Das US-Trivialepos “Holocaust” hat dem Buchmarkt eine nahezu unübersehbare Schwemme von Dritter-Reich-Literatur beschert: dies vor allem in Form von Schnellschüssen zum TV-Film “Holocaust”, als Neuauflagen älterer Titel, sowie einer Vielzahl subjektiver KZ-Erlebnisberichte wie “Anus mundi” von W.Kilar, “so überlebten sie den Holocaust” “erinnern und nicht vergessen ...” usw.

Die Nation war betroffen, das schlechte Gewissen geweckt, als optimale Voraussetzung, die Erinnerung an das “nackte Grauen dieses gigantischen Massenmords” profitabel wachzurütteln. Von daher die enorme Initiativkraft vieler Verlage, dieses historische Defizit an Verarbeitung der nazistischen Greueltaten mit enormem Werbeaufwand der Nation ins Gehirn zu bläuen, um die längst fällige “Trauerarbeit” nun endlich zu leisten. Es soll hier nicht die Rede sein vom morbiden Charakter einer Nation, die erst durch ein Medienspektakel in bester Western-Manier über die nationalsozialistische Barbarei betroffen ist. Wir möchten nur auf einen bemerkenswerten Aspekt hinweisen, der für die ganze Holocaust-Diskussion typisch ist: weder findet hier eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, seinen Ursachen, seinem Programm der Zerstörung im Weltmaßstab statt, noch verweist sie in irgendeinem Nebensatz auf den gewaltigen Ballast, das nationalsozialistische Erbe, das heute noch die politische Atmosphäre der BRD mitbestimmt. Parallelen gesellschaftlicher Entwicklungen bzw. Tendenzen sind damit wohlweislich ausgeklammert.

Die Vielzahl der erwähnten Publikationen versucht den nazistischen Antisemitismus, die Vernichtung der Juden im KZ als subjektive Erfahrungsberichte zu beschreiben. Es geht hier überhaupt nicht darum, die Bedeutung solcher Berichte in Frage zu stellen, nur, wie diese Wahrheit isoliert und verarbeitet wird, ist das Problem: hier wird der Nazismus zur gräßlichen Panne im Räderwerk der Geschichte, die Ausrottung der Juden zum teuflischen Machwerk des Bösen. So gesehen kann dieser historischen Realität natürlich nur mit schlechtem Gewissen und “Trauerarbeit” begegnet werden. Andererseits hat diese Literaturschwemme sicher auch ein bißchen die Funktion, indem sie die Einmaligkeit des nazistischen Massenmords betont, die miese Normalität heute zu verdrängen, als daß sie neue Erkenntnisse und Lehren aus der Geschichte zieht. Denn solange Massenmord und KZ weiterexistieren, solange AltNazis diesen Staat “führen”, solange Neonazis sich umtreiben, ist eine solche Diskussion unausweichlich; nicht nur als Diskussion über den Faschismus als historisches Unglück der 30er Jahre und dessen Wiederbelebung durch die Neonazis, sondern auch in seinen schleichenden (formellen) Tendenzen im Gewände des allumfassenden Konsumismus. So besehen ist und bleibt Holocaust und die Folgen in der bisherigen Form Medienspektakel, das in grenzenlosem Zynismus das gewaltigste Zerstörungswerk des 20. Jahrhunderts auf dem Tablett spannungsreicher Unterhaltung serviert Wir möchten in diesem Zusammenhang auf zwei Beiträge hinweisen, die Holocaust aus einem anderen Blickwinkel zu fassen versuchen. Einmal

Treblinka - von Jean Francois Steiner (mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir), Löwit-Verlag,DM 15,80

Treblinka ist die Geschichte der Revolte eines Vernichtungslager in der Nähe von Warschau. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung, die in vielen KZ-Erfahrungsberichten zum Ausdruck kommt, die Juden als erbarmungswürdige Opfer darzustellen, die sich willenlos zum Schafott führen lassen, beschreibt Steiner die Geschichte der Widerstandsversuche und -Formen von seiten der Juden gegen den Nazi-Terror. Der erste Teil des Buches behandelt die Geschichte des Warschauer Ghettos.

Nachdem die Nazis festgestellt hatten, daß sie nicht alle Juden aus ihrem Herrschaftsbereich vertreiben konnten, beschlossen sie, diese zu vernichten. Diese Ausrottung sollte in zwei Phasen erfolgen: Der Zusammenfassung der Juden in Ghettos und deren anschließende Zerstörung.

Und hier beginnt die Geschichte des Warschauer Ghettos. Aufgrund des historisch gewachsenen Antisemitismus in Polen und des militärischen Belagerungszustandes Warschaus ab 1939, verlief die Überführung der Juden ins Ghetto nahezu reibungslos, ohne nennenswerten Widerstand. Mit “wissenschaftlicher Leidenschaft” wurde dann die Liquidation der Juden schrittweise in Szene gesetzt. Von entscheidender Bedeutung war dabei jenes Klima der Panik, das die Nazis hier inszenierten, und die Juden zur weitgehend manövrierbaren Masse in ihren HÄnden machte. Nicht nur, daß Warschau besetzte Stadt war, machte diese Panik aus, vielmehr waren es die ständigen Progrome, Razzien und exemplarischen Exekutionen, die diese Stimmung hervorriefen. Zudem wurde damals schon ein beträchtlicher Teil der Juden vom Ghetto abgeführt und in dem benachbarten Wald exekutiert. Eine Tatsache, die jeder im Ghetto wußte, niemand aber wahrhaben wollte. Später wurde ein Teil der Juden als Arbeitskräfte rekrutiert, was sich als sehr wirksames Instrument der Spaltung erwies: denn, wer einen Arbeitsplatz zugewiesen bekam, hatte eine Funktion, durfte hoffen zu überleben. Der entscheidende Durchbruch, das Ghetto in den Griff zu bekommen, gelang den Nazis mit der Schaffung des Judenrates. Der Judenrat sorgte für Ruhe und Ordnung im Ghetto, zeigte renitente Personen an und sorgte für deren Auslieferung. Kurz, es war eine Judenpolizei geschaffen worden. Diese funktionierte sogar so gut, daß sie den Anführer der Widerstandsbewegung im Ghetto auf Druck der Mehrheit der Ghettobewohner auslieferte. So der alltägliche Kleinkrieg ums Überleben, die Hetzjagd gegen den Tod, wo jeder versucht sich anzupassen, auf seine Chance bedacht, dem Todesurteil zu entrinnen.

Es gab eine Widerstandsbewegung im Ghetto, die versuchte, sich Waffen zu beschaffen und den Aufstand im Ghetto zu organisieren. Sie scheiterte genau an jener blinden Panikstimmung und verzweifelten Zersplitterung der Juden, die die Nazibesetzer so perfekt inszeniert hatten.

Erst als dies tödliche Spiel durchschaut wurde und das Bewußtsein, daß über das ganze Ghetto das Todesurteil gefällt war, als diese Gewißheit der absoluten Hoffnungslosigkeit zu überleben sich durchsetzte, entflammte der Aufstand. Im verzweifelten Versuch, in der Geschichte ein Zeichen des Widerstandes zu setzen ohne den leisesten Hoffnungsfunken auf Erfolg. - Und so erstickte die Revolte blutig im Bombenhagel der totalen Zerstörung des Ghettos, der Stadt-Warschau: tabula rasa.

J.F.Steiner beschreibt im zweiten Teil seines Buches die Geschichte des Vernichtungslagers Treblinka, das in der Nähe von Warschau von den Nazis angelegt wurde. Einerseits ist Treblinka die beispielhafte Geschichte, wie die Nazis mit leidenschaftlicher, handwerklicher Akribie ihr System der Ausrottung von Millionen von Juden nahezu bis zur Perfektion aufgebaut und entwickelt haben, andererseits ein großartiges Symbol der Revolte eines Volkes in der Vorhölle des Todes.

Hier herrschte derselbe Geist “effizienten” Mordens wie in Warschau und es war von Anfang an Ziel der “Techniker des Todes” das Lager so aufzubauen, daß es von selbst funktionierte, d.h. Treblinka war eine gigantische Vemichtungsfabrik, die im Laufe der Zeit immel rationeller “arbeitete”. Geleitet und bewacht von der SS und ukrainischen Gefangenen, gab es unter den deportierten Juden eine Hierarchie: die privilegierten “Hofjuden”, mit Funktionen der Leitung und Überwachung; die “Arbeiteijuden” und die Parias, die mit der eigentlichen Tötung beauftragt waren. Mittels dieser Spaltung brachten die Nazis es fertig, die Illusion auf Rettung und Überleben zu nähren und so die Opfer an ihrer eigenen Vernichtung zu beteiligen. Diese Illusion konnte bis zum Ende des Lagers aufrechterhalten werden, im Spannungsfeld von Vernichtung und Überleben ist Treblinka auch Experiment. Experiment, jeglichen Ansatz von Widerstand mit einem abgestuften System von Gewaltanwendung gegen “Abweichler” einerseits, mittels Privilegierung eines Teils der Juden andererseits zu ersticken.

Auch hier wurde ein Lagerältester gewählt, als Interessenvertreter der Juden, später wurden sogar Frauen ins Lager gebracht und ein Teil der Juden durfte heiraten. Das systematische Morden schien reibungslos zu funktionieren, da die deportierten Juden zunächst völlig gelähmt ihrem unentrinnbaren Schicksal gegenüberstanden teilweise im Bewußtsein einer “höheren, unausweichlichen Bestimmung”. Anfangs gab es Fluchtversuche, die jedoch in den seltensten Fällen glückten. Lind massenhaft - als erste Widerstandsform - gab es Selbstmorde, bis mit der Wahl des Lagerältesten eine Art Widerstandskomitee zustandekam.

Hier, zeichnet sich eine entscheidende Wende ab — im Bewußtsein der Juden. Mit der Erkenntnis, daß sämtliche Lagerinsassen getötet werden sollten, wuchs der Mut der Verzweifelten, einen Versuch von Widerstand zu wagen.

Die Geschichte dieses “Widerstandskomitees“ ist in der Folge eine mörderische Gratwanderung zwischen dem unermüdlichen Versuch, den Aufruhr im Lager zu organisieren und dem ständigen Rückfall in Verzweiflung und Resignation angesichts des alltäglichen Scheitems solcher Versuche. Und erst kurz vor der Liquidation gelingt es, die Illusion bei den “Lageijuden” gänzlich zu zerstören, was eine geradezu explosive Revolte auslöst. Treblinka wird gestürmt, viele fallen im Kampf oder werden auf der Flucht umgebracht - 40 überleben . . .