» Der Führer schützt das Recht!
Um das ganze Verfahren fragwürdiger Gesetzgebung zu erläutern, möchte ich auf einen Kommentar aus dem Jahre 1934 zurückgreifen. Dieser Kommentar stammt von einem der führenden deutschen Juristen und Staatsphilosophen, von dem immer etwas zu lernen ist, von Carl Schmitt. Der Kommentar hat den Titel „Der Führer schützt das Recht“ und behandelt die gesetzgeberischen Aktivitäten nach den Massenerschiessungen vom 30. Juni 1934. Für Nicht-Historiker: damals hatte die NS-Führung, unter dem Vorwand, einem Putsch der SA zuvorzukommen, etwa 200 Personen der potentiell innerparteilichen Opposition und Figuren der nationalen Rechten wie den ehemaligen Reichskanzler Schleicher durch bewaffnete Einheiten der SS umstandslos, in Wohnungen oder wo immer sich diese Personen aufhielten, erschießen lassen. Das Ganze war eine klassische faschistische Mordaktion. Solche hat es im Verlauf der, wie man heute so nett sagt, .nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1 häufiger gegeben. Interessant nur, daß diese Aktion gesetzgeberische Aktivitäten im damals nur noch von Nationalsozialisten besetzten Reichstag nach sich zog. Gegenüber dem Ausland fühlte man zu dieser Zeit noch so etwas wie ein Legitimationsdefizit.
Wenn an dieser Stelle Teile des Kommentars von Carl Schmitt wieder abgedruckt und glossiert werden, so darf und soll nicht der Eindruck erweckt werden, wir befänden uns schon wieder in einer Situation, die als faschistisch zu bezeichnen wäre oder unmittelbar davor. Vielmehr beschäftigen wir uns mit diesem Text, weil hier überraschende Übereinstimmungen der juristischen Interpretation zu finden sind.
Wir sind nicht auf dem Wege in einen Faschismus, wohl aber zu einem autoritären Ordnungsstaat, der nur diejenigen seiner Gegner ausschaltet, die ihm wirklich gefährlich erscheinen. Der irrationale deutsche Faschismus der Vergangenheit bedurfte noch imaginärer, wenn auch vorhandener Gegner, wie der jüdischen Rasse. Das gegenwärtige Ordnungsdenken verfolgt in erster Linie nur wirkliche, praktische Gegner. Für den harmlosen unpolitischen Bürger ist dies ein Unterschied ums Ganze. Er darf damit rechnen davonzukommen, bei genügender Lethargie nicht miteinbezogen zu werden.
Die Zitate des Kommentars entstammen dem Sammelband „Positionen und Begriffe“, den C.S. 1939 erscheinen ließ. Er findet sich dort auf den Seiten 199 bis 203. Leider ist dieser interessante Sammelband bis heute nicht wieder erschienen
„Der Führer schützt das Recht“ Zur Reichstagsrede Adolf Hitlers 13. Juli 1934 vom
Auf dem deutschen Juristentag in Leipzig, am 3. Oktober 1933, hat der Führer über Staat und Recht gesprochen. Er zeigte den Gegensatz eines substanzhaften, von Sittlichkeit und Gerechtigkeit nicht abgetrennten Rechts zu der leeren Gesetzlichkeit einer unwahren Neutralität und entwickelte die inneren Widersprüche des Weimarer Systems, das sich in dieser neutralen Legalität selbst zerstörte und seinen eigenen Feinden auslieferte. Daran schloß er den Satz:"Das muß uns eine Warnung sein. “
Die Töne kommen uns bekannt vor Immer wieder, wenn von der angeblichen linksextremistischen Bedrohung die Rede ist, fällt im Verlauf der Diskussion das Stichwort ,Weimar*. Es war die Zeitung „Christ und Welt“, die vor mehr als fünfzehn Jahren über Weimar schrieb: „Schuldig aus Schwäche“. In unserem Kommentar urteilt der Kronjurist des Faschismus ebenso. Nicht nur für die heutige Bundesregierung, auch für A. Hitler war Weimar eine „Warnung“.
Carl Schmitt zeigt im daran anschließenden Text, worauf die Argumentation des „Führers” und seines Rechtsgelehrten hinausläuft, nicht ohne noch (klammheimlich) die Lüge zu unterstützen, der erste Weltkrieg sei durch verräterischen Dolchstoß revoltierender Soldaten beendet worden; in Wirklichkeit bewahrte der Waffenstillstand, zu dem die oberste Heeresleitung unter Ludendorff geraten hatte, Deutschland vor einem kompletten militärischen Zusammenbruch und sehr vielen Opfern. Ludendorff war später Weggenosse Hitlers und dementierte seine militärischen und politischen Ratschläge.
In seiner an das ganze deutsche Volk gerichteten Reichstagsrede vom 13. Juli 1934 hat der Führer an eine andere geschichtliche Warnung erinnert. Das starke, von Bismarck gegründete Deutsche Reich ist während des Weltkriegs zusammengebrochen, weil es im entscheidenden Augenblick nicht die Kraft hatte, „von seinen Kriegsartikeln Gebrauch zu machen“. Durch die Denkweise eines liberalen Rechtsstaats“ gelähmt, fand eine politisch instinktlose Zivilbürokratie nicht den Mut, Meuterer und Staatsfeinde nach dem verdienten Recht zu behandeln. Wer heute im Band 310 dei Reichstagsdrucksachen den Bericht über die öffentliche Vollsitzung vom 9. Oktober 1917 liest, wird erschüttert sein und die Warnung des Führers verstehen. Die Mitteilung der damaligen Reichsregierung, daß Rädelsführer der meuternden Matrosen mit Reichstagsabgeordneten der Unabhängigen Sozialistischen Partei verhandelt hatten, beantwortete der Deutsche Reichstag in lauter Entrüstung damit, daß man einer Partei ihr verfassungsmäßiges Recht, im Heere Propaganda zu treiben, nicht verkürzen dürfe und daß schlüssige Beweise des Hcohverrates fehlten. Nun, diese schlüssigen Beweise haben uns die Unabhängigen Sozialisten ein Jahr später ins Gesicht gespien. In beispielloser Tapferkeit und unter furchtbaren Opfern hat das deutsche Volk vier Jahre lang einer ganzen Welt standgehalten. Aber seine politische Führung hat im Kampfe gegen die Volksvergiftung und die Untergrabung des deutschen Rechts und Ehrgefühls auf eine traurige Weise versagt. Bis zum heutigen Tage büßen wir die Hemmungen und Lähmungen der deutschen Regierungen des Weltkriegs. ...
Im nun folgenden Absatz begründet Schmitt, warum bloße Legalität in einer Krisensituation ihm unsinnig scheint. Das normale Gesetz ist nach seiner Auffassung nur für normale Zeiten zuständig. Damit wird der Gedanke des Gesetzes nichtig. Im Krisenfall schafft der „Führer” das Gesetz, sein Handeln ist mit ihm identisch
Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. "In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr. “ Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fliesst das Richtertum. Wer beides voneinander trenn oder gar entgegensetzen will, macht den Richter entweder zum Gegenführer oder zum Werkzeug eines Gegenführers und sucht den Staat mit Hilfe der Justiz aus den Angeln zu heben. Das ist eine oft erprobte Methode nicht nur der Staats-, sondern auch der Rechtszerstörung. Für die Rechtsblindheit des liberalen Gesetzesgedankens war es kennzeichnend, daß man aus dem Strafrecht den großen Freibrief, die ,Magna Charta des Verbrechers“ (Fr. von Liszt) zu machen suchte. Das Verfassungsrecht mußte dann in gleicher Weise zur Magna Charta der Hoch- und Landesverräter werden. Die Justiz verwandelt sich dadurch in einen Zurechnungsbetrieb, auf dessen von ihm voraussehbares und von ihm berechenbares Funktionieren der Verbrecher ein wohlerworbenes subjektives Recht hat. Staat und Volk aber sind in einer angeblich lückenlosen Legalität restlos gefesselt. Für den äußersten Notfall werden ihm vielleicht unter der Hand apokryphe Notausgänge zugebilligt, die von einigen liberalen Rechtslehrem nach Lage der Sache anerkannt, von anderen im Namen des Rechtsstaats verneint und als „juristisch nicht vorhanden“ angesehen werden. Mit dieser Art von Jurisprudenz ist das Wort des Führers, daß er als „des Volkes oberster Gerichtsherr“ gehandelt habe, allerdings nicht zu begreifen. Sie kann die richterliche Tat des Führers nur in eine nachträglich zu legalisierende und indemnitätsbedürftige Maßnahme des Belagerungszustandes umdeuten. Ein fundamentaler Satz unseres gegenwärtigen Verfassungsrechts, der Grundsatz des Vorrangs der politischen Führung, wird dadurch in eine juristisch belanglose Floskel und der Dank, den der Reichstag im Namen des Deutschen Volkes dem Führer ausgesprochen hat, in eine Indemnität oder gar einen Freispruch verdreht.
In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz. Es war nicht die Aktion eines republikanischen Diktators, der in einem rechtsleeren Raum, während das Gesetz für einen Augenblick die Augen schließt, vollendete Tatsachen schafft, damit dann, auf dem so geschaffenen Boden der neuen Tatsachen, die Fiktion der lückenlosen Legalität wieder Platz greifen können. Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt, ln der höchsten Not bewährt sich das höchste Recht und erscheint der höchste Grad richterlich rächender Verwirklichung dieses Rechts. Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes. Jedes staatliche Gesetz, jedes richterliche Urteil enthält nur soviel Recht, als ihm aus dieser Quelle zufließt. Das übrige ist kein Recht, sondern ein positives „Zwangsnormengeflecht“, dessen ein geschickter Verbrecher spottet.
In „höchster Not“ befand sich auch der Bundestag, als er das Gesetz zur Kontaktsperre verabschiedete, befand sich die Bundesregierung, als sie den sog. „Radikalenerlaß“ Unterzeichnete, der begründungslos eine Identität von leninistischen Terronsten und moderner DKP unterstellte. Wenn liberales Recht nicht mehr zulässt, daß ein Beschuldigter dem Richter oder dem Urteil entwischt, dient es nicht mehr sich selbst, sondern einem politischen Zusammenhang. Dann ist Recht nur noch eine Waffe im Bürgerkrieg, ist keinen Normen mehr verpflichtet. Es verdichtet sich das Gefühl, daß dieser Zustand auf die Tagesordnung kommt oder sich dort schon befindet. Hier ist Carl Schmitt ganz aktuell:
In scharfer Entgegensetzung hat der Führer den Unterschied seiner Regierung und seines Staates gegen den Staat und die Regierungen des Weimarer Systems betont: Jch wollte nicht das junge Reich dem Schicksal des alten ausliefern.“ ,Am 30. Januar 1933 ist nicht zum soundso vielten Male eine neue Regierung gebildet worden, sondern ein neues Regiment hat ein altes und krankes Zeitalter beseitigt. “ Wenn der Führer mit solchen Worten die Liquidierung eines trüben Abschnittes der deutschen Geschichte fordert, so ist das auch für unser Rechtsdenken, für Rechtspraxis und Gesetzesauslegung, von juristischer Tragweite. Wir haben unsere bisherigen Methoden und Gedankengänge, die bisher herrschenden Lehrmeinungen und die Vorentscheidungen der höchsten Gerichte auf allen Rechtsgebieten neu zu prüfen. Wir dürfen uns nicht blindlings an die juristischen Begriffe, Argumente und Präjudizien halten, die ein altes und krankes Zeitalter hervorgebracht hat. Mancher Satz in den Entscheidungsgründen unserer Gerichte ist freilich aus einem berechtigten Widerstand gegen die Korruptheit des damaligen Systems zu verstehen; aber auch das würde, gedankenlos weitergeführt, heute das Gegenteil bedeuten und die Justiz zum Feind des heutigen Staates machen. Wenn das Reichsgericht im Juni 1932 (RGSt.66, S. 386) den Sinn der richterlichen Unabhängigkeit darin sah, „den Staatsbürger in seinen gesetzlich anerkannten Rechten gegen möglicheWillkür einer ihm abgeneigten Regierung zu schützen“, so war das aus einer liberal-individualistischen Haltung gesprochen. ,Das Richtertum wird hineingedacht in eine Frontstellung nicht nur gegenüber dem Staatsoberhaupt und der Regierung, sondern auch gegenüber den Verwaltungsorganen überhaupt. “Das ist aus jener Zeit heraus begreiflich. Heute aber obliegt uns die Pflicht, den neuen Sinngehalt aller öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, auch der Justiz, mit größter Entschiedenheit durchzusetzen.
Am Ende des 18. Jahrhunderts hat der alte Häberlin die Frage des Staatsnofrechts mit der Frage der Abgrenzung von Justizsachen und Regierungssachen in Verbindung gebracht und gelehrt, bei Gefahr oder großem Schaden für den Staat könne die Regierung jede Justizsache zur Regierungssache erklären. Im 19. Jahrhundert hat Dufour, einer der Väter des französischen Verwaltungsrechts, den jeder gerichtlichen Nachprüfung entzogenen Regierungsakt (acte de gouvemement) dahin definiert, daß sein Ziel die Verteidigung der Gesellschaft, und zwar die Verteidigung gegen innere und äußere, offene oder versteckte, gegenwärtige oder künftige Feinde sei. Was man auch immer von solchen Bestimmungen halten mag, sie weisen jedenfalls auf eine juristisch wesentliche Besonderheit der politischen „Regierungsakte“ hin, die sich sogar in liberalen Rechtsstaaten rechtliche Anerkennung verschafft hat. In einem Führerstaat aber, in dem Gesetzgebung, Regierung und Justiz sich nicht, wie in einem liberalen Rechtsstaat, gegenseitig mißtrauisch kontrollieren, muß das, was sonst für einen ,,Regierungsakt“Rechtens ist, in unvergleichlich höherem Maße für eine Tat gelten, durch die der Führer sein höchstes Führertum und Richtertum bewährt hat
Gegen die mißtrauische Kontrolle der Justiz regierungsamtlichen, wenn auch unrechtmäßigen Verordnungen gegenüber, hat auch das Sondergesetz über die Kontaktsperre sich hinweggesetzt. Wie bekannt, hatten vor Inkrafttreten des Gesetzes verschiedene Oberlandesgerichte Kontaktsperren für ungesetzlich erklärt, in der guten, alten Annahme, daß jedermann, ohne Ausnahme, Anrecht auf das Gehör eines Richters und auf einen frei gewählten Rechtsbeistand habe - ungeachtet einer politischen Situation. Das von OLGs erklärte Unrecht wurde von der legislativen Gewalt im Eüverfahren zum Gesetz erklärt. Wir lassen einige Passagen des Schmittschen Artikels aus, da sie keinen Bezug zur aktuellen Lage haben und bringen den Schluß, in dem die Rede davon ist, daß wir „unsere politische Existenz nicht dem Götzen des Liberalismus opfern“ sollen. Diese Gefahr besteht in der gegenwärtigen Situation nicht.
Immer wieder erinnert der Führer an den Zusammenbruch des Jahres 1918. Von dort aus bestimmt sich unsere heutige Lage.Wer die ernsten Vorgänge des 30. Juni richtig beurteilen will, darf die Ereignisse dieses und der beiden folgenden Tage nicht aus dem Zusammenhang unserer politischen Gesamtlage herausnehmen und nach der Art bestimmter strafprozessualer Methoden so lange isolieren und abkapseln, bis ihnen die politische Substanz ausgetrieben und nur noch eine „rein juristische Tatbestands“- oder Nicht-Tatbestandsmäßigkeit“ übriggeblieben iat. Mit solchen Methoden kann man keinem hochpolitischen Vorgang gerecht werden. Es gehört aber zur Volksvergiftung der letzten Jahrzehnte und ist ein seit langem geübter Kunstgriff deutschfeindlicher Propaganda, gerade dieses Isolierverfahren als allein „rechtsstaatlich“ hinzustellen. Im Herbst 1917 haben alle in ihrem Rechts denken verwirrten deutschen Parlamenta rier, und zwar Kapitalisten wie Kommu nisten, Klerikale wie Atheisten, in merk würdiger Einmütigkeit verlangt, daß mat das politische Schicksal Deutschlands sol chen prozessualen Fiktionen und Verzerrungen ausliefere, und eine geistig hilflose Bürokratie hat damals den politischen Sinn jener „juristischen “ Forderungen nicht einmal gefühlsmäßig empfunden. Gegenüber der Tat Adolf Hitlers werden manche Feinde Deutschlands mit ähnlichen Forderungen kommen. Sie werden es unerhört finden, daß der heutige deutsche Staat die Kraft und den Willen hat, Freund und Feind zu unterscheiden. Sie werden uns das Lob und den Beifall der ganzen Welt versprechen, wenn wir wiederum, wie damals im Jahre 1919, niederfallen und unsere politische Existenz dem Götzen des Liberalismus opfern. Wer den gewaltigen Hintergrund unserer politischen Gesamtlage sieht, wird die Mahnungen und Warnungen des Führers verstehen und sich zu dem großen geistigen Kampfe rüsten, in dem wir unser gutes Recht zu wahren haben.
Til Schulz