Aufmuckende Generale hat es zu allen Zeiten gegeben, am seltensten jedoch in Deutschland Auch die einigen hundert Kommandeure, denen Himmler 1944 im Posener Theater die Juden-Pogrome militärisch knapp erläuterte, versagten der staatlichen Autorität ihren Beifall nicht. Die wenigen gegen Hitler opponierenden Offiziere im Generalsrang bilden folgerichtig eine in der deutschen Militärtradition bizarr anmutende Ausnahme. Daher wird heute in der Traditionspflege der Bundeswehr an sich Selbstverständliches als Heroisches gefeiert. Was mußte also erst geschehen, daß führende Generale, die ja nicht nur der Bundesrepublik gedient haben, wider ihren konservativen Oberbefehlshaber den Stachel lockten? Panitzki gab vor, wegen der Starfighter-Misere unzufrieden zu sein; die Unlogik seines Verhaltens soll hier nur deswegen nicht erörtert werden, weil die Chronologie des Aufzählens technischer und administrativer Details vom Casus belli der Starfighter-Katastrophe ablenken würde.

Auch der offizielle Demissionsgrund des Generals Trettner beansprucht nur den Rang eines Epiphänomens: Nicht die Tatsache des ÖTVErlasses, sondern die Art seiner bürokratischen Durchsetzungsprozedur sei zu beanstanden. Der bundesdeutsche Journalismus, der sich vielfach im Herumstaksen dramatisierter Fassadenphänomene gefällt, attestierte den beiden Generalen triumphierend Konzeptionslosigkeit, denn was habe ÖTV mit der F104G zu tun?

Es käme einer falschen Personalisierung der umfassenden Systemstruktur gleich, zu ignorieren, daß Trettner, Panitzki, Pape & Co nur die Stimmung eines großen Teils des OffizierCorps publizistisch artikulierten, eine Stimmung nämlich, die nur aus Karriere- und Pensionsgründen die schalldichten Kasinowände vorerst nicht übertönt.

Wo liegt aber die Gemeinsamkeit in der Motivation des Handelns der beiden Inspekteure, denen nur naive Geister zu unterstellen vermögen, sich nicht vorher abgesprochen zu haben?

Trotz der gängigen Presseberichterstattung und trotz der sachlich oberflächlich geführten Bundestagsdebatte über das Führungschaos der Bundeswehr fällt es nicht schwer, in dem Argumentationsknäuel den roten Faden zu finden.

Das nur platonische Pronunciamento dieser Bundeswehrgenerale bildet einen weiteren Schritt in Richtung FORMIERTER GESELLSCHAFT, zumal es sich hier, einem heißen Wunsch Ludwig Erhards folgend, um eine zwischen den inkriminierten Generalen verabredete KONZERTIERTE AKTION handelt. Ein Panitzki, der angeblich wider besseres Wissen und eigene Überzeugung jahrelang in Sachen Starfighter Befehlen der politischen Führung parierte, plötzlich aber, interessanterweise gerade nach Überschreiten des Höhepunktes der Starfighter-Unglücksserie, seinen Minister öffentlich kritisiert, setzt sich zumindest dem Verdacht aus, mit Pseudo-Argumenten den Kern der Sache vertuschen und andere Dinge im Schilde führen zu wollen.

Nicht nur die Phalanx der CDU/CSU-Garde, auch die Generalität der Bundeswehr weist einen klaffenden ideologischen Riß auf: die dogmatischen Fronten zwischen Atlantikern und Gaullisten haben sich verhärtet. Geradezu angekurbelt wird der strategische Grabenkrieg im Offizier-Corps der Bundeswehr durch die lähmende Rat- und Entschlußlosigkeit der politischen Führung, die zwar durchaus willens, wegen ihres Satellitencharakters zu den USA aber nicht in der Lage ist, zwischen den militärstrategischen Extremen der gaullistischen MASSIVE RETALIATION und der derzeitigen amerikanischen Konzeption der FLEXIBLE RESPONSE eine definitive Entscheidung zu treffen. Das amtliche Bekenntnis zur sogenannten Vorwärtsverteidigung (eine strategische Defensive schließt eine taktische Offensive nicht aus) löst das Dilemma keineswegs: sie ist keine Synthese, sondern ein mißratener Bastard der beiden rivalisierenden Militärdoktrinen des westlichen Lagers in der Epoche des desintegrativen Parallelismus der Machtblöcke. Die geographisch nahe Stationierung von Bundeswehr-Truppen an der sog. Demarkationslinie kommt der Forderung MacNamaras nach einer vorerst nicht-atomaren Kriegführung entgegen; die absolute und im Vergleich zum Warschauer Pakt auch relative Schwäche der Ist-Stärke der für die Vorwärtsverteidigung eingeplanten NATO-Truppen läuft nolens wo-lens auf ein Zugeständnis an die französische Version der massiven Vergeltung hinaus. Selbst Militärenthusiast Adelbert Weinstein wird nicht müde, der Bundeswehr zu bescheinigen, sie sei eine Armee ohne Auftrag.

Angesichts dieses strategischen Vakuums bemüht sich die hohe Generalität, ihrerseits einen „konstruktiven“ Beitrag zur Schlachtfeldtüftelei zu liefern. Der beim Rekruten höchstens tolerierte, beim General jedoch sorgfältig gepflegte Individualismus versagt sich der Uniformität militär-strategischen Denkens und transponiert den atlantisch-gaullistischen Dualismus auch in den militärischen Bereich.

Die vielen Militärs eigene Mentalität kümmert sich wenig um politisch-diplomatische Nuancen, sondern orientiert sich gern an quantitativ meßbaren Stärkeverhältnissen des militärischen Potentials. -Es zeugt daher nur von Konsequenz, wenn die Phantasie deutscher militärischer Stäbe eher von der nuklearen Bombinette des naßforsch-aufsässigen de Gaulle als von der vorsichtig wägenden, eiskalten Intelligenz MacNamaras beflügelt wird. Der französische Spatz in der Hand scheint sicherer als die amerikanische Atomtaube auf dem Dach.

Als wirksames militärisches Instrument nicht nur der nuklearen Planung, sondern auch der effektiven atomaren Mitbestimmung, vielleicht sogar der atomaren Trilsouveränität bot sich Strauß und seiner Generalität der Starfighter F 104 G an, der hauptsächlich als atomarer Jagdbomber gedacht war.

Der technische Aspekt der jüngsten StarfighterMisere sowie ihre unmittelbaren politischen Konsequenzen wurden von der bundesdeutschen Generalität ohne profunden Prestigeverlust souverän gemeistert, denn Parlamentarier, Offiziere und Publizisten vermieden in einer Art faktischen tacit agreements die militärisch und politisch allein relevante Mission des Starfighters, nämlich die Durchführung des atomic strike, eindeutig zu erwähnen.

Weit mehr: Vielen Offizieren erschien das parlamentarische Aufgeilen an technischen Ungereimtheiten des speziell für Deutschland umgebastelten Lockheed-Vogels (aus der Spezies der Unglücksraben) als willkommene Gelegenheit zur Ablenkung von akuten Friktionen der Inneren Führung der Bundeswehr. Technisches Klimborium, so wichtig es sein mag, verblendete und täuschte Öffentlichkeit und Parlament über die strategische und psychologisch-soziologische Krise der Bundeswehr. Die Kreise ambitionierter deutscher Offiziere wurden erst gestört, als die US-Administration in ihrem Bemühen um Festigung der atomaren Komplicenschaft mit der Sowjetunion und auf ihrem Weg einer Denuklearisierung Mitteleuropas nicht nur des atomaren Granatwerfers Davy Crockett, sondern auch des deutschen Starfighters als Störfaktor der politisch-militärischen Detente sich erinnerte und konsequenterweise vorschlug, den Starfighter atomar zu entwaffnen und nur noch als nichtnukleares Erdkampfflugzeug einzusetzen. Dadurch wäre für die Bundeswehr ein Anschluß an die „force de dissuasion" des französischen Generalstabschefs Ailleret endgültig vereitelt worden. Jede Unterredung des als wenig standfest bespöttelten v. Hassel mit seinem hartgesottenen US-Kollegen wurde von der pro-gaullistischen Generalität mit Weltuntergangsstimmung registriert.

Die Kritik an Hassels Strafighter-Politik wurde daher sowohl von aktiven als auch von bereits retirierten, ebenfalls nicht faulen Offizieren just für den Zeitpunkt einer Amerikareise des Ministers projektiert, um den US-hörigen v. Hassel unter dem Vorwand eines scheinbaren Starfighter-Problems über die echte StarfighterProblematik stürzen zu können. Dem ohnehin sinkenden Generalsstern Panitzki wurde mit der Ausführung dieses Auftrages nicht allzu viel zugemutet. Hier zeigt sich auch die clever ausgeklügelte Arbeitsteilung im Vorgehen der beiden angeblich zufällig fast synchron handelnden Inspekteure Panitzki und Trettner: während ersterer auch aus institutionellen Erwägungen den Generalsukas erhielt, die Starfighters letztlich atomar zu rehabilitieren, spielte sich der gleichfalls amtsmüde Trettner nach seinem kläglichen Fehlschlag in der geplanten Anlage eines Atomminengürtels entlang der Zonengrenze als Verfechter „echter soldatischer Tradition" auf, zu deren Reinhaltung nicht nur nach Meinung Trettners das Aussperren der Gewerkschaften aus den Kasernen gehört. Panitzki sollte technisch, Trettner soziologisch restaurieren.

Die Verstimmung Trettners über den ÖTV-Erlaß, der einen fast anderthalbjährigen verfassungswidrigen Zustand aufhob, zielte nicht auf die ihn freilich auch verletzende Art des Schleusens dieses Erlasses durch die Ministerialbürokratie, sie resultierte vielmehr aus der paranoiden Befürchtung des erzkonservativen Generals, die wenigen progressiven Elemente im Offizier-Corps könnten in ihrer Ablehnung des herkömmlichen Soldaten-Ethos von außen, das heißt u. a. von den Gewerkschaften, ermutigt werden. Interpretierte Trettner Heyes Flucht in die Öffentlichkeit schon als „Stunde der Anfechtung", dann mußte der ÖTV-Erlaß als Anfang vom Ende der soldatischen Gloria anmuten.

Trettner beschwor das Gespenst eines primär durch Gewerkschaftsarbeit geschulten, gesellschaftspolitisch kritisch denkenden Offiziers herauf, der sich mit dem nicht-atomaren Part innerhalb der NATO-Arbeitsteilung zufrieden geben könnte und der seinen Soldatenberuf in erster Linie nur noch funktional unter Voranstellung tarifpolitischer Probleme konzipieren könnte.

Hingegen zeigten alle Akteure und Statisten der politischen Bonner Szenerie größtes Interesse, die Bedeutung des ÖTV-Erlasses als Teilagens der Bundeswehrführungskrise zu verniedlichen, denn auch gewisse politisch sensible Naturen sind beinahe profilneurotisch versessen, die wehrpolitische Vergangenheit nicht wieder aufleben zu lassen.

Die ideologische Affinität der Pölit-Manöver der beiden Generale erweist sich u. a. in den Versuchen Trettners, nicht nur die geistige Führung in restaurativen Formen erstarren zu lassen, sondern den Einfluß der Militärs auf die Bonner Militärpolitik selbstherrlich auszuweiten. So forderte Trettner im Sommer 1963 vom Verteidigungsminister: 1. einen Soldat an die Spitze der Personalabteilung im Verteidigungsministerium, 2. eine Reduzierung der Aufgaben des zivilen Staatssekretärs auf die Vollmachten des früheren preußischen Kriegsministers, nämlich Rüstung, Verwaltung, Haushalt; 3. den Rang — nicht den Titel — eines Staatssekretärs und das Vertretungsrecht des Ministers in allen militärischen Angelegenheiten (auch in der Befehls- und Kommandogewalt) für den Generalinspekteur.

In der Wirkung decken sich die Ambitionen der Generale Trettner und Panitzki in verblüffender Weise: Oberkompensation der atomaren Minderwertigkeitskomplexe, wozu nicht nur Einfluß auf, sondern Überspielen des Primats der Politik nützlich sind.

In diesem Licht klärt sich das Paradoxon auf, daß Trettner sachlich dann sehr konkret wurde, als er unmittelbar nach seinem Rücktritt diesen sehr verschwommen und gemeinplätzig damit rechtfertigte, daß die ihm verfügbaren Mittel zur Ausführung seines Auftrages nicht ausreichten. An welchen Auftrag mag der Generalinspekteur wohl gedacht haben? Moralisch mildernde Umstände mögen Trettner zuerkannt werden, weil ihm und seinen Gefolgsmännern der Appetit nach Einfluß oder Titel eines militärischen Staatssekretärs gerade von solchen Politikern eingeflößt wurde, die aufgrund historischer Begebenheiten und ihrer eigenen gegenwärtigen parlamentarischen Funktion (auch in Wahlkampfsituationen) bedächtiger mit planenden Konstruktionen militärischer Machtpositionen umgehen sollten. Noch ist dabei nicht entschieden, wer bei diesen taktischen Finessen wen endgültig überspielen vermag.

Viele Soldaten anerkennen bereitwillig das Prinzip der Civil Control, was verbal in der Regel richtig als politische Führung und parlamentarische Kontrolle interpretiert wird. In der negativen Version der Auslegung dieses Begriffs wird jedoch oft hinzugefügt: „das schließt aber jede Kontrolle durch Beamte aus.“ Es ist offenkundig, daß ein Angriff der Militärs auf den Primat der Politik in der bundesrepublikanischen Demokratie ein zumindest formales Tabu verletzen würde; das Politische als Zielscheibe militärischer Machtambitionen kann daher nur indirekt und auf Umwegen in das Visier des noch konventionellen Schießprügels genommen werden. Hier bietet sich das weitverbreitete Ressentiment gegen den klischierten Idealtypus des Beamten an.

Abgesehen davon, daß viele Militärs realiter den Politiker meinen, wenn sie seinen Führungsgehilfen der Exekutive, den Beamten, kritisieren, ist daran zu erinnern, daß der Tätigkeitsinhalt des Soldaten nicht auf das Führen beschränkt ist, sondern auch das Verwalten, das angebliche Monopol des geschmähten Beamten, involviert. Das aus sozialer Hypochondrie entspringende Bedürfnis des Soldaten nach Abhebung vom diskriminierten Beamten gerinnt zur zweiten Natur und diffamiert auch jene Führungsentscheidungen von Militärs als ziviles, d. h. minderwertiges Verwaltungsgebaren, deren immanente Komplexität die lapidar-sture Kommißkopfalternative des auf den ersten Blick entschiedenen EntwederOder verwirft.

Militärische Dienstregelungen verselbständigen sich gegenüber ihren Urhebern im Bewußtsein des traditionellen Soldaten, so daß nur noch Einfachheit und Geschwindigkeit ihrer Durchführbarkeit darüber entscheiden, ob eine ministerielle Entscheidung als militärischer Befehl glorifiziert oder als Verwaltungsmaßnahme diskreditiert wird. Unbeachtet bleibt, daß zivile Bürokratien in ihrer umständlichen Zähflüssigkeit nur noch von militärischen Institutionen übertroffen werden. Solche sozialpsychologischen Entlastungsmechanismen der Militärs in ihrer Konstruktion des funktional längst überholten Gegensatzes von Soldaten und Beamten mögen bei der Prüfung der Vorwürfe der Generale Panitzki und Trettner gegen die zivilen Beamten des Ministeriums eine Rolle spielen. In den scheinbar so divergierenden Aktionen der beiden Bundeswehrinspekteure ist eines klar zu erkennen: wenigstens ein Teil der führenden Generalität der Bundesrepublik gibt sich mit der Rolle der militärischen Exekutive politischer Entscheidungen nicht mehr zufrieden. Die auf primär außenpolitischen Rücksichten basierende politische Fastenzeit der deutschen Generalität während der Aufbaujahre der Bundeswehr ist endgültig abgelaufen, oder, um mit dem vergessenen Erhard zu sprechen, die Nachkriegszeit ist auch hier vorüber. (Aus dem Phrasen-Nachlaß Erhards scheint dies das einzige goldene Wort zu sein.) Nur wer die Dezennien gestaltende Personalpolitik der bisherigen Inspekteure Trettner und Panitzki nicht übersieht, darf hoffen, daß mit einem spektakulären Auswechseln der politischen und militärischen Führungsfiguren schlagartig eine Kehrtwendung in der Militärpolitik einträte. Ohne Rückversicherung bei gleichgesinnten Kameraden hätten Trettner und Panitzki nicht öffentlich genörgelt.

General Steinhoff befand sich ergo in der denkbar günstigsten Situation, als ihn der bedrängte und unter Zeitdruck handelnde v. Hassel zum deus ex machina erkor. Nicht nur aus optischen und Gründen der Loyalität gegenüber seinem Vorgänger bat sich Steinhoff eine demonstrative Bedenkzeit aus. Er wußte die Gunst der Stunde zu nutzen, um dem zappelnden v. Hassel und dem verlegenen Staatssekretär Gumbel administrative und organisatorische Zugeständnisse abzuringen, die bislang einem Militär vorenthalten wurden.

Einige „Vorstellungen“ Steinhoffs überstiegen den Charakter rein technischer und verwaltungsmäßiger Verbesserungen und personeller Neubesetzungen innerhalb der Teilstreitkraft Luftwaffe. Sollte beispielsweise aus den Abteilungen Wirtschaft und Technik ein wichtiges Referat der Rüstungswirtschaft herausgebrochen und dem neuen Luftwaffeninspekteur unterstellt werden, würde sich das politische Machtgefälle innerhalb des Verteidigungsministeriums eindeutig zugunsten der Militärs verschieben.

Wird mit Steinhoff dem neuen Generalinspekteur de Maiziöre, der politisch nüchterner, militärisch ambitionsloser und soziologisch progressiver denkt als je ein Inspekteur vor ihm, ein Aufpasser zur Steite gestellt, der bereits in Interviews kundtat, auf ATOMWAFFEN nicht verzichten zu wollen?

Hier aber, Verzicht oder Nicht-Verzicht, bietet sich ein Fluchtpunkt an, wo eines unseligen Tages die politischen und militärischen Kompetenzen der Bundeswehr wieder in nationaler Kongruenz Zusammentreffen könnten.