterliegen. Die Art und Weise des Zustandekommens dieses Gesetzes läßt befürchten, daß man es sich mit dem Nachweis der “gegenwärtigen Gefahr” wird leicht machen können.
Das Kontaktsperrengesetz, die wenn auch nur zeitlich befristete Totalentrechtung von Häftlingen ist ein Qualitätsverlust besonderer Art. Wenn Jürgen Baumann meint, auch ein Terrorist stehe nicht ausserhalb der Rechtsordnung, dann könnte er dies von den durch das Gesetz betroffenen Häftlingen nur behaupten, wenn in diesem Gesetz die Würde des Menschen und die körperliche Integrität garantiert wären, wie es vom Grundgesetz verlangt wird. Aber darum ging es hier ja nicht — ein Loch war zu stopfen, da kann man schon mal zulangen.
Hansi Euler