ERICH FRIED REDE ZUR VERLEIHUNG DES PREISES DER 7
Meine Damen und Herren, liebe Freunde, Ich bin hier, um meinen Dank dafür auszusprechen, daß mir als erstem Autor der neugestiftete internationale Preis der Sieben verliehen wurde, zu dem auch gehört, daß die preisgekrönten Texte, in meinem Fall Gedichte, außer in ihrer Muttersprache, in meinem Fall deutsch, noch in sechs anderen Sprachen erscheinen werden. — Ich bin dankbar; und nun sollte ich vielleicht etwas von meinen Gedichten, oder vom Gedichteschreiben überhaupt sagen, und ich sollte mich freuen.
Es ist aber nicht so leicht, sich einfach zu freuen. Die sieben Verlage, die mir den Preis zuerkannt haben, haben gleichzeitig beschlossen, in alllen sieben Sprachen einen Band meines Kollegen Breyten Breytenbach zu veröffentlichen, starke, bildhafte, grimmig lebendige Gedichte, denen man anmerkt, daß Breytenbach auch Maler und Graphiker ist. Die Veröffentlichung dieser Gedichte wäre ein weiterer Anlaß, mich zu freuen. Nur, Breytenbach, den ich persönlich kenne (wir trafen uns auf einer Dichtertagung in Rotterdam), ist nicht hier unter uns, sondern sitzt seit Jahren hinter Gittern, zu 9 Jahren Kerker verurteüt, ein politischer Gefangener in Südafrika, wo er wenige Tage nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges geboren wurde. Es ist nicht so leicht, sich heute als Dichter einfach zu freuen, namentlich als Dichter, der Rassismus und Unterdrückung haßt. Solange Breytenbach eingesperrt ist, haben wir kein Recht, uns beim Lesen solcher Gedichte, oder bei einem Anlaß wie dem heutigen, einfach zu freuen. —
Und nicht nur Breyten Breytenbach! Gerade so gut wie mir hätte dieser Preis der Sieben Peter-Paul Zahl verliehen werden können, vermutlich dem begabtesten unter den jüngeren deutschen Dichtem ;(Zahl ist vier Jahre jünger als Breytenbach, und auch von ihm sind diesmal auf der Buchmesse neue Gedichte zu sehen ein Band namens ALLE TÜREN OFFEN) Aber auch PeterPaul Zahl ist nicht hier unter uns, er ist gefangen, in der Justizvollzugsanstalt Werl. Er wurde vor sechs Jahren verhaftet, wurde dann, weil er sich gegen seine Verhaftung gewehrt und einen Polizisten verwundet hatte, wegen schweren Widerstands gegen die Staatsgewalt zu vier Jahren verurteilt. Dann besuchte ihn ein Verfassungsschützer, meinte freundlich, “Herr Zahl, wir wissen ja, daß Sie kein Terrorist sind, und wenn Sie aktives Verständnis dafür zeigen wollten, daß auch wir gegen die Eskalation der Gewalt kämpfen, könnten Sie sofort Haftverschonung haben, und niemand brauchte das zu wissen, denn es wurde Ihnen ja bei der Verhaftung der Arm zerschossen, Sie hätten schon aus Gesundheitsgründen ein Recht auf Haftverschonung.“ Peter-Paul Zahl dankte dem Besucher für seine Zigaretten und für sein Anerbieten, erklärte ihm aber, seine Prinzipien machen es ihm unmöglich, Agent einer östlichen oder westlichen Geheimpolizei zu werden. Darauf wurde Peter-Paul Zahl geraten, er solle sich das überlegen, sonst werde er finden, er komme vielleicht überhaupt nicht mehr frei.
Nun, als seine Haftzeit ihrem Ende zuging, brachte die Staatsanwaltschaft es fertig, daß sein Urteil für ungültig erklärt wurde. Zahl kam in gleicher Sache ein zweites Mal vor Gericht. Im ersten Prozeß schon hatte die Staatsanwaltschaft behauptet, Zahl habe die ihn verhaftenden Polizisten zu ermorden versucht, aber die Geschworenen hatten dagegen entschieden. Nun aber, beim zweiten Prozess, gab es keine Geschworenen mehr, und Zahl wurde prompt des versuchten Mordes schuldig befunden. Richter Monschau sagte ihm, dafür könne er ihn zu drei bis fünfzehn Jahren verurteilen, in seinem Fall, wegen der Notwendigkeit besonderer Abschreckung, würden es fünfzehn Jahre sein. Das war am 12. März 1976. Proteste von allen Seiten, auch von deutschen Schriftstellern und vom holländischen PEN, blieben wirkungslos. Zahl wurde auch seit seiner Verurteilung wiederholt den verschiedensten Repressalien unterworfen, und seit der Entführung Schleyers ist Peter-Paul Zahl von seinem Anwalt, von Besuchern und Post isoliert, obwohl er weder mit der RAF, noch mit dem 2. Juni, noch mit Hans Martin Schleyer je etwas zu tun hatte. - Dieses neue Sondergesetz ist eben sehr dehnbar, und wird gegen sehr viele Menschen angewendet.
Solange Peter-Paul Zahl — ebenso wie ungezählte andere — im Namen der Gerechtigkeit so behandelt wird und gefangen bleibt, ist es nicht so leicht, sich als Dichter einfach zu freuen. Deshalb hier noch mehr davon, mit welchen unliebsamen Tatbeständen man als deutschsprachiger Schriftsteller konfrontiert ist, Tatbeständen , die einem oft die Zeit und die Energie rauben, die man doch bitter nötig hätte, um sich mit dichterischen Problemen, mit Fragen des eigenen Schreibens zu befassen und sich nicht immerzu von politischen Gemeinheiten um den ganzen Reichtum des Lebens betrügen zu lassen; wie Brecht klagt: ”So verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben war.“
Vor einigen Jahren, kurz nachdem ich von einem Hamburger Gericht freigesprochen worden war, weil ich die Berliner Polizei beschuldigt hatte, an dem erschossenen Studenten Georg von Rauch einen “Vorbeugemord“ begangen zu haben, stand auch mein Verleger, Klaus Wagenbach aus ganz ähnlichem Grund in Berlin vor Gericht. — Ich sprach zu seinen Gunsten, wie es in Hamburg bei meinem Prozess Heinrich Böll getan hatte, und Klaus Wagenbach wurde zuerst ebenfalls freigesprochen. Aber dagegen erhob der Berliner Polizeipräsident in der Springerpresse und in einem polizeilichen Rundschreiben Einspruch, und in zweiter Instanz wurde Wagenbach prompt verurteilt. Ich glaube, mein Fall war der letzte Freispruch für einen solchen Protest gegen polizeüiche Todesschüsse auf deutschem Boden. Die Todesschüsse sind seither viel zahlreicher geworden und sollen durch das sogenannte Einheitliche Polizeigesetz auch in aller Form rechtens werden. — Es ist nicht so leicht, sich als deutschsprachiger Dichter oder Schriftsteller oder Verleger einfach zu freuen.
Ebenso wie ich ist auch Professor Peter Brückner Autor des Wagenbach-Verlages. Er hat dort unter anderem 1974 ein Buch gegen den politischen Mord an dem Studenten Ulrich Schmücker veröffentlicht. Das Buch enthält auch meine Polemik gegen ein von der Gruppe 2. Juni verbreitetes Flugblatt, das den Mord an Schmücker als Hinrichtung rechtfertigen wollte. 1977 veröffentlichte Brückner bei Wagenbach das Buch “Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse“ das bekanntlich ebenfalls gegen den sogenannten “bewaffneten Kampf 1 Stellung nimmt und deshalb von einigen Verworrenen und Verbitterten angegriffen und beschimpft wurde. Freilich versucht Peter Brückner, Ulrike Meinhofs Weg einsichtig zu erklären und bringt nicht läppische Entstellungen und Tatsachenverdrehungen, wie das jetzt eben im Fischer-Verlag erscheinende oder erschienene Buch über Ulrike Meinhof, “Hitlers Kinder“, ein Gemisch von Viertelwahrheiten, naivem Kitsch-Unsinn und ganzen Tatsachenverdrehungen, verfaßt von der südafrikanischen, ziemlich rechtsradikalen Gillian Becker, die nicht einmal deutsch versteht. Ihr Buch wurde übrigens von einigen englischen Kritikern vernichtend beurteilt.
Erich Fried
Der Mausefall
Die Krotts hatten eine entartete Maus
die machte sich aus Spöck nichts draus
Die Putzfrau ging fort und spie Gift und Galle:
„Das Biest läßt den Speck stehn und frißt nur die Falle”
Da fand Vater Krott es sei eine Katze
in so einem Fall zur Entmausung am Platze
Doch die Maus fing die Katze und fraß sie fast ganz
Vor dem Mauseloch fand man nur Krallen und Schwanz
Drum hat dann Frau Krott von Sorge gequält
die Sache befreundeten Nachbarn erzählt
Die fanden daß so etwas merkwürdig sei
und verständigten heimlich die Polizei
Da wurden die Krotts polizeilich verhört
und man hielt sie natürlich für geistesgestört
So kamen sie alle ins Irrenhaus
In der Villa Krott wohnt jetzt nur noch die Maus
Doch dies nur nebenbei. Peter Brückner also, der wiederholt, zwar niemals oberflächlich oder gehässig, dafür aber desto entschiedener, gegen den blutigen Irrweg des sogenannten "bewaffneten Kampfes“ geschrieben und gesprochen hat, der dabei allerdings auch nicht verschwiegen hat, wieviel Mitschuld an diesem Irrweg die institutionalisierte Gewalt und Brutalität der Behörden trägt, hat vor kurzem auch über den sogenannten Buback-Nachruf eines Göttinger Mescalero geschrieben. Er steht diesem Nachruf keineswegs unkritisch gegenüber; außer etlichen,heute recht naiv anmutenden revolutionären Illusionen enthält dieser Buback-Nachruf nämlich auch einige ungute beziehungsweise ungeschickt gewählte Ausdrücke. Mescalero hat offenbar versucht, sich entfremdet denkenden Menschen verständlich zu machen, indem er sich selbst auf entfremdeten Sprachgebrauch einließ.
Totz dieser Schwächen findet Peter Brückner, ebenso wie ich, diesen Buback-Nachruf unter anderem deshalb so wichtig, weil er eine eindeutige Stellungsnahme gegen politischen Mord ist, eine Stellungsnahme von links und nicht nur aus politischen Nützlichkeitserwägungen, sonder auch aus moralischen Erwägungen, und nicht nur gegen den Mord an Siegfried Buback, sondern z.B. auch dagegen, daß seine Mitfahrer erschossen wurden.
Ein solches Dokument von links ist natürlich viel wichtiger als alles Rachegeschrei nach Todesschüssen und Todesstrafe von rechts, durch das sich ja leider kaum ein einziger Wirrkopf davon abhalten lassen dürfte, sich selbst in diesen blutigen Wahnsinn zu verwickeln. Man hätte also annehmen müssen, daß so ein linkes Dokument von einem jungen Menschen, der zwar Siegfried Bubacks Tätigkeit ebensowenig gebilligt hat, wie ein großer Teil der Presse in westlichen Demokratien, der aber die Ermordung Bubacks erst recht nicht billigt, in der Bundesrepublik als wichtige Hilfe im Kampf g e g e n politischen Mord allgemein willkommen geheißen wird!
Das Gegenteil ist leider der Fall, Massenmedien und führende Publizisten, Herr Gerhard Löwenthal vom ZDF ebenso wie Ministerpräsident Albrecht in Hannover und Bundesjustizminister Vogel wetteifern miteinander, diesen Buback-Nachruf als Billigung und Befürwortung politischen Mordes zu verunglimpfen. Wenn mit einem geschriebenen Text heute in der Bundesrepublik von Massenmedien und Politikern so verfahren werden kann, ist das für einen Schriftsteller von höchstem Interesse, denn so wie es Mescalero erging, so kann es heute oder morgen uns allen ergehen. So erging es übrigens auch mir ; ein Gedicht von mir über die Ermordung Siegfried Bubacks wurde nicht weniger plump und niederträchtig verleumdet als Mescaleros Buback-Nachruf, nur daß ich mich in den Massenmedien wenigstens etwas besser wehren konnte.
Nun, Peter Brückner, der sich fachlich für die Querverbindungen zwischen Soziologie und Psychologie interessiert, ist, wie viele andere Professoren (und wie zahllose Studenten und z.B. auch die Jungdemokraten in Berlin) dafür eingetreten, den Text des Buback-Nachrufs nachzudrukken, so daß man ihn selbst lesen kann und nicht nur sinnstörend aus dem Zusammenhang gerissene Zitate wie das von der klamm-heimlichen Freude vorgekaut bekommt. Außerdem hat Peter Brückner unter dem Titel "Die Mescalero-Affäre, ein Lehrstück für Aufklärung und politische Kultur" eine Broschüre veröffentlicht, die den Bubacknachruf, einige der wichtigsten Kommentare, seine eigene Bemerkung dazu, aber auch den vorbildlich sachlichen und gerechten Beschluß des Amtsgerichts in Düsseldorf vom 10. August 1977 veröffentlicht, das zur Erkenntnis kam, der Buback-Nachruf sei nicht gerichtlich zu verfolgen, weil der von der Staatsanwaltschaft unterstellte Vorwurf, daß er den Mord an Generalbundesanwalt Buback öffentlich bülige, nicht stimme und die Veröffentlichung des Buback-Nachrufs keinen Straftatbestand erfülle.
Das Gericht erklärt wörtlich:”Der Verfasser des Artikels identifiziert sich nicht mit der Gewalttat, er stellt sich auch nicht moralisch hinter die Täter, sondern hält die Gewalttat vielmehr für falsch.“
Diesen Gerichtsbeschluß ebenso wie den Buback-Nachmf, ebenso verschiedene Angriffe, Kritiken und Verteidigungen dieses Nachrufs hat Peter Brückner veröffentlicht. Und dafür und für einen nicht von ihm veröffentlichten winzigen Auszug aus einem stundenlangen Interview, das Brückner vor vielen Monaten einem holländischen Journalisten gab und das die politische Gewaltförmigkeit in der Bundesrepublik zu erklären versucht, aber gegen sie Stellung nimmt, wird Brückner jetzt in diesem Staat, der sich freiheitlich-demokratisch nennt, verfolgt, und Ministerpräsident Albrecht plant seine Entlassung als Professor, das heißt, de facto, Existenzvernichtung. —
Englische Journalisten und Rechtsanwälte haben mir daraufhin die Frage gestellt, ob Ministerpräsident Albrecht, der in England schon vor vielen Monaten durch seinen Vorschlag auffiel, bei Untersuchungshäftlingen in besonders argen Fällen unter Umständen wieder die Folter einzuführen, so infam und schamlos sei, oder so hysterisch und von allen guten Geistern verlassen. Andere Kenner derbundesdeutschen Verhältnisse, ebenfalls englische Journalisten und Anwälte, antworteten an meiner Stelle. Sie sagten, Albrecht sei leider nicht der einzige, auch Bundesjustizminister Vogel habe sich über die Erkenntnisse des Gerichts in Düsseldorf einfach hinweggesetzt, noch dazu so, daß in England ein Mensch, der sich so verhalte, kaum weiterhin Justizminister oder Ministerpräsident sein könne.
Selbst der überaus müde und geduldige Deutschlandkorrespondent der großen englischen Zeitung Guardian hat am 3. November dort einen Bericht veröffentlicht, der mit den Worten anfängt: ”McCarthy lebt und ist wohlauf und wohnt in Westdeutschland“ und der die hysterische Hexenjagd auf sogenannte "Sympathisanten“ (der Guardian setzt das ekelhafte Wort in Gänsefüßchen) als Vergiftung des polistischen Klimas anprangert.
Man müßte noch vieles zur Sprache bringen z.B. das Hochschulrahmengesetz und die Bestrebungen zur Entrechtung der Studenten, die Bespitzelung, den Radikalenerlaß, die unglaubliche Behauptung der Verfassungsgerichtes, daß die vom Grundgesetz zugesicherte Meinungsfreiheit nur für das Haben nicht aber für das Äußern oder Verbreiten einer Meinung gelten solle, die Verdächtigung, Einschüchterung und Verfolgung von Rechtsanwälten, z.B. das jämmerliche Berufsverbot für RA Kurt Groenewold in Hamburg, — die frechen Verleumdungen gegen Heinrich Böll, Helmut Gollwitzer und den früheren Berliner Oberbürgermeister Albertz, von dem ausgerechnet die Nackte-Mädchen-Postille Praline schrieb, er solle es nicht mehr wagen, sich auf dem Weg über das Fernsehen in deutsche Wohnzimmer einzuschleichen! - Ich könnte die Presseerklärung Ministerpräsident Stoltenbergs zitieren, der Hanjo Kesting, einem leitenden Redakteur des NDR, im Zusammenhang mit Mescaleros Buback-Nachruf-Artikel vorwirft, ”wahrheitswidrig erklärt er (nämlich Kesting), daß dieser Artikel im Gegensatz zur Darstellung fast aller Zeitungen politischen Mord nicht billige oder verherrliche.“ Diese Presseerklärung stammt, wohlgemerkt, vom 16. September, also mehr als einen Monat nach dem Düsseldorfer Gerichtsbeschluß, der Kestings Meinung bestätigt und sich auch mit der irreführenden Berichterstattung fast aller Zeitungen ausführlich auseinandergesetzt hat.
Solange derlei geschieht, können Bundespräsident Scheel und Helmut Schmidt noch so oft versichern, die Demokratie hierzulande sei ganz in Ordnung. Man wird ihnen höflich zuhören und wird sich sein Teil denken.
Als deutschsprachiger Schriftsteller, der zeitlebens^en Deutschenhaß eingetreten ist, bin ich darüber nicht froh.
Als Mensch, der schon in der Jugend durch den Hitlerfaschismus aus seiner Heimat vertrieben wurde, dessen halbe Familie umgebracht wurde, und der sich heute wieder vor der Gefahr sieht, wenn er die Verhältnisse hier kritisiert, in seiner Existenz als Schriftsteller schwer geschädigt oder auf neue Art ins Exil gezwängt zu werden, finde ich aber, es war meine Pflicht, von diesen Dingen zu Ihnen zu sprechen und nach Kräften zu warnen. Eigentlich hätte ich freilich lieber von Gedichten gesprochen, aber das will ich mir lieber für bessere Zeiten aufheben.
Ich danke Ihnen.
(12.10.771)
Erich Fried