Kunst ist nicht unverbindlich
Unwichtig ist in diesem Zusammenhang der Mensch Harlan, unwichtig sein Film „Unsterbliche Geliebte“; wichtig allein ist jener Harlan, der wieder an die Oeffentlichkeit getreten ist, der dadurch notwendig verflochten ist mit dir und mit mir.
Wohl dem, dessen Katzen alle grau sind — und das nicht nur bei Nacht! Wohin gerieten wir, wenn erst zwei Werte ein Kunstwerk gelten lassen: Nur der Bösartige fragt nicht bloß nach dem inneren Wert des Kunstwerks: dem Aesthetischen — er fragt auch nach dem äußeren Wert: dem Politischen — im weitesten Sinne als allgemeinverbindlichem Verhalten...
Darum ist es unbillig, aber erprobt, mit politischen Tomaten auf ästhetische Köpfe zu werfen — und umgekehrt.
Veit Harlan ist wieder da — der erhoben wurde, als er das Gesicht seines Bruders zertrat: am Anfang hing „Jud Süß“ — am Ende rauchten die Gaskammern. Und in die Herzen der Jugend säte er das Grauen. Wieviele Greueltaten daraus erstanden — wer kann es ermessen? Ermessen jedoch kann man die heiße Gier, die kühle Berechnung, mit der die Kunst dem Regime unterworfen wurde Niemand sollte Harlan entschuldigen, er habe die Ungeheuerlichkeit seiner Tat nicht erkennen können: war er auch nicht der erste dafür Auserlesene, so doch der erste, der hier den Zeichen seiner Zeit folgte — und sich der Unmenschlichkeit verdingte Das Lied vom Unpolitischen war seit je ein Rattenfängerlied in Deutschland. Ein Bekannter sagte mir: „Ich sehe nur den künstlerischen und nicht den politischen Menschen.“ Dann allerdings wäre das Individuum — das „Unteilbare“ — endlich tot; dann dürften wir auch weiter teilen: hunderterlei Aufrichtigkeiten — doch keine eine Aufrichtigkeit, hunderterlei Geister — doch kein Geist. An die Stelle des Künstlers tritt der Kunstschaffende Das Anliegen der Kunst ist nunmehr offensichtlich nur noch die Darstellung ihrer Vergegenständlichung, ihrer Unverbindlichkeit Jeder möchte sein Schäfchen im Trocknen scheren; sehen wir zu, daß wir nicht eines Tages im Regen stehen, dieweil ein anderer sich in unserm Hause breitmacht was dann wohl nicht das erste Mal wäre, weil uns Politik ja einen feuchten Dreck interessiert.
Welche Demokratie könnte vollendeter sein als die unsrige: die nicht nur die Ihren mühselig, sondern auch die Freunde ihrer Feinde und die Feinde ihrer Freunde reichlich ernährt. Es gibt eine Art von Toleranz, die an Selbstmord grenzt.
stud. phil. Rolf Linnenkamp