ln Marburg wollen der Ring Christlich-Demokratischer Studenten und der Rektor eine hochschulpolitische Entwicklung der Nachkriegszeit umkehren. In einem monatelangen Rechtsstreit dekretierte der Rektor als Rechtsaufsichtsbehörde, die Studentenschaft dürfe nur Hochschulpolitik an sich betreiben. Aus dem RCDS kam dazu die Erläuterung, die Studentenschaft könne nur dann zu Recht politisch handeln, wenn sie als solche — die Studenten anders als andere Staatsbürger — betroffen sei.

Die Marburger Magnifizenz folgte in ihrer Entscheidung dem Beispiel der Amtskollegen an anderen Universitäten: Sie verbot — ohne die Grenze aufzuzeigen, bis zu der Studentenpolitik reichen dürfe. Wenn die Studentenschaft sich aufgrund des Hessischen Hochschulgesetzes eine neue Satzung gibt, muß sie daher neue Prozesse gewärtigen, es sei denn, sie ist bereit, das bisherige Bekenntnis zur „besonderen Verantwortung der akademischen Jugend gegenüber ihren Volke" aus der Präambel zu streichen Die Akteure an den Hochschulen übergehen bei ihren Streitigkeiten um das „politische Mandat“ in der Regel die in der Literatur betriebene Klärung des Problems. So ermächtigte das Marburger Studentenparlament seinen Allgemeinen Studentenausschuß unbedacht, „zu außenpolitischen Fragen Stellung zu nehmen, die keinerlei hochschulpolitische Belange betreffen“. Der Rektor hingegen reduzierte das Problem auf eine Interpretation des Wortes: Ein politisches Mandat könne nur auf einem Auftrag eines übergeordneten Rechtssatzes beruhen, also eines Landesgesetzes etwa oder der Universitätssatzung. Befugnisse, die der Universität als Ganzem abgingen, stünden auch der Studentenschaft nicht zu Verschiedenen Studentengruppen scheinen politische Aktionen der Universität in der Tat bedenklich, weil diese Körperschaft nicht demokratisch organisiert ist. Die mißverständliche Formel vom politischen Mandat der Studentenschaft dagegen basiert nach ihrer Meinung auf der Willensbildung im Wege demokratischer Wahl, wie sie bei den Studentenschaften üblich ist. Auftraggeber politischer Aktionen des Allgemeinen Studentenausschusses könnten nur die Studenten, nicht die Professoren sein Vom politischen Mandat begannen die westdeutschen Studentenschaften zu reden, als sie sahen, daß sinnvolle und realistische Zielvorstellungen für das Hochschulwesen nur im Hinblick auf die gesamte Bildungspolitik, nur aufgrund einer Analyse der Gesellschaft zu entwickeln sind, als sie sahen, daß beispielsweise die Art der finanziellen Förderung der Studenten von der Sozialordnung insgesamt abhängt. Die Formel soll bezeichnen, daß Hochschulpolitik isoliert nicht möglich ist.

An dieser Haltung zeigt sich, daß die Studentenschaften die allgemeine politische Entwilckung reflektieren und mitgestalten wollen — sowohl aus Eigeninteresse als auch aus Verantwortung für die Folgen des Studierens. Freilich lassen Studentenvertreter den Zusammenhang zwischen Hochschule und Gesellschaft zuweilen außer Acht. So ist es kein Wunder, wenn das Marburger Studentenparlament den Professoren als ungehorsamer Gernegroß erscheint. Trotz dieser Schwäche ist der Rückzug der westdeutschen Rektoren auf Rechtspositionen für die studentische Seite umso weniger glaubhaft, als diese sich selbst qua Amt in der großen Politik bewegen. In Marburg wurde eine Erklärung gegen die persische Regierung verbreitet, „mit der die Bundesregierung in besten diplomatischen Beziehungen steht“.

Im gleichen Marburg öffnete ein Rektor der FDP für eine ihrer Wahlversammlungen das Auditorium Maximum, während sein Nachfolger eine Ausstellung des SDS zur Vietnamfrage „aus grundsätzlichen Erwägungen“ nicht in die Universitätsräume ließ. Derartige Ereignisse scheinen darauf zu deuten, daß der Streit um das politische Mandat auch eine Frage der Redlichkeit ist: Die Rektoren handeln auch im täglichen Hochschulleben nach Grundsatzentscheidungen aus der großen Politik, die obendrein ihre persönlichen sind — sie geben es nur nicht zu.

Vor diesem Zwiespalt warnen engagierte Studentenvertreter mit dem Hinv-eis auf die Hilflosigkeit, mit der einst Professoren und Studenten dem faschistischen Angriff auf die autonome Universität erlagen. Ihnen scheinen viele Wissenschaftler nur deswegen der braunen Ideologie verfallen zu sein, weil sie aus Mangel an politischer Konzeption Kompromisse mit dem totalitären Trend suchten, um so die Politik von der Universität fernzuhalten Die bisherigen Erfahrungen vermitteln den Allgemeinen Studentenausschüssen den Eindruck, die Beschneidung des studentischen Aktionsbereichs diene dem verdächtigen Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung. Sicher können die Professoren ihre Macht besser verteidigen, wenn die Studentenschaften gegen die Hochschulstruktur nicht mehr mit Prinzipien des sozialen Rechtsstaats argumentieren dürfen. Andererseits ergab eine Analyse des Frankfurter Soziologen Heribert Adam, daß die Rektoren in den letzten zwanzig Jahren ihren Kampf gegen die politische Aktion der Studenten im Ganzen in dem herrschenden politischen Trend einpaßten. Ulrich Heinz