Presseerklärung des Abengymnasiums Frankfurt

„Die Bildungspolitik bleibt auch in Zukunft die wichtigste Aufgabe der Landesregierung. Ich mache mir Sorgen um die junge Generation. Wir dürfen diese Generation mit ihren Problemen in der Schule nicht allein lassen.” (Regierungserklärung Holger Börners)

Auch in diesen Ferien unternahm das Regierungspräsidium im Auftrag des Kultusministeriums einen Schlag gegen das Abendgymnasium: Am Montag dieser Woche erhielt der Schulleiter des Abendgymnasiums Frankfurt die Mitteilung, seine sofortige Versetzung an eine andere Stelle sei beabsichtigt. Dem Personalrat wurde mitgeteilt, die Versetzung erfolge sofort, denn „die Natur der Sache” dulde keinen Aufschub.

Uns sind die Gründe dieser Massnahme nicht bekannt, aber wir werden nicht widerstandslos hinnehmen, daß der Schulleiter gegen seinen und gegen unseren Willen versetzt wird.

Die Politik gegen das Abendgymnasium ist so bequem wie übel: Mit Drohung und Erpressung wurde versucht, schlechtere Noten durchzusetzen; die von uns geforderten Gespräche über Inhalte des Unterrichts und Kriterien ihrer Beurteüung wurden verweigert. Die Forderung nach einer Auseinandersetzung mit den Beurteilungskriterien des Regierungspräsidiums und mit den unsrigen ist so alt wie das eigenständige Abendgymnasium. Die Vorgesetzten drücken sich vor dieser Auseinandersetzung.

Stattdessen versucht jetzt der Kultusminister, das Abendgymnasium einfach aufzulösen. Wir wissen bisher nur so viel: Wir haben einen Aufnahmestopp, also in drei Jahren kerne Schüler mehr...

Seit August bemühen wir uns vergebens, wenigstens den Wortlaut des Erlasses zu erhalten, der die Auflösung unseres Arbeitsplatzes betreibt. Auch hier fanden und finden keine Gespräche statt. Wir erfahren die Meinung der Dienstaufsicht über unsere Arbeit stets nur aus der Presse, dort werden selbst Diffamierungen verbreitet, wie die, die Lehrer ,kungelten” mit den Schülern um die Noten (Frankfurter Rundschau, 25.10.77). Der Nachweis bleibt selbstverständlich aus.

Anfragen zum Abendgymnasium werden zum dritten Mal im Kulturausschuß des Landtags verhandelt. Wir sind selbstverständlich weder zu den Fragen noch zu den Antworten gehört worden.

Bisheriger Höhepunkt dieser Politik ist nun die geplante Versetzung des Schulleiters. Die Art und Weise, in der Schulleiter Haller mitgespielt wird, muß inhuman und widerlich genannt werden. Ohne begründendes Gespräch erhielt er schriftlich vom Amtsjuristen die knappe Nachricht seiner beabsichtigten sofortigen Versetzung. Kollege Haller ist krank, zusammengebrochen.

Diese blitzschnelle Strafversetzung ist eine politische Maßnahme: Die Schulleitung hat sich fiir die Verteidigung des Zweiten Büdungsweges eingesetzt, statt ihre Funktion darin zu sehen, die Empörung der Lehrer und Studierenden zu unterdrücken: die Empörung über fehlende Räume und die entwürdigende Verschaukelung durch die Stadt Frankfurt in der Raumfrage, die Empörung über die verzögerten oder nur zynische Behandlung von Dienstaufsichtsbeschwerden, über Disziplinierungsversuche an Kollegen, die ihre Meinung in Leserbriefen oder in der gewerkschaftlichen Presse äußerten, über Lehrerkündigungen und drohende Schulschließung, über Umund Übergehen des Personalvertretungsgesetzes, über die höchst unzulängliche Begründung von Notenveränderungen durch das Regierungspräsidium, die mit Recht das matte Licht des Kulturausschusses zu fürchten haben, über den bestehenden Aufnahmestopp und vieles mehr, das uns täglich zeigt: Diese Bildungspolitik des Staates berücksichtigt nicht die Interessen der Betroffenen.

Haller soll strafversetzt werden, weil er nicht dagegen aufgetreten ist, daß Lehrer und Schüler gemeinsam ihre Interessen vertreten und weil er die gewerkschaftlichen Aktivitäten der Kollegen nicht — wie dies seine Vorgesetzten von ihm erwarten — verboten und disziplinarisch verfolgt hat.

Weil wir versuchen müssen, den Fall Abendgymnasium in eine Öffentlichkeit zu bringen, an der wir beteiligt sind, deshalb laden wir in den nächsten Tagen die Mitglieder des Kulturausschusses des Landtags in die Schule ein, deshalb werden wir die Fraktionen des Magistrats zu Gesprächen in der Schule auffordem; wir werden den DGB einladen, da der Zweite Bildungsweg von Arbeitern und Angestellten besucht wird, und wir werden anschließend an diese Gespräche eine Pressekonferenz veranstalten, die der Presse die Möglichkeit geben wird, auch eine andere Meinung als die des Kultusministers zu hören.

Ab 1.11.77 ist die Schülerschaft des Abendgymnasiums Frankfurt in unbefristeten Streik getreten.