Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit und das Handeln danach, und was notwendig ist, bestimmen andere - so etwa läßt sich ein beliebtes Argument zusammenfassen. Die Studienfreiheit zum Beispiel besteht nach den Plänen des Wissenschaftsrats darin, daß der Student aus einem angebotenen Wirrwarr nach ihm unbekannten Gesichtspunkten unter unmöglichen Studienbedingungen das irgendwie herausfindet, was er in einer undurchsichtigen Prüfungssituation einmal repoduzieren muß; und zwar in der vorgeschriebenen Studienzeit plus allenfalls zwei Semestern. Wer seine Freiheit ausnutzt und etwa länger studiert, treibt damit Mißbrauch und beweist, für die Freiheit nicht reif zu sein, sondern reif dazu, von der Universität entfernt zu werden. Die verwaltungstechnischen Voraussetzungen, den Freiheitsmißbrauch abzuschaffen, sollen demnächst geschaffen werden, sind, in Berlin etwa, teilweise schon vorhanden. — Dieser offensichtliche Charakter der Lehrformel zeichnet den Begriff Freiheit bei fast jedem Gebrauch aus; ihm verdankt er die Vorzügliche Brauchbarkeit dafür, reale Freiheit zu unterdrücken.

Die Studenten und Professoren der Freien Universität Berlin werden wieder einmal, so jedenfalls versteht es ein Teil der Presse, von einer Minderheit terrorisiert, Berlins „Roten Garden“ bzw. „Kommunarden“. Schon vor einigen Monaten bestand diese Minderheit aus einigen tausend Studenten.

Damals versprach Rektor Lieber während eines Sit-Ins vor dem Raum, in dem sich der Senat versammelt hatte, eine offene Diskussion. Am 26. November veranstaltete der AStA mit dem Rektor die Diskussion, die jener jedoch auf die in seiner Immatrikulationsrede angeschnittenen Punkte beschränkt wissen wollte. Der Diskussionsbeitrag Liebers gipfelte in dem Verlangen, ein „Wechsel der Studentengenerationen“ solle „in überschaubaren Zeitabschnitten“ erfolgen. Faktisch unterstützte er damit die Forderung, jene Studenten von der Universität zu entfernen, die nicht innerhalb eines streng begrenzten Zeitraums sich technisch verwertbares Spezialwissen aneigneten, wobei keine Zeit mehr bleiben wird, Möglichkeiten und Zwecke zu reflektieren, für die es eingesetzt werden kann. Ergebnis dieses wohl zeitgemäßen Bildungsprozesses sind in der Regel Hochspezialisierte Hausknechte, die in ihrem Fachgebiet beliebig verwendbar sind, versehen mit der Meinung, innerhalb obskurer technischer oder ökonomischer „Notwendigkeiten“ sich nützlich zu machen. Lieber: „Die Fachorientierung geht vor. Der bürgerliche Bildungsbegriff ist passö“. Orientierung woran?

Die Mehrheit der Studenten sah ein, was andere vorausgesehen hatten: „Von diesem Gespräch haben wir nichts zu erwarten“ lautete die Titelleiste des Flugblattes eines „Provisorischen Komitees zur Vorbereitung einer studentischen Selbstorganisation“. Während das Flugblatt im Saal verteilt wurde, nahm ein Student das Mikrophon vom Podium und Begann, den Text zu verlesen. Daraus, und bezogen auf die vorhergehende Diskussion: „Wir müssen uns herumschlagen mit schlechten Arbeitsbedingungen, mit miserablen Vorlesungen, stumpfsinnigen Seminaren und absurden Prüfungsbestimmungen. Wenn wir uns weigern, uns von professoralen Fachidioten ausbilden zu lassen, bezahlen wir mit dem Risiko, das Studium ohne Abschluß beenden zu müssen".

Die völlig unzureichenden Bildungsinvestitionen der vergangenen beiden Jahrzehnte und der Wille, die hierarchische Struktur der Hochschule nicht anzutasten, führen logisch zu der Notwendigkeit, die Studienfreiheit immer weiter einzuschränken. „Administration und Senat erklären die Misere der Universität zur Misere des einzelnen Studenten, nicht um sie zu lösen, sondern um sie los zu sein. Der gesellschaftlichen Forderung nach Mehrausstoß von anpassungswilligen Spezialisten entsprechen sie mit der Reglementierung des Studiums, verschärft durch die Drohung der Zwangexmatrikulation“.

Die Studenten, die für Studienfreiheit und Selbstverwaltung, gegen deren Beschränkung demonstrierten, sahen das Risiko richtig voraus, „das Studium ohne Abschluß beenden zu müssen“. Sollte Rektor Lieber sie identifizieren können, erwartet sie ein Disziplinarverfahren und Entfernung von der Universität.

Richtig, einige von denen, die Flugblätter verteilten, trugen Maos Portrait am Revers. Doch soll das Disziplinarverfahren nur die Studenten treffen, die diskutieren und keine ausweichenden Antworten und Erklärungen, nämlich nicht zuständig zu sein, hören wollten. Mao untersteht nun mal nicht der Disziplinargewalt der Freien Universität. (Siehe auch Bericht aufSeite 2.)Burkhard Bluem