Konsequenzen des Christ-Seins
Glaubt man im Ernst, daß der Osten in dem Wettlauf um die stärkste und schlagkräftigste Armee aufgibt, weil man im Westen beginnt, neue Divisionen aufzustellen und Kasernen an Stelle von Schulen zu bauen? Wenn dies alles eine Wirkung auf den Russen hat, so höchstens eine anspornende. Sollte es nicht noch andere, sinnvollere Formen der Verteidigung der Freiheit geben?
Ein oft nicht bedachter Punkt läßt mir das Auffinden neuer Formen besonders dringend erscheinen. Eine militärische Verteidigung kann doch nur dann einen Sinn haben, wenn wir von vornherein bereit sind, ebenso wirksame, d. h. aber ebenso grausame, menschenunwürdige und Menschen-verrohende Waffen und Methoden anzuwenden, wie es unsere Gegner tun werden. Haben wir diese Konsequenzen unserer Verteidigungsbereitschaft wirklich genügend durchdacht? Der Grad der Grausamkeit in der russischen Kriegführung wäre für die unsrige bestimmend. Der Russe brächte es fertig, daß der Gebrauch bakteriologischer Waffen ebenso für uns zur ethischen Pflicht erhoben würde, wie das mit der rücksichtslosen Bombardierung bewohnter Städte oder mit dem Gebrauch der Atombombe der Fall war. Regt sich hier denn gar nicht unser christliches (oder auch unchristliches) Gewissen? Es ist bemerkenswert, wie man es immer wieder, oft gerade von kirchlicher Seite her, versucht, den Verteidigungskrieg auch heute noch zu rechtfertigen. Aus „Liebe zum Bruder“ dürfen wir anderen Brüdern ruhig den Schädel einschlagen; aus Liebe zum Bruder dürfen wir selbst Atombomben gebrauchen. — Nur seltsam, daß Petrus aus Liebe zu Christus nicht einmal das Schwert ergreifen durfte! „Wer das Schwert gebraucht, soll durch das Schwert umkommen“. Die Erfahrung zweier grausiger Weltkriege und das Miterleben des unbeschreiblichen Elends des nun schon mehrfach „befreiten“ koreanischen Volkes sollten uns den Sinn dieser Worte Christi endlich klar werden lassen.
Wie soll man aber der nun einmal bestehenden Kriegsgefahr entgegentreten, wenn nicht durch Aufrüstung? Vielleicht kann uns hier das Neue Testament — nicht etwa einzelne Worte, sondern der Geist, von dem das Ganze getragen ist — eine Antwort geben. Ich meine den Geist, der uns etwas sagt von der Ueberwindung des Bösen durch das Gute, von der Ueberwindung des Hasses durch die Liebe, der von dem „Schild des Glaubens“, von dem „Panzer der Gerechtigkeit“ und von dem „Schwert des Geistes“ spricht; — und der uns so eindringlich zu verstehen gibt, daß es besser ist, ein Unrecht zu erleiden, als eines zu begehen. Nicht das Wagnis des Krieges, auch nicht das des Verteidigungskrieges, sondern das Wagnis der Liebe, das Wagnis der Güte und des Vertrauens scheint mir Christus von uns zu fordern. Auch bei diesem Wagnis setzen wir alles aufs Spiel. Ist es aber nicht sinnvoller und dem christlich-abendländischen Geiste angemessener, für einen Glauben, aus dem heraus wir leben, im Geiste dieses Glaubens und in dem Bewußtsein der ihm innewohnenden Macht sein Leben einzusetzen, als es für das Phantom der „Sicherheit durch Aufrüstung“ leichtfertig dranzugeben? — (Man sollte diese Fragen nach den Konsequenzen des Christ-Seins nicht als ein unpolitisches Gedankenexperiment abtun, besonders nicht in einem Land, in dem sich die stärkste Partei „christlich“ nennt.) Sind wir zu diesem Wagnis der Liebe bereit, so bedeutet das für jeden einzelnen von uns nicht nur ein klares „Nein“ zu Rüstungs- und Kriegsdienst, sondern auch ein ebenso klares „Ja“ zu den sozialen und menschlichen Aufgaben, die uns hier im Westen gestellt sind, und deren Erfüllung allein eine Ueberwindung der kommunistischen Ideen ermöglicht. Vor allem aber müssen wir wieder lernen, — was jeder Pädagoge weiß —, daß Güte und Vertrauen reale Mächte sind, die eine tiefgehende Wirkung haben, auch, und gerade bei demjenigen, der ein solches Entgegenkommen am wenigsten erwartet. — Vielleicht finden wir so einmal einen neuen Weg, den Frieden zu schaffen und zu sichern, einen Weg, der uns nicht über Schlachtfelder und über „verbrannte Erde“ führt. Möge uns Gott die Geduld und die Kraft zu einem solchen Wege geben!