editorial
Wir können nicht mehr die Augen zumachen und die politischen Konzepte von CDU/CSU und der Regierungsparteien als im wesentlichen gleiche abtun. Ein weiterer Rückzug in die politische Welt der Subkultur, die von dem Kampf gegen KKW’s bis zum freieren Leben in der Alternative reicht, in die ,Scene‘, wird die Desorientierung und Ratlosigkeit verstärken, ohne die undogmatische, sozialistische Linke handlungsfähiger zu machen. Zum Öffnen der Augen dient die Erkenntnis der bevorstehenden Politik einer CDU/CSU als Regierungspartei in Bund und Land wie auch der Widersprüche in SPD/FDP, die in den letzten Wochen zutage traten.
I.
„In der Umgebung des Kaisers war eine gewisse Erleichterung eingetreten, als auf das erste Telegramm aus Genf, das nur die Todesnachricht enthielt, ein zweites folgte, das die Ermordung meldete.“ Fürst von Bülow (Denkwürdigkeiten) Über die Ermordung der Kaiserin von Österreich 1898, als bekannt wurde, daß sie nicht Selbstmord begangen hatte. „Gehandelt muß werden!“ schloß das kaiserliche Kondolenztelegramm.
„Und sie (die Bürger, Red.) wissen, daß sie diesen Staat erhalten wollen. Das ist der eigentliche Gewinn des Schreckens, dem wir alle ausgesetzt waren.“ (Der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger). Der Staat, so fuhr der Ministerpräsident fort, habe sich in einer „lebensgefährlichen Bedrohung“ durch Terroristen befunden. Die Ereignisse der letzten Wochen haben für die CDU/CSU aus ihrer programmatischen Diskussion heraus ein Hauptprinzip ihrer Politik klargemacht: Ideologische Integration und Unterdrückung gesellschaftlicher Widersprüche durch Fixierung auf einen „Feind“, der aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Politische Kompromisse, die in der Verfassung und in den Gesetzen Ausdruck gefunden haben, werden nicht mehr aufrecht erhalten: „Bei der Terrorbekämpfung darf es keine Tabus mehr geben“ (Kohl). Das reicht von der Aufhebung des Postgeheimnisses bis zur Aberkennung von Grundrechten für „sympathisantennahe“ Presseorgane (Informationsdienst für unterbliebene Nachrichten.
Münchener Stadtzeitung „Blatt“ ....) „Hitler siegt bei Bonn“ (das ist der Titel eines 1960 erschienenen Buchs von Erich Kuby); er ist dabei, eine Schlacht zu gewinnen. Das heißt nicht, daß eine faschistische Politik im Sinne der NSDAP wieder an Boden gewinnt. Die irrationalen Strukturen, auf denen der Nationalsozialismus beruhte - Antisemitismus, Blut-undBoden-ldeologie, Rassismus haben vorerst keine Aussicht, in dieser Form zu unmittelbaren Trägern konservativer Politik zu werden; sie sind weitgehend tabuisiert. Anders sieht es jedoch mit den gesellschaftlichen Hierarchien, den rechtlichen Strukturen und den Machtverhältnissen aus, die durch den Nationalsozialismus in Deutschland gewaltsam aufrecht erhalten werden. Für den westdeutschen Kapitalismus und die Herrschenden sind diese autoritären Strukturen keineswegs mit dem Nationalsozialismus beerdigt worden. Das zeigen auch die Äusserungen prominenter CDU/CSU-Politiker.
„Man sollte diejenigen, die behaupten, für das Volk zu kämpfen, dem Volk überlassen. Polizei und Gerichte müssten sich dann nicht länger mit ihnenbeschäftigen“, sagte Franz Josef Strauß. Denkt man an den Anschlag auf Rudi Dutschke und die von der Springer-Presse erzeugte Pogrom-Stimmung gegenüber linken Studenten im Jahr 1968, so erübrigt sich ein ausführlicher Kommentar. „Es gibt keine andere letzte Quelle des Rechts als das Gewissen des Volkes selbst ... Gesetz ist nicht gleich Recht, Gesetz ist eine Ausdrucksform des Rechts. Recht ist Volkswille, der sich äußert ...“, schrieb Dr. Roland Freister, Vorsitzender des Nationalsozialistischen Volksgerichtshofs und bekannt wegen zahlloser Bluturteile. Artikel 6 der Menschenrechtskonvention, der die Bundesrepublik beigetreten ist, bestimmt: „Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht Politisch ist in der Bundesrepublik für eine Partei wie die NSDAP (NPD) gegenwärtig kein Platz. Gerade deshalb sollte man das politische Programm der CDU/CSU - eine Mischung aus McChartyisntus und Francismus - nicht nur als Wahlpropaganda in die Ecke stellen. Außerdem ist es eine politische Reaktion auf die Ereignisse der letzten Wochen, die der Bewußtseinsentwicklung eines großen Teiles der Bevölkerung entspricht. Seit dem Februar dieses Jahres ist zum ersten Mal seit 1967 eine Mehrheit derbundesrepublikanischen Bevölkerung wieder für die Todesstrafe; der Prozentsatz hat sich seit dem August 1976 von 37% auf 45% erhöht.
II.
„Wird eine von Anfang an problematische (Erstpublikation des Mesealero-Artikels) und später fälsche (unkommentierter Nachdruck) Handlung dadurch richtig, daß sich die herrschenden Gruppen dagegen zusammenrotten? Wohl kaum.“ W.-D. Narr, in: „links“, Oktober 1977 Die von allen Seiten abgegebenen Distanzierungen können gegen diese Massenerscheinungen nichts ausrichten. Sie haben vielmehr den Effekt, eine Mitschuld und Mitverursachung überhaupt erst festzustellen. Wer sich distanziert, wird auch einen Grund dafür haben. Distanzierungen sind per definitionem dann sinnvoll, wenn eine Politik die ganze Zeit mit Einschränkungen als richtig betrachtet wurde und erst von einem bestimmten Zeitpunkt an gesagt wird: hier mache ich nicht mehr mit. - Von Distanzierung zu unterscheiden sind Kritik und Beschreibung der Ursachen der Morde und der weiteren Taten der RAF-Nachfolger. Es wird absurd, wenn ein Hochschullehrer, der sich immer intensiv und gründlich mit Theorie und Praxis der RAF-Nachfolger auseinandergesetzt hat, durch seine Unterschrift bestätigt, die Hochschulen hätten zum „politischen Terrorismus zu lange geschwiegen“. Hochschullehrer, die 1967 auf dem Berliner Vietnam-Kongress beschlossen, der Vietnam-Krieg sei ein Akt politischer Notwehr, die die Aktionen der Wyhler Bevölkerung gegen den rechtswidrigen Kernkraftwerksbau (Gewaltanwendung gegen Polizisten!) gerechtfertigt haben und das weiterhin tun, lehnen Gewaltanwendung als Mittel der politischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik ab! Erst wenige von ihnen scheinen gemerkt zu haben, daß sie dadurch ihre politische Glaubwürdigkeit verlieren. Als hätte man nicht über Jahre hinaus die Politik der RAF schon abgelehnt und als politisch schädlich und linke Politik verunmöglichend schon begriffen. Da diese Auseinandersetzungen ständig geführt wurden und in der Ablehnung der RAF-Politik endeten, gibt es für uns so wenig Grund sich von ihr zu distanzieren wie von den Abhöraktionen der Bundesregierung. Es ist festzustellen, daß die FAZ und Ministerpräsident Stoltenberg mehr von der politischen Auseinandersetzung der letzten Monate verstanden haben, als eine sehr große Zahl der im Sozialistischen Büro organisierten Professoren. Diese haben sowohl in der Erklärung der 177 Hochschullehrer und wissenschaftlichen Mitarbeiter als auch in der Stellungnahme des Arbeitsausschusses des Sozialistischen Büros gesagt, sie würden Bestrebungen unter den Studenten entgegentreten, die zu klammheimlicher Freude gegenüber politischen Morden tendieren bzw. mit klammheimlicher Freude terroristische Mittel spielerisch taktisch abwägen. Zum Teil kannten diese Hochschullehrer noch nicht einmal den Inhalt des Mescalero-Artikels - zumindest ein Frankfurter Hochschullehrer. Sie stützten durch diese Distanzierungen CDU- und SPD-Politiker, die entgegen dem Inhalt des Mescalero-Artikels behaupten, er stelle eine Billigung der Buback-Ermordung dar. Dadurch erschwerten sie zugleich die Stellung der Professoren, die den ,Buback-Nachruf herausgegeben haben und isolierten Professor Brückner, der unter anderem deswegen suspendiert worden ist.
Die niedersächsischen Professoren, die die Dokumentation ,3uback - ein Nachruf 1 herausgaben, haben bald darauf ein weiteres trauriges Beispiel für die Wirksamkeit politischer Einschüchterung und für das Aufgeben rechtlich garantierter Positionen gegeben. Nach der Unterschrift unter den in dieser Nummer abgedrukkten Widerruf haben sie erklärt, sie hätten ihre Unterschrift nur abgegeben, weil sie in dem gegenwärtigen politischen Verfolgungsklima nicht mehr sicher seien, daß die Gerichte eine disziplinarische Maßregelung noch aufheben würden. Darauf wurde die ihnen für den Fall der Unterzeichnung versprochene Einstellung der disziplinarischen Vorermittlungen ,/urückgestellt“. Sie veröffentlichten deshalb eine Erklärung mit dem Kemsatz: „Wir haben die Erklärung auch deshalb unterschrieben, weil wir unsere Treuepflicht in der gewünschten Form nochmals zu dokumentieren bereit waren.“ Man kann also auch, gezwungen etwas zu tun, erklären, man handele freiwillig, da man freiwillig gezwungen worden sei, es zu tun; es handelt sich demnach um die
typisch deutsche Gedankenfreiheit, die erst im Gefängnis aufblüht und überhaupt nicht verboten werden kann. Darüber hinaus kann die Erklärung der niedersächsischen Professoren zu ihrer Unterschrift unter die Ergebenheitsadresse der niedersächsischen Landesregierung nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier ein Akt sozialistischer Solidarität unterblieben ist. Die drohende Suspendierung einer so großen Gruppe von Professoren hätte die Möglichkeit eröffnet, zu den Repressionen, wie sie seitens der Staatsmaschinerie in den letzten Monaten ausgeübt wurden, solidarisch Stellung zu nehmen, indem man sich auch weiter Teile der Öffentlichkeit hätte versichern können.
III.
„Es gilt, diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen. Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich.“ SPD am 4. August 1914 Die SPD/FDP-Regierung kann es stcn nicht erlauben, alle demokratischen und liberalen Gruppen auszuschliessen; auch wenn dies ihrer Politik im Prinzip entspricht. In der Feind-erklärung gegenüber der RAF und ihren Nachfolgern stimmt sie mit der CDU überein. Das zeigte die Verurteilung der RAF vor der Gerichtsentscheidung durch den Bundeskanzler, die Außerkraftsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze gegenüber diesen Gefangenen und vieles andere. Das spiegelte sich zuletzt in der Sprache der Regierungserklärung vom 19.10. 1977: „Wir werden den Mördern keine Chance lassen. Der Selbstmord ihrer Gesinnungsgefährten hat gezeigt, daß sie vor nichts zurückschrecken, die Auslöschung ihres eigenen Lebens als Mittel des Kampfes gegen die Gesamtheit unseres Volkes einzusetzen ... muß der Staat diese Täter zum Aufgeben zwingen.“ Es geht nicht mehr darum, generell Gesetzesverstösse zu verhindern oder konkret einzelne Rechtsbrecher am rechtswidrigen Handeln zu hindern; sie sollen sich ergeben, die Waffen strecken (militärisch und geistig) und den von ihnen verfolgten Zielen abschwören. Ähnlich wurde die Isolationshaft früher gerechtfertigt: der politische Widerstand erfordere sie. So gibt die SPD/FDP-Regierung andauernd Schritt um Schritt die rechtsstaatlichen Prinzipien auf, um deretwillen sie (auch) gewählt worden ist. Daran ändert auch nichts die „saubere, legale“ Repression und daß die unzufriedenen Abgeordneten sich öffentlich zu Wort melden dürfen. Die Regierungsparteien werden sich kaum mehr gegen eine erneuerte Diskussion um die Todesstrafe wehren können, wenn die nächsten, mit Sicherheit zu erwartenden, wahnwitzigen Anschläge ausgeführt werden. Die SPD treibt langsam auf eine Spaltung zu, da sie nicht so staatstragend und so rechtsstaatlich-demokratisch sein kann, wie es ihre politischen Prinzipien erfordern. Dennoch sind die Unterschiede zwischen SPD/FDP und CDU/CSU nicht zu übersehen.
IV.
der Selbstmörder geht an die arbeit der rest ist furchtbar einfach und morgens um 7.34 uhr finden der Selbstmörder und seine kolleben die leiche sie schlagen alarm (mai 1976) Peter Paul Zahl Es bleiben Fragen. Wer brachte die Pistolen nach Stammheim? Wer brachte wen um? Seit wann bringen sich linkshändige Selbstmörder mit der rechten Hand um? (Andreas Baader war Linkshänder.) Warum wurde in den Zellen bisher außer Verteidigerpost und Schriftstücken der Gefangenen nichts anderes gefunden? Warum konnte Irmgard Möller — wie sie sagt — um vier Uhr Schüsse durch zwei schalldichte Türen hören, die Wächter aber nicht? Warum wußte Irmgard Möller — nach ihren eigenen Angaben - nicht, daß sie befreit werden sollte? Warum kannte sie — wiederum nach ihren eigenen Angaben — den Ort Mogadiscio nicht? Warum versuchen Leute, die als die schlimmsten Feinde und Gegner der Bundesrepublik angesehen werden ( nicht, unter Einsatz von Waffen und Sprengstoff auszubrechen bzw. so viele ihrer Wärter wie möglich zu töten? Warum verschießt ein Selbstmörder erst zwei Projektile? Was ist die Marke der Pistolen mit dem Kaliber 7,65 mm? Der Bundeskanzler hat es während der Sitzung des Krisenstabes nie dazu kommen lassen, daß die Frage, ob Schleyer gegen die Gefangenen ausgetauscht werden sollte, erörtert wurde. Er scheint so den Wunsch vieler CDU/CSU-Mitglieder nach der Rettung des Lebens von Schleyer gegen die Angst ausgetauscht zu haben, als zu nachgiebig gegenüber den Entführern bezeichnet zu werden.
Der Kampf gegen die Entführer wurde für wichtiger gehalten als die Rettung des Lebens von Schleyer. Die japanische Regierung sagte in einer vergleichbaren Lage, ihr sei Menschenleben heilig.
Warum heißt es in Nachrichten, die zweite Waffe sei noch nicht identifiziert worden? Warum wurde einer Vertrauten der Angehörigen der toten Gefangenen, Hilde Pohl, genehmigt, während der Obduktion von den ärztlichen Äußerungen einen Tonbandmitschnitt zu machen, und danach in der folgenden Nacht bei einer Hausdurchsuchung eben dieses Tonband durch die Polizei beschlagnahmt? Wird sich irgendwann einmal herausstellen, daß Stammheim das bundesdeutsche San Quentin ist? (In San Quentin/Kalifomien wurde auf Befehl der ‘Sicherheitsbehörden’ ein Mitglied der Black-Panther-Organisation ermordet.) Bisher läßt sich nichts Sicheres sagen. Fragen in jeder Hinsicht.
V. „Es ist ein Zeitalter, wo die Weltgeschichte und Menschenentwicklung einen ungeheuren Wendepunkt hat, wo etwas ganz Neues werden soll, und eher mag eine Mücke ein rollendes Gebirge im Lauf aufhalten, als daß alle deutschen Polizeien zusammen diese unendliche Last von Gefühlen und Gedanken, welche den chaotischen Strom einer den meisten noch verborgenen Schöpfung fortwälzen.” (Ernst Moritz Arndt 1818) Wenn wir den Kampf gegen die Repressionen, die alltäglich gegen uns gerichtet werden, nicht aufnehmen bzw. von vornherein aufgeben, wie das in den Distanzierungen der Fall ist, akzeptieren wir die Alternative, die die RAF uns aufzwingen will: entweder für und mit den Herrschenden oder für den bewaffneten Kampf. Diese Alternative besteht für uns nicht. Es ist nach den Ereignissen des letzten halben Jahres spätestens (!) klar, daß linke Politik nur noch trotz der RAF gemacht werden kann: — im Mai wurde der Skandal um die Abhöraffäre mit dem Buback-Mord abgeschlossen ; — im August, September und Oktober wurden Aktionen, Diskussionen und Demonstrationen um Atomkraftwerke, neonazistische Strömungen, Berufsverbote und ähnliche Themen durch den Ponto-Mord und die Entführung von Schleyer und die daran anschließenden Morde belanglos (siehe insbesondere die Polizeiaktionen um Malville und Kalkar).
Die Ereignisse der letzten Wochen haben dazu geführt, daß wir jetzt um unsere bloße Existenz als Linke kämpfen müssen, statt zu versuchen, offensiv durch praktisch werdende Kritik den sich abzeichnenden totalen Staat zu verhindern.
Es ist richtig, daß die Repressionen nicht einfach Ergebnis der RAF-Politik sind, sondern daß die Gelegenheit am Schopf erfaßt wurde, den Staat zu verwirklichen, den sich ein großer Teil der Herrschenden immer schon wünschte. Daß dies aber so schnell und ohne wirksamen Widerstand geschieht, ist Ergebnis der Politik der RAF.
Die falsche Alternative, in die die RAF uns hineinschießen will, hat letzlich auch zu ihrer Zerstörung geführt. Es war uns bisher einigermaßen möglich, durch Aufklärungsarbeit, Veröffentlichung der Haftbedingungen, durch Demonstrationen usw. zu verhindern, daß die Gefangenen der RAF physisch vernichtet wurden. - Die jüngste Entwicklung macht uns hilflos selbst dem Tod (Mord? Selbstmord?) von Baader, Ensslin und Raspe gegenüber, weil wir gezwungen sind, die Bereiche unserer politischen Existenz mit aller Energie zu verteidigen, um nicht von der Reaktion auf einen Rutsch überfahren zu werden, so wie sich diejenigen haben überfahren lassen, die die Distanzierung unterschrieben haben.
Eine erfolgversprechende Möglichkeit, gegen die zunehmende Repression vorzugehen , stellt die Kampagne zur Durchführung eines Russel-Tribunals über die BRD dar. In diesem Rahmen ist eine Rekonstruktion einer außerparlamentarischen Linken denkbar, die mit der parlamentarischen Linken Zusammenarbeiten sollte. Ein Schritt dahin kann die für November geplante Demonstration gegen das Kontaktsperrengesetz sein, wenn sie sich in verständlicher Weise an Bevölkerung und Öffentlichkeit wendet.
VI. „Ich war mir seit Kriegsende darüber klar, daß der deutsche Leser eines auf keinen Fall wollte, nämlich nachdenken. Und darauf habe ich meine Zeitungen eingerichtet.” (Axel C. Springer 1959)* In eigener Sache Der Universitätspräsident hat uns folgenden Brief geschickt: Sehr geehrte Dame, sehr geehrte Herren, durch Beschluß vom 16.5.1977 hat derHessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel u.a. dem Antrag eines Studenten derMarburger Universität stattgegeben, derMarburger Studentenschaft im Wege dereinstweiligen Anordnung zu untersagen, die ”,marburger blätter“ finanziell zu fördern. Das Gericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß die Marburger Studentenschaft mit der Finanzierung der ”marburger blätter“, die ihr nach §27 Abs. 2 Nr. 5 HHG zugewiesenen Aufgaben überschreitet, weil in den von dem Gericht geprüften ”,marburger blätter“ Ausführungen zu allgemein-politischen Fragen enthalten sind und diese Ausführungen ein unzulässiges eigenes einseitiges politisches Engagement erkennen lassen. Wörtlich heißt es in dieser Entscheidung: Mit der finanziellen Unterstützung der “marburger blätter“ überschreitet die Antragsgegnerin die ihr in § 27 Abs. 2 Nr. 5 HHG zugewiesene Aufgabe der "Förderung der politischen Bildung und des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewußtseins der Studenten ”. Nach dieser Bestimmung darf die Antragsgegnerin lediglich dafür sorgen, daß die von den verschiedenen politischen Gruppierungen in Staat und Gesellschaft vertretenen Vorstellungen die Studenten auch erreichen. Hierbei ist sie aber zur äußersten Zurückhaltung verpflichtet; ein bestimmtes eigenes politisches Engagement darf sie nicht erkennen lassen (ständige Rechtssprechung des hier beschließenden Senats, vgl. z.B. den Beschluß vom 17.4.1975 -VI TM5/75 -). Gegen diese Verpflichtung verstößt die Antragsgegnerin, wenn sie die ”,marburger blätter“ finanziell unterstützt. Die von dem Antragsteller überreichten fünf Hefte der ”,marburger blätter” enthalten nämlich überwiegend Ausführungen zu allgemein-politischen, nicht hochschulbezogenen Themen (z.B.: “Stamokap im Lohnkampf', ”Der Nahostkrieg“, ”,Solidarität mit Chile“,”Christen und Revolution“, ”,Solidaritäts-Konferenz in Turin“, ”Bebel-Kongreß ", "DKP-Parteitag“, ”,Ölkriese“, ”Faschismus in Griechenland“, ”,Solschenyzin und die historische Realität“, ’Sozialkampf 74“, ’’Grundgesetz als Provisorium “ und ”Gegen Kolonialismus und Imperialismus"). Diese Ausführungen lassen zudem einen eindeutig fixierten politischen Standort erkennen, der mit einer politischen Zurückhaltung im oben besprochenen Sinne nichts mehr zu tun hat. Indem die Antragsgegnerin die Herausgabe der "marburger blätter “ finanziell fördert, betreibt sie also nicht mehr bloß eine (zulässige) politische Information der Studenten, sie beeinflußt vielmehr (in unzulässiger Weise) den politischen Meinungsbildungsprozeß. ” Eine Durchsicht der Diskus-Hefte Nr. 5,6,1 und 2)3 zeigt, daß durch die Herausgabe dieser Diskus-Hefte gegen die Grundsätze verstoßen wurde, die nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Kassel unbedingt zu beachten sind, wenn die Finanzierung einer Studentenzeitung aus Mitteln der Studentenschaft zulässig sein soll. Trotzdem sehe ich vorläufig von einem rechtsaufsichtlichen Verbot, den Diskus zu finanzieren, ab, erwarte aber, daß die Herausgeber künftig bei der Gestaltung des Diskus § 27 HHG und die diese Vorschrift interpretierende gerichtliche Entscheidung vom 16.5.1977 beachten. Andernfalls müßte ich als Rechtsaufsichtsbehörde der Studentenschaft - sofern den Diskus-Herausgebern trotzdem weitere finanzielle Mittel aus Studentenschaftsbeiträgen zur Verfügung gestellt werden sollten - die Finanzierung des Diskus durch rechtsaufsichtliche Verfügung ausdrücklich untersagen.
Mit freundlichen Grüßen Krupp Wir werden uns keiner Zensur unterwerfen. Wir haben uns zwar bemüht, Beiträge zu erhalten, die in den vertretenen politischen Ansichten rechts vom Universitätspräsidenten anzusiedeln sind. Wir haben keine erhalten. Das liegt nicht daran, daß solche Beiträge nicht aus der Studentenschaft heraus (auf Vollversammlungen z. B.) vertreten werden; es gibt sie also. Leider ist jedoch die Mitarbeit von Kommilitoninnen und Kommilitonen am DISKUS gleich null.** Wir beabsichtigten, für diese Nummer ein Interview mit Johannes Gross, dem Herausgeber der Zeitschrift ‘Kapital’ und zeitweiligem Kommentator in der FAZ durchzufiihren. Das Vorhaben scheiterte leider an seiner Arbeitsbelastung. Wir wollen es jedoch weiterhin verwirklichen. Für den Fall, daß die Geldersperrung gegen uns verhängt wird, werden wir den DISKUS erstmal weiter auf privater Ebene erscheinen lassen und ihn verkaufen. Er wird dann auch in Frankfurt, wo er bisher ja als Studentenzeitung verteilt wurde, verkauft werden. Für die nächste Nummer haben wir an die Behandlung folgender Themen gedacht: Soziale Lage der Studenten, Faschismus, Technologie, Rechtsstaat.
Über Beiträge würden wir uns freuen. Redaktionssitzung ist jeweils Dienstag abends um 20 Uhr im Raum 106 im Studentenhaus
Die Redaktion
(*) Zitat nach „Springer enteignen!” Westberlin 1967 (Hrsg. Republikanischer Club)
(**) Eigentlich wäre das für den Universitätspräsidenten ein Grund zur Freude, da es zeigt, wie effektiv schon das Studium organisiert ist (wenn nicht effektiv, so doch arbeitsintensiv), da die Studentinnen und Studenten nicht mehr zu Arbeit außerhalb des Studiums bereit zu sein scheinen abgesehen von der großen Zahl, die nebenbei jobben muß.