Briefjäger
Gerhard S., DISKUS-Autor in Westberlin, steckte ein „Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“ in ein Couvert, malte in Druckbuchstaben die Adresse des DISKUS und den Absender darauf, frankierte ordentlich (50 Pfg plus 1 DM Eilboten) und warf das ganze in den Briefkasten am Bahnhof Zoo. Die staatsgefährdende Sendung hat den DISKUS bis heute nicht erreicht Dennoch und gerade darum besteht die Möglichkeit, daß das Postgut an die richtige Adresse gekommen ist und jenen in die Hände fiel, die es am dringendsten benötigen. (Möglicherweise läuft jetzt irgendwo doch ein Verfassungsschützer mit dem Dingsda unterm Arm herum.) Die Testsendung mit der Verfassung ist nicht die einzige DISKUS-Post, die zwischen Frontstadt und Frankfurt (nicht an der Oder) verloren ging. Anfang Dezember schickte Gerhard S. ein Kiesinger-Dossier an die Redaktion ab, bis heute traf es nicht ein. Nach telefonischer Verabredung gab der Autor auch einen Durchschlag seines Manuskriptes zur Post. Diese Eilbotensendung erreichte uns gleichfalls bis heute nicht. Ein Fluggast der PanAm erbot sich schließlich, die 20 Schreibmaschinenseiten aus der Festungsstadt herauszufliegen. Auf Rhein-Main erwartete ein DISKUS-Redakteur Kurier und Kassiber. Die Kiesinger-Geschichte ging in den Satz (DISKUS 8/66; Unser Mann in Bonn).
Vier Wochen später bestellte der DISKUS bei seinem Berlin-Korrespondenten einen Artikel über gewisse illegale Praktiken der Berliner Polizei. Der Beitrag ging per Eilboten an uns ab. Und verloren. Den Durchschlag schickte der Autor diesmal per Einschreiben und unter fingiertem Absender an die private Anschrift des politischen Redakteurs. So war es zuvor telefonisch abgesprochen worden. Auch diese Sendung kam nie an. Ein Nachforschungsantrag läuft. Und läuft und läuft.
Daß wir das Manuskript noch rechtzeitig erhielten, (vergleiche „Faust in der Tasche“ auf dieser Seite) verdanken wir wieder der von Gerhard S. ersonnenen neuartigen Luft-Postbeförderung.
Gerhard S. übrigens gehört zum Kreis der publizistisch tätigen Personen, die Minister Lücke jüngst im Fernsehen unter Verwendung eines Ausdruckes der Deutschen National-Zeitung „Entnazifizierer“ nannte. Ob sein Telefon und Briefkasten observiert werden, hält S. für eine rhetorische Frage. Daß uns wenigstens seine aus Berlin entbotenen Neujahrsgrüße zugestellt wurden, schätzt er als einen Glücksfall der nun versinkenden belle äpoque eines nicht formierten Grundgesetzes. H. F.