Vor 135 Jahren schrieb Alexander Humboldt während der rigidesten Repression des Vormärz,unter dem frischen Eindruck des Lehrverbots für Bruno Bauer, an seinen Freund Varnhagen von Ense: "Der konstitutionelle Roi des Landes — das ist Ernst August von Hannover - 'hat gestern, vor vierzig Menschen, wieder an seinem Tische gesagt: die Göttinger Professoren hätten in einer Adresse ihm von ihrem Patriotismus gesprochen, 'Professoren haben gar kein Vaterland ;Professoren, Huren (der Deutlichkeit wegen setzte er hinzu des putains) und Tänzerinnen kann man überall für Geld haben, sie gehen dahin, wo man ihnen einige Groschen mehr bietet! 4 Welche Schande, das einen deutschen Fürsten zu nennen.“

Ernst August, wird man sich erinnern, hatte fünf Jahre zuvor spektakulär die Verfassung gebrochen und damit den weltberühmten Fall der Göttinger Sieben provoziert. Heute heißt Hannover Niedersachsen und ist kein Königtum mehr, aber die Art, wie dort mit Professoren umgegangen wird läßt an vergangene Zeiten denken. Diesmal geht es um 13 niedersächsische Professoren, die, mit anderen, bekanntlich den sogenannten Buback-Nachruf unkommentiert aber dokumentiert herausgegeben haben. Der Justizminister Vogel hat gegen sie alle Strafantrag wegen Verunglimpfung des Staates und des Ansehens Verstorbener gestellt. Das ist eine klare Sache,über die unabhängige Gerichte werden zu entscheiden haben, aber statt diese Entscheidung abzuwarten und für den Fall einer Verurteüung danach, wie normal, disziplinarrechtlich gegen die Verurteilten vorzugehen, oder aber für den Fall des Freispruchs hinzunehmen oder zuzugeben, daß die Herausgeber nichts getan haben, als ein ihnen zustehendes Recht wahrzunehmen, sind sofort die Dienstherren der Professoren in Berlin, Bremen und Niedersachsen tätig geworden, auf unterschiedlichste Weise.

In Bremen ist der Fall am besonnensten beigelegt worden, in Berlin hat der Senator Glotz zunächst, mehr wohl unter öffentlichem Druck als aus kühler Besonnenheit seine Staatsdiener aufgefordert sich von einem Text, mit dem sie sich nie identifiziert hatten, zu distanzieren, sonst aber aus ihrem Dienstverhältnis auszuscheiden. Er hat inzwischen in Gesprächen erklärt, daß von Identifikation keine Rede sein konnte, und von disziplinarischen Maßnahmen, denen er ohnedies keine Chance gibt, abgesehen. Anders in Hannover. Dort ist nicht nur mit dem Strafrecht und mit Disziplinarverfahren gedroht worden, sondern der Ministerpräsident Albrecht hat öffentlich und ohne einen Rechtsspruch abzuwarten, erklärt, es gehe ihm darum, 'diese Leute vor die Tür zu setzen 4 . Das hat wohl etwas mit dem bei uns herrschenden Verständnis von praktischer Politik, nichts aber mit einem rechtsstaatlichen Verfahren zu tun.

Es ist dabei nicht geblieben. 11 oder 13 niedersächsische Professoren sind genötigt worden, eine nicht von ihnen, sondern von einem Anonymus formulierte Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich 'in aller Form von dem Verfasser und dem Inhalt des sogenannten Buback-Nachrufs 4 distanzieren und versprechen, ihrer politischen Treuepflicht nachzukommen. So wird suggeriert, daß berechtigte Zweifel an ihrer Staatstreue bestanden hätten und daß mindestens der Verdacht einer Identifizierung mit dem Nachruf nahegelegen hatte.

Dies ist ein Akt öffentlicher Demütigung, für den es in einer freiheitlich und demokratisch verfassten Gesellschaft kein Beispiel geben dürfte. Er macht, wenn der Vergleich irgend erlaubt ist, hannoversche Professoren wiederum zu Huren. Sie zwar müssen, an den Pranger gestellt, Treue geloben, aber von der Sorgepflicht ihres Dienstherren, dessen Aufgabe es gewesen wäre, sie bis zum Erweis einer Schuld gegen Vorverurteilungen zu schützen, ist nirgends die Rede.

Sieben Bremer Professoren haben in dem Vorgehen des niedersächsischen Kultusministers einen 'Akt geistiger Landesverweisung 4 gesehen, eine 'Nötigung zum Kniefall vor dem Dienstherren 4 . 'Ausgebürgert — haben sie gesagt — wird damit der kritische Wissenschaftler, Heimatrecht darf nur noch der Staatsdiener haben. Ein solches Verfahren erinnert an die schlimmsten Traditionen obrigkeitlichen Denkens. 4 Es ist, muss man hinzufügen, ein Schritt weiter auf dem Wege zum autoritären Staat. Der Eindruck lässt sich nicht verwischen, daß es dem Minister und seinem Ministerpräsidenten darum geht, eben das zu verhindern, was das erklärte Ziel der Betroffenen war: einen Denkprozess über die Gewaltverhältnisse in unserer Gesellschaft in Gang zu setzen. Und: unbotmässige Professoren ohne Rechtsspruch zu bestrafen, daß sie einen der Öffentlichkeit vorenthaltenen, von ihnen selbst kritisierten Artikel publiziert haben, dessen Veröffentlichung aus Gründen der Staatsmoral präventiv unter Strafe gestellt worden ist.

Walter Boehlich

Erklärung

(Vom Minister Pestei 12 niedersächs. Hochschullehrern zugestellt - mit der Aufforderung, sie bis 30.9. zu unterzeichnen und der Ankündigung, der Minister werde sie veröffentlichen.)

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen der niedersächsischen Landesregierung zur Herausgabe der Dokumentation "Buback - ein Nachruf" erkläre ich:

Mord oder Entführung oder überhaupt den Einsatz von Gewalt lehne ich in unserem I freiheitlich demokratischen Rechtsstaat unter jeder Bedingung ab. Deshalb verurteile ich terroristische Handlungen und alle Versuche,diese zu rechtfertigen.

Ich bin mir bewußt, daß ich als Beamter eine besondere Treuepflicht gegenüber dem Staat habe. Diese fordert mehr als nur I eine formal korrekte, im übrigen uninteessierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung; sie fordert vom Beamten insbesondere, daß er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die gelte de Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Ich werde meiner politischen Treuepflicht nachkommen. Diese hat sich insbesondere in Krisenzeiten und in ernsthaften Konfliktsituationen zu bewähren, in denen der Staat darauf angewiesen ist, daß der Beamte Partei für ihn ergreift.

Ich distanziere mich in aller Form von dem Verfasser und dem Inhalt des sog. Buback-Nachrufs.