Vorwort
Seit der Publikation unseres Strategiepapiers Der kommende Aufprall sind bereits mehr als anderthalb Jahre vergangen. In dieser Zeit waren wir in einigen Städten unterwegs, um das Papier vorzustellen und haben mit einigen Genoss_innen fruchtbare Diskussionen über linke Strategien geführt. Dennoch mussten wir feststellen, dass Strategiepapiere in der Linken zwar gerne diskutiert werden und es auch gewisse Konjunkturen für solche Debatten zu geben scheint, wirklich ernsthafte Konsequenzen sich meist aber nicht daraus ergeben. So haben Genoss_innen in Kiel ein Dokument erstellt, das mehr als fünfzehn in den letzten beiden Jahren erschienene linksradikale Strategiepapiere aufzählt. Es war uns ein Anliegen, zumindest die vorliegenden Kritiken und Ergänzungen zu unserem Papier gesammelt herauszugeben, um so zumindest Teile unserer Diskussionen für die Nachwelt festgehalten zu haben und auch nicht direkt an der Debatte beteiligten Menschen die Möglichkeit zu geben, diese nachzuvollziehen. Wir freuen uns daher sehr, dass die Redaktion des Diskus uns eine Ausgabe ihrer traditionsreichen Zeitschrift zu Verfügung gestellt hat, und wir so dieses Anliegen in die Tat umsetzen konnten.
Am 30. April 2015 stellten wir im Frankfurter Klapperfeld zum ersten Mal unsere Thesen vor einem größeren Publikum auf die Probe. Wir diskutieren an diesem Abend zusammen mit der Basisgruppe Antifaschismus (BA) aus Bremen und den Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft aus Berlin sozialrevolutionäre Strategien im Allgemeinen und unser Papier im Besonderen . Der Beitrag zum Podium des Genossen aus Berlin liegt schriftlich in diesem Heft vor. In dem Text arbeitet der Genosse drei Punkte seines Dissens mit unserem Papier heraus. Das Ausbleiben proletarischer Kämpfe kann erstens nicht nur auf ein Strategiedefizit der Linken und zurückgeführt werden, zweitens werde nicht deutlich, was im Zeitalter der digitalen Vernetzung der Nutzen einer die proletarischen Kämpfe verbindenden Organisation sein könnte und dritten neigten wir zum Organisationsfetisch, denn revolutionäre Strategien sind bei weitem nicht auf Organisationsfragen zu reduzieren, so die Kritik in dem Beitrag.
In unserem Text haben wir die Bedeutung von Kämpfen im Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion hervorgehoben. Bestimmte kapitalistische Entwicklungstendenzen führen dazu, dass ein immer größerer Teil der gesellschaftlichen Arbeitszeit auf diesen Bereich entfällt, weshalb das Kapital dort auch besonders angreifbar wird. Der Bereich der Reproduktionsarbeit ist ein klassisches Feld feministischer Kämpfe, deren Bedeutung für eine kommunistische Strategie und Praxis wir unterstrichen. Drei Genoss_innen von der translib Leipzig stellten dies auf die Probe und kamen zu dem Ergebnis, dass feministische Kämpfe in unserem Papier zu stark auf ökonomische Aspekte reduziert sind und andere Dimensionen des Feminismus so unterbelichtet bleiben. In ihrem Beitrag Der halbierte Blick haben sie ihre feministische Kritik an unserem Papier dargelegt.
Emanuel Kapfinger geht in seinem Beitrag auf einen weiteren im kommenden Aufprall zwar angerissenen aber nicht ausbuchstabierten Aspekt ein: den der Selbstverwaltung. Dabei geht er sowohl auf Aspekte der Ökonomie, der Politik und der Kultur ein. Auch der Frage, was ausgelassenes Feiern mit der Revolution zu tun hat, wird in seinem Text nachgegangen. Diese kulturrevolutionären Aspekte der gesellschaftlichen und individuellen Befreiung kommen auch in dem Text Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik des kollektiv aus Bremen zur Sprache. Auch ihnen geht unsere Kritik nicht weit genug. Eine revolutionäre Strategie auf der Höhe der Zeit müsse schon bedenken, dass das Kapital heute alle Sphären der Gesellschaft eingenommen hat und es daher nicht nur auf Kampfstrategien im ökonomischen Bereich ankommt. Wir haben uns ganz besonders über den Text aus Bremen gefreut, weil die Genoss_innen hier praktische und theoretische Überlegungen vorgelegt haben, die den unseren sehr, sehr nahestehen. Gerade zu einem Zeitpunkt, an dem unsere Diskussionen mit anderen Linken geführt waren und wir uns fragten, wie es nun weitergehen könnte, kamen diese Genoss_innen aus einer anderen Stadt und völlig unabhängig voneinander zu ähnlichen strategischen Einsichten, brachten so frische Energie in die Diskussion und forderten ein, dass es bei dieser nicht bleiben könne.
Lenin bemerkte in seiner Schrift Staat und Revolution einmal, dass sein Idealbild des Sozialismus in der Umgestaltung der ganzen Gesellschaft in eine Fabrik liege. Aufgrund einer Fußnote am Ende unseres Textes wurden wir von einigen Leuten so verstanden, als würden wir die fordistische Variante dieser Idee vertreten. Statt die Gesellschaft in eine Fabrik zu verwandeln, wollten wir diese nun in ein riesiges (sozialistisches) Büro transformieren. Wir haben aber niemals eine Neugründung des Sozialistischen Büros vorgeschlagen. Dies wäre uns schon aufgrund dessen größtenteils linkssozialdemokratischen Programms zuwider. Vielmehr ging es uns darum, den vom SB entwickelten aber niemals vollständig umgesetzten Arbeitsfeldansatz für die heutige Organisationsdebatte fruchtbar zu machen. Nach der Veröffentlichung entdeckten wir, dass das Hans-Jürgen-Krahl-Institut bereits während des ...ums Ganze-Kongresses im Jahr 2010 einen ganz ähnlichen Vorschlag gemacht und sich auch ansonsten bereits eingehend mit diesem Organisationsansatz auseinandergesetzt hat. In ihrem Artikel Zur Kritik des Sozialistischen Büros sowie in einem ans Ende gestellten Glossar stellen sie den Stand ihrer aktuellen Auseinandersetzung mit diesem Thema vor.
Der letzte Text aus dem Umfeld der Diskus-Redaktion widmet sich einigen Grechtenfragen der Theorie, die unser Papier mit sich bringt, und will einen Beitrag zur Lösung dieser leisten. Ähnlich wie die translib* sehen sie Mängel in dem von uns in unserem Papier verwendeten Totalitätsbegriff.
Das Heft wird abgeschlossen mit einem von uns verfassten Nachwort, in dem wir auf einige der in den Artikeln geäußerten Kritik eingehen. Abschließend werfen wir einige weitere Fragen bezüglich des weiteren Vorgehens in der Debatte um sozialrevolutionäre Strategie und Organisierung auf. Wir hoffen, in diesen mit interessierten Genoss_innen weiterzukommen und wünschen Euch nun eine anregende Lektüre!
Es ist übrigens zwar sinnvoll zur Lektüre dieser Ausgabe unser Strategiepapier zu kennen, seine Kenntnis ist aber keine zwingende Voraussetzung zum Verständnis der hier enthaltenen Artikel. Sie stehen für sich und bieten auch so interessante Einblick in einige Evergreens linker Debatten.
Ein weiteres Dankeschön gilt der Realism Working Group aus Frankfurt. Diese hat das ästhetische Konzept dieses Heftes erarbeitet und einen kleinen Beitrag verfasst, in dem sie dieses vorstellen.
Antifa Kritik und Klassenkampf
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