Die aggressive Stimmung auf dem Teach-in am Freitag zum 17. Juni hat es denRednern sehr schwer gemacht, ihre Bei-träge zu halten.

Peter Brückner mußte deshalb abbrechen.Ebenso wurde Daniel Cohn-Bendit kaumverstanden. Deshalb haben wir uns nocheinmal mit ihm getroffen; im Folgendendrucken wir Auszüge aus dem Gespräch,das wir mit ihm führten.

Der zweite Teil des Gesprächs, der aucheine genauere Begründung seiner Argu-mentation zum Problem der Menschen-rechte enthält, wird in der nächstenDiskus-Ausgabe erscheinen.

B. . 'Der liebenswerte und unpolitische Anarcho-Liberalismus 4 — das ist meiner Meinung nach die hauptsächliche Kritik an deinem Beitrag gewesen: Man kann es vergessen, es hat keine politische und gesellschaftliche Wirksamkeit. — Es ist nichts weiter, als eben Anarcho-Liberalismus. Wenn wir daran nochmal deine These diskutieren können, dann wäre das genauer zu fassen W.: Ich wäre mal daran interessiert, wenn wir noch einmal das Problem des Abends rekonstruieren könnten; und das war doch die Frage: Wie ist jetzt, aktuell, zum 17. Juni, linker Antifaschismus möglich. Und damit auch: was sind unsere Inhalte. Da gab es ja vorher schon einige kritische Positionen, von M. Beiz im letzten Pflasterstrand und dieses Papier 'Provokative Gedanken ... 4 , wobei beide von dem Problem ausgehen, daß die Linke in ihrem bisherigen Antifaschismus sehr dazu neigt, Formen von Herrschaft zu reproduzieren: objektiv: als Appell an den Staat — und subjektiv: daß man mit dem Knüppel in der Hand seinem Gegner sehr ähnlich wird C. -B.: Ich habe mich erstmal an der Position gestoßen, die ein Verbot für die NPD fordert. Dabei kommt mir die Frage: Mit welcher Legitimation fordert man vom Staat das Verbot? Denn wenn du schon staatliches Verbot forderst, mußt du dich ja auch die Ebene dessen einstellen, was sie sagen. Du kannst nicht sagen 'Weil sie sich rechts nennen, sind sie in der Logik der Geschichte . . . so kannst du nicht argumentieren. Rein auf dieser staatlichen Ebene müßtest du ihr Programm auseinandernehmen! Das hat der ID ja letztes Jahr veröffentlicht, — da merkst du gar nicht, daß es NPD ist, und auch nicht den Rassismus, außer an einem Begriff: 'Volksgemeinschaft 4 .

Und da kommst du darauf, daß du eigentlich kein Verbot der NPD forderst, sondern du forderst ein Verbot des Nationalsozialismus! Du bekämpfst in der NPD eigentlich die Geschichte, und nicht die NPD. Auch emotional reagieren die Leute weniger auf die NPD, sondern auf die NSDAP! Wir alle — denn wer hat von uns schon mal etwas mit der NPD zu tun gehabt.

Das heißt, daß hier schon mal eine irrsinnige Verschiebung zwischen Emotion und Realität stattfindet.

Dann: in der Argumentation 'Wehret den Anfängen 1 wird etwas vorgegaukelt, was nicht stimmt. Nämlich, daß die nicht schon damals von Anfang an militant dagegen vorgegangen sind.

Es wird so getan: jetzt kommen wir, und wir machen es anders als unsere Eltern. Du kannst der KPD, der SPD, den linken Gruppen damals vieles vorwerfen, nicht aber, daß sie nicht versucht haben, sich gegen aufkommenden Faschismus zu wehren, auch in militanter Form: Gegendemonstrationen, Verbotsforderung, ich weiß nicht was sie alles gemacht haben; das ist das zweite.

Das dritte: mit dem staatlichen Verbot ist die Anerkennung der staatlichen Legitimität gegeben, über Organisationen zu urteilen. Im Grunde genommen kann der Staat die NPD nur verbieten mit den gleichen Argumenten, mit denen sie auch uns verbieten. Haargenau damit verbieten sie auch die NPD-Demonstration: wegen Gewalttätigkeit usw.

Das ist zunächst die einfachste Ebene der Argumentation, wie wir sie sehr oft auch im Pflasterstrand vertreten haben: “ . . . Wir sind gegen Verbote der NPD, wir sind gegen den Ruf nach der Polizei, auch wenn wir Streitigkeiten haben bei uns. Gut — wenn einer nicht mehr kann — ist es legitim, auch die Polizei zu rufen, um sich physisch zu schützen, aber das darf keine Konsequenzen haben, seien es juristische, sei es sonst irgendwas — man erkennt den Staat als Vermittler nicht an.

Dann war immer die Argumentation, man darf Forderungen nach Verbot der NPD nicht aufstellen, aber man muß sie praktisch verbieten: das heißt, wir müssen die NPD auf der Straße, oder wenn sie sich versammelt verbieten. Das heißt im Grunde genommen: so Leute wie die NPD dürfen nicht auftreten, die dürften nicht reden, nicht demonstrieren, die dürften eigentlich überhaupt nicht existieren. Und wenn sie eben existieren, dann müssen sie im Keim erstickt werden! Das ist die Augangsthese. Das heißt dann in den Flugblättern: Kein Fußbreit . . . Nazis raus. . .

B. : Ja, aber das haben wir schon vor Jahren gesagt, daß wir es nicht ertragen wollten, daß sie sich schmücken mit alten NS-Uniformen. Da gibt es eine Empfindlichkeit, auf der wir auch bestehen.

C. -B.: Sicher, bei allem was ich sage will ich ja nicht sagen, daß ich diese Emotion, diese Empfindlichkeit nicht habe, emotional kann ich all das verstehen, die Frage ist nur, wie man mit diesen Emotionen umgeht.

Um es vorwegzunehmen, ich habe die gleiche emotionale Reaktion Faschisten gegenüber wie den Stalinisten; ich mach’ da keinen Unterschied.

Faschismus ist eine perfekte Form von Terror, Menschenverachtung usw., das ist für micht Stalinismus auch!

Wenn man sagt 'Nazis raus 1 müßte man auch sagen 'Stalinisten raus 4 !

Ich sage nicht, daß das identisch ist, ich will sagen: das sind zwei Formen von Terror, die unterträglich sind, die einfach emotional unerträglich sind. Ich wäre nie auf die Idee gekommen zu sagen: verbietet den KBW , obwohl er für mich - nicht was er heute sagt — der KBW ist eigentlich eine lächerliche Figur, wie die NPD auch für mich — aber er bezieht sich historisch auf Greuel, die er historisch legitimiert ’weil sie notwendig waren 1 . Und daraut reagiere ich ja auch emotional! — und trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, Gegendemonstrationen zu organisieren. Und das ist vielleicht der Punkt, worauf ich am Freitag hinauswollte, wenn ich sage, diese Parole 'keine Freiheit für die Feinde der Freiheit* ist zu kompliziert, in dem Sinne, daß sie nicht durchzuhalten, nicht definierbar ist. Denn: wer sind die Feinde der Freiheit? Indem sie sich immer ad adsurdum führt, ist sie falsch. Sie enthält einen Widerspruch wie in der ML-Theorie der berühmte Spruch vom 'Demokratischen Zentralismus*: Entweder demokratisch, oder zentralistisch — aber in sich ist das ein Widerspruch, und genauso ist es mit der Freiheit. ..

Entweder es gibt sie, oder es gibt sie nicht, die Freiheit! Und da stehen wir vor der Forderung, die da als anarcho-liberal denunziert wurde: Freie Meinungsäußerung für alle, inklusive alle Deppen, Rassisten . . . und um die Argumentation wieder aufzunehmen, die die Linke immer hat, beispielsweise zum § 88a: Da sagen wir ja auch nicht, wir sollen erlaubt sein, aber die NPD-Schrift verbietet! Das ist die Ambivalenz: dann müßten wir sagen: gegen den § 88a sind wir, weil er

falsch formuliert ist, wenn er richtig formuliert wäre, daß er sich nur noch auf die und die faschistische Schrift bezieht, dann wären wir dafür.

Was ich meine: auf der Ebene des Wortes könnte man sich ja wehren — man könnte ja was dagegen schreiben. Das Problem ist erst: Warum erhält dieses Wort ein solches Gewicht, warum glauben das so viele Leute. Das ist eigentlich das, was uns mobilisiert — nicht das Wort der Faschisten, sondern daß dieses Wort von anderen aufgegriffen wird, daß es andere fasziniert . . W.: Ihre Macht, ihre potentielle soziale Macht!

C.—B.: Von der muß man aber sagen, daß ein Verbot diese potentielle soziale Macht nicht hindert.

W.: Sie vermutlich bloß noch attraktiver macht.

C.-B.: Genau; ein Verbot trifft also nicht das, was uns Angst macht; diese potentielle soziale Macht verhindert kein Verbot. Also ist da ein Kurzschluß in einer solchen Forderung. Und schließlich: wenn man die Geschichte der Arbeiterbewegung nimmt, so ist dieser Satz 'Keine Freiheit für die Feinde . . . ‘ permanent gedreht worden — er wurde ja nicht bloß gegen die Faschisten angewandt, sondern auch gegen Anarchisten, Trotzkisten . . . wie jeweils die Machtkonstellation war. In Frankreich z.B. prägte die KP den Begriff des Hitlertrotzkisten.

Gut; und daher habe ich am Freitag Abend die Forderung aufgestellt nach freier Meinungsäußemng für die NPD und freies Demonstrationsrecht. Weil ich der Meinung bin, auf der Ebene der Worte, der Propaganda, der Agitation muß man mit Worten antworten.

Auf der Ebene der Symbolik — und ich glaube, das ist das entscheidende — stimmt es, daß die NPD anziehend ist — der Männlichkeitswahn, die Attraktion, eine verfolgte Minderheit zu sein,und provokativ zu sein, das ist es, was Jugendliche an der NPD wahrscheinlich anzieht.

B. : Es ist noch mehr: indem die wissen, daß das eine emotional sehr besetzte Sache ist, der Nationalsozialismus, provozieren sie permanent damit. Um damit überhaupt eine Intensität zu erreichen, eine emotionale Intensität, provozieren sie damit, weil sie wissen, dann kommen Reaktionen. Sie thematisieren das gesellschaftliche Tabu.

C. -B.: Darauf muß man dann auf der Ebene der Symbolik antworten . . .

Ich will ein Beispiel geben, das uns am Freitag bei der Diskussion eingefallen ist: 50000 Leute, angenommen, sie überrennen die Bullen und überfallen 3 000 NPDler. Was macht man mit denen? Schmeißt man sie in den Main? Tötest du sie? — und da sagt jeder: ’Um Gottes Willen, hoffentlich sind die Bullen dazwischen! 1 Da ist doch was faul!

Deswegen sag ich: das einzige was du machen kannst, ist hingehen, die Leute beschämen und lächerlich machen, aber sie nicht antasten. Denn die haben dich nicht angegriffen — die haben geredet, also mußt du dagegen reden, die haben Symbole, also mußt du Symbole dagegen haben.

Etwas anderes ist, wenn wir eine Veranstaltung machen und die Faschisten greifen mit Gewalt an, dann muß man sich auch mit Gewalt wehren — auf dieser Ebene ist das gar nicht eine Frage der Gewalt, damit habe ich überhaupt kein Problem — ich glaube nur, daß in der bisherigen Diskussion die Dimension verlorengegangen ist, was zu machen ist.

B. : Das finde ich alles richtig, ich meine nur, man müßte Grundlagen von Humanität, diese Inhalte, um die es uns dann letztlich geht, noch stärker in die Diskussion einbringen.

C. -B.: Gut. Es gibt da drei Ebenen, wo diese Diskussion am klarsten wird: einmal der Rassismus, offen gegen Ausländer, zweitens gegen Frauen, drittens die Propagierung der totalen Herrschaft über Menschen — da sag ich — weiß ich nicht — ich würde nur sagen: dieses inhumane Verhalten wird ja ganz selten von Gruppen propagiert, sondern es existiert — es existiert und ist gesellschaftlich strukturell angelegt. Die Faschisten funktionieren hier gewissermaßen als negative marxistisch-leninistische Avantgarde. Sie interpretieren eine existierende latende Strömung,und wollen ausgehend von die-

ser Interpretation die Macht ergreifen, indem sie den Leuten sagen: das ist es ja eigentlich, was ihr wollt, und wir repräsentieren politisch ein Grundbediirfnis von euch.

Wenn du das auf der Ebene von Verboten bekämpfst, greifst du nicht das Problem an.

Das ist nicht nur Symbolik, sondern Inhalte. Inhalte die so gesprochen, gedacht und auch gelebt werden.

Dieses Gesellschaftssystem produziert kaputte Individuen, wie auch immer, von uns bis zu den Rechten, und ein Zeichen dieser Kaputtheit ist doch dieser Mangel an Identität. Wie das beantwortet wird, ist doch total unterschiedlich und eine Politik mußte dem doch Rechnung tragen.

Da kommen wir vielleicht zu 'Rock gegen Rechts 1 . Der Versuch, eine Identität über Rock . . . das kann ja ganz positiv sein. Dann kommt es aber gleichzeitg darauf an, bei diesem Versuch Identität aufzubauen, daß man auch bricht mit Strukturen, die unsere Identität bilden. Du bist ja nicht ohne Identität, du hast.ein Bedürfnis nach einer allgemeineren, nach einer vollständigen Identität und gleichzeitig wird tagtäglich deine Identität gemacht. Und das bedeutet: autoritär, patriarchalisch, hierarchisch usw. Gleichzeitig muß man also ein Bedürfnis aufgreifen, gleichzeitig eine bestehende Identität bekämpfen, verändern, in kollektiven Aktionen formen usw.

Das alles soll nicht bloß moralisch pastoral klingen; man muß in all dieser Schwierigkeit noch die Möglichkeit finden zu lachen, zu leben usw. und ich glaube, daß das auch ein Mittel sein kann, um faschistische Tendenzen aufzulösen; nämlich aufzugreifen das Bedürfnis nach Leben in Form von Lachen usw. anzuerkennen, weil ich glaube, das existiert bei denen genau so. Das ist etwas, was eine faschistische Organisation nur in einer beschränkten Form befriedigen kann.

Die Humanität, die man lebt, ist ja die einzige Chance, daß es individuelle Veränderungen gibt. Man weiß zwar, daß die Leute heute irrsinnig autoritär strukturiert sind, das ist aber nicht der Endpunkt ihrer Existenz, es müßte ja auch eine Strategie geben, daß die Leute sich verändern. Ich glaube, daß da auch Schalen zu knacken sind . .. Provokationen notwendig sind.

B.: Das heißt aber auch, daß das Leben, wenn es immer heißt, wir betonen die Lebendigkeit und überhaupt Leben, daß wir dann auch schon noch die ganz konkreten Situationen, in denen die Leute stecken, meinetwegen ihre Arbeit oder ihre Arbeitslosigkeit, daß das immer wieder konkret benannt werden muß, damit es nicht zu allgemein wird.

W.: Ja, das ist jetzt die Frage — so ein Faschist würde antworten: Ist ja ganz schön, was ihr macht, auch Rock ist nicht schlecht, aber wir haben ja noch mehr vor, wir wollen ja Politik machen. Wir wollen etwas gegen diesen Staat machen, eine Volksgemeinschaft heisteilen, und das ist ein politisches Programm., das zu erreichen auch Triebverzicht nötig macht. C.-B.: Dashaben sie gemeinsam mit allen, die Avantgardeanspruch haben. Hier kommen wir in die Diskussion über den Nationalsozialismus und seine Sozialrevolutionären Hintergründe.

Das Bedürfnis nach Volksgemeinschaft ist ja ambivalent: einerseits vielleicht das Bedürfnis nach einer egalitären Gesellschaft, andererseits durch eine hierarchische Struktur. Und es gilt diese Ambivalenz politisch aufzuzeigen, zu demonstrieren, daß es ein ’entweder-oder‘ gibt: Es gibt entweder Egalität oder Hierarchie — aber eine Durchsetzung der Egalität durch die Hierarchie — das haut nicht hin.