Niekisch gehört zu jenen, deren Schriften mehr vom Ruf des Autors leben als umgekehrt. Man iest ihn, weil man erwartet, in dieser „kontroversen Persönlichkeit“ etwas von den objektiven kontroversen Erscheinungen wiederzufinden, und weil man meint, aus Irrtümern, Revisionen, Widersprüchen eines einzelnen mehr über die subjektive Einstellung verschiedener Gruppen zur Politik ihrer Zeit zu erfahren, als eine historische Analyse vielleicht suggerieren kann Daß Niekisch den Nazis etwas abzugewinnen wußte, sie dann bekämpfte, sich zum Kommunismus bekannte, dann Bundesrepublikaner wurde, bleibt für Außenstehende uninteressant, während man sich aber fragen muß, ob seine Schriften Wesentliches über die Nazis, den Kommunismus usw. enthalten. Lassen wir also die leidige Frage nach den wechselnden Engagements (die dem Autor persönlich viel Verdruß mit dem ost-wie westdeutschen Funktionärsmuckertum eingetragen hat) ganz beiseite und schauen wir uns das Buch an, das Ende vorigen Jahres bei Kiepenheuer und Witsch unter dem etwas irreführenden, aber modischen Titel „Politische Schriften“ erschienen ist Es handelt sich dabei um: den Abdruck eines politischen Fehlurteils aus dem Jahr 1931, von dem man nicht erkennt, was damit demonstriert werden soll;zwei größere,sauber durchgeführte und glänzend lesbare, jedoch keineswegs originelle historische Studien zur deutschen und zur europäischen Geschichte; drei kurze Essays über Nihilismus und Politik, deren Zusammenhang dem Leser zum Reimen überlassen bleibt; und schließlich eine Aneinanderreihung von soziologiewissenschaftlich verkleideten, journalistischen Geschmacksurteilen über das Leben, wie es heute so ist, unter dem Titel „Der Clerk“.

In „Hitler, ein deutsches Verhängnis“ wird tatsächlich gesagt — und in männiglichem Tetsch bescholten —, daß mit dem Münchener Putsch und der späteren Konzentration der „Bewegung“ in diesem Raum (die 1931 schon nicht mehr wahr war!, d.V.) der Nationalsozialismus latinisiert, zu einem ultramonantanen Kuckucksei und damit zu einem Widerspruch zu deutschem Wesen gemacht worden sei. „Wer sich in München politisch zu Hause fühlt, ist unter deutschen Gesichtspunkten stets verdächtig.“ er (Hitler) zwang ihnen die Richtung gegen den Osten auf, die romanischen Instinkte des Führers übten eine versteckte Solidarität mit dem um seine Zukunft bangenden Abendand aus.“ Die zwischen dem Unsinn verstreut auftauchenden richtigen Beobachtungen (z. B. daß Hitlers „nationaler Sozialismus“ die „zeitgemäße Schutzfärbung des erschütterten Kapitalismus“ gewesen sei), die übrigens auch schon lange vor ihm von klareren Köpfen ausgesprochen worden sind, reichen nicht aus, den Abdruck des ganzen zu rechtfertigen. Geradezu läppisch wirkt die Erklärung, der Aufsatz sei mit dieser Akzentuierung geschrieben worden, um die preußischen Protestanten gegen Hitler auf den Plan zu rufen Die beiden Aufsätze über Nihilismus und Politik sind allgemein bekannte, aber gut gesammelte Weisheiten. „Der Clerk“ enthält nichts als Entbehrliches Wer mit Verlaß aufs Gesagte und Genuß beim Lesen etwas über die schwarzen Fäden in der neueren deutschen und europäischen Politik erfahren will, mag das bei Niekisch, muß es aber nicht just bei ihm nachsehen. Wer Niekisch kennenlernen will, greife besser zu dem 1953 erschienenen „Reich der niederen Dämonen“, einer hinreißend zornigen Schrift Irmela Nitz-Lindquist