„Ja, mein Liebling“
Eins muß man anerkennen: die Studiobühne hat sich noch am Ende des Wintersemesters alle Mühe gegeben, die auf der Vollversammlung gegebenen Versprechungen wahrzumachen. Mit der Aufführung der Komödie „Ja, mein Liebling“ des Amerikaners Marc Reed in der Inszenierung von Ralf E. Schober erntete sie reichen und verdienten Beifall.
In dem dem Programmheft beigegebenen Flugblatt wendet sich der Leiter der Studiobühne an die Studentenschaft. Unter anderem fordert er leidenschaftliche Kritik. Wir sind seiner Meinung, wenn er glaubt, daß Kritik immer nur helfen kann und schätzen seine offenbar vorhandene Toleranz solchen Stimmen gegenüber. Wenn das ehrlich gemeint ist, könnte er mit dieser Haltung manchem Berufstheater-Hasen ein gutes Beispiel geben.
Allerdings sind wir nicht ganz seiner Meinung, wenn er eine leidenschaftliche Kritik verlangt. Leidenschaften sind das dynamische Element aller Kunst. In der Kunstkritik verwirren sie die Begriffe. Wir wollen uns deshalb mit einer sachlichen Kritik begnügen.
Die Aufführung war ein voller Erfolg. Es gibt zwei Gründe dafür: eine gestraffte und einfallsreiche Regie (Schober) und ein guter Ensemblegeist, der die Schwächeren mitriß und die ausgesprochenen Begabungen wachsen ließ. Bühnenbild und Beleuchtung (Jockel - Kobusch Arnold) schufen den gediegenen Rahmen. Unter den Schauspielern gab es zwei Entdeckungen: zwei Urtalente, der lebenssprühende und jungenhafte Douglas Hall (Wilfried Jan Hayn) und die nuancenreiche und immer wieder überraschende Konstance Nevins (Irmgard Nagel). Eine Frankfurter Zeitung hätte den Douglas am liebsten von der Stelle weg engagiert gesehen. Trotz seiner überragenden Leistung bemühte er sich mit Erfolg, in bewußter Zurückhaltung (besonders in der Drei-MännerSzene) die Partner nicht an die Wand zu spielen. Mehr als einmal erhielt er offenen Szenenapplaus. Irmgard Nagel überzeugte vor allem den, der sie schon in ganz anders veranlagten Rollen (z. B. als Mara in Claudels „Verkündigung“) sehen konnte. Sie hat Sicherheit, ohne routiniert zu sein. Ihr ist eines eigen, dessen Fehlen so viele an sich talentierte Schauspieler scheitern läßt, eine seelische Ausdrucksweite, die Großes erwarten läßt.
Mit Abstand, aber doch auch unverkennbarem Talent folgt die Helen von Gertrud Kalb, sehr sicher, sehr lebendig, aber auch leicht verkrampft, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, daß diese Rolle an sich den genau entgegengesetzten Menschentyp als Darsteller verlangt. Um so anerkennenswerter bleibt das Geleistete. Sehr fein und verhalten die Leistung der Mutter Margaret Whitman (Christa R e i-f f e n s t e i n), besonders dann, wenn man weiß, daß Christa Reiffenstein damit den ersten Schritt auf die Bühne wagte. Sie wird beim nächsten Mal sicherer schreiten. Ein junger Mensch, der einen Fünfziger zu spielen hat, steht immer vor einer fast unlösbaren Aufgabe, ist er nicht ganz große Klasse. Lewis Murray (Pitt Feuser) gab sich redliche Mühe und fiel ebenfalls in keiner Weise unangenehm aus dem Rahmen.
Enttäuschend war die schauspielerische Leistung des Titus Jaywood (Ralf E. Schober). Die Theatergeschichte lehrt, daß Regie und Schauspiel völlig verschiedene Begabungen voraussetzen. Schober ist ein ausgezeichneter Regisseur. Das hat er auch mit dieser Einstudierung wieder bewiesen. Aber er kennt nicht seine Schwächen als Schauspieler. Das muß einmal um der Studio-Bühne willen gesagt werden. Fast in jedem Stück, das er inszeniert, muß er eine größere Rolle selbst übernehmen und jedesmal — ist er derselbe. Seine Theatererfahrung (Routine) wird ihm zum Verhängnis, weil sie eine falsche Sicherheit bewirkt, die den Maßstab der Selbstkritik verzerrt. Tatsache bleiSt für den, der Ralf E. Schober in verschiedenen Stücken sah, in der „Uriphigenie“, im „Zirkus“ und an diesem Abend: er blieb immer Ralf E. Schober, er wurde nie Gestalt des Dichters.
Die größte aller Künste ist die der Selbstbeschränkung und der Selbsterkenntnis. Wir möchten den Regisseur Ralf E. Schober noch lange unter uns haben. Der Schauspieler aber schadet dem Regisseur, wenn er nicht einer wohlmeinenden Kritik im eigensten Interesse und in dem der Studiobühne Aufmerksamkeit schenkt.
stud. phil. K. Theo Siebert